23.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 179 / Zusatzpunkt 2

Axel SchäferSPD - 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Freund Marganski, am 16. April 1945, nach der Befreiung des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar durch amerikanische Soldaten, verfassten demokratische Sozialisten aus acht Nationen ein Manifest. Darin stand: Wir wollen die Vereinigten Staaten von Europa. Für Deutschland ist es nach diesem Krieg das Wichtigste, eine Verständigung und eine Freundschaft mit Frankreich und Polen anzustreben. – Das ist uns gemeinsam gelungen. Vielen Dank.

(Beifall im ganzen Hause)

Wenn wir heute zum 25. Jahrestag über den polnisch-deutschen Freundschaftsvertrag reden, reden wir auch über das Fundament, auf dem dieser Vertrag steht: Ja, es war die Denkschrift der EKD zur Ostpolitik, ja, es war der Hirtenbrief der katholischen Bischöfe in Polen, ja, es war der Kniefall von Willy Brandt im Warschauer Ghetto 1970, und, ja, es war Solidarnosc ab 1980, die Frieden und Verständigung in Europa und insbesondere die deutsch-polnischen Beziehungen, so wie wir sie heute haben, tatsächlich ermöglicht haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Der deutsch-polnische Vertrag ist ohne die Europapolitik von Helmut Kohl nicht denkbar – ebenso wie das Weimarer Dreieck nicht ohne die damaligen Außenminister Genscher, Skubiszewski und Dumas denkbar ist. Der Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004, auch unter den Konditionen, war nur möglich, weil ein deutscher Bundeskanzler, Gerhard Schröder, sich in besonderer Weise im Kreise seiner Kolleginnen und Kollegen der Staats- und Regierungschefs der EU dafür eingesetzt hat. Das ist wichtig zu wissen, das ist wichtig zu erinnern. Denn es ist klar: Das Geheimnis der Versöhnung und der Verständigung ist die Erinnerung. – Das leisten wir heute.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir leisten das in einer Zeit, in der wir vor außergewöhnlichen Herausforderungen stehen, die auch die Beziehung zwischen unseren beiden Ländern betreffen. Deshalb war es gut, dass die Bundeskanzlerin und die polnische Regierungschefin gestern deutlich gemacht haben, dass es morgen von deutscher und polnischer Seite ein klares Signal geben wird – ich glaube, auch ein klares Signal der 27 Staats- und Regierungschefs der EU – für den Zusammenhalt, für den weiteren Integrationsweg innerhalb dieser Gemeinschaft, die wir haben, die wir wollen und an deren Erfolg wir gemeinsam arbeiten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir müssen die Probleme klar benennen und das europäische Selbstverständnis gerade an einem Tag wie heute unterstreichen. Manches Komplizierte ist ja ganz einfach. Erstens. Es kann keinem Land alleine gut gehen, wenn es den Nachbarn schlecht geht. Zweitens. Das wichtigste Interesse jedes Mitgliedslandes in der EU bleibt die Einigung. Drittens. Nationalismus ist Fremdenhass. Das gemeinsame Europa ist auch Nächstenliebe. – Das ist es, was uns alle hier in diesem Hause von denen unterscheidet, die außerhalb dieses Hauses die Zerstörung der Europäischen Union und damit auch die Zerstörung der deutsch-polnischen Zusammenarbeit faktisch voranbringen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade weil wir uns in so vielen Dingen so nahe sind, gerade weil die deutsch-polnische Zusammenarbeit eine Erfolgsgeschichte der letzten 25 Jahre ist, muss auch kritisch miteinander geredet werden. Ja, man braucht auch Tapferkeit vor dem Freund. So etwas wie der Rechtsstaatsmechanismus, den die EU wegen konkreter politischer Kritik an der polnischen Regierung jetzt in Gang gesetzt hat, ist selbstverständlich erlaubt. Es geht in der Politik immer auch um Kritik an bestehenden Regelungen und bestehenden Regierungen. Das heißt aber nicht, dass wir ganze Völker oder unsere Zusammenarbeit kritisieren. Dieses Missverständnis muss von uns unbedingt ausgeräumt werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir machen das, indem wir jeden Tag daran arbeiten, dass dieses deutsch-polnische Gemeinschaftswerk im Alltag gelingt. Ich komme aus Bochum. Dort gab es vor 100 Jahren einen großen Bevölkerungsanteil, der aus unserem östlichen Nachbarland zugewandert war. Heute haben wir dort das im Aufbau befindliche Dokumentationszentrum Porta Polonica. Heute haben wir dort eine Vielzahl von Veranstaltungen, die deutlich machen: Ja, wir wollen das Gemeinsame benennen, ohne Trennendes einfach zu vergessen. Es wird darauf ankommen, dass wir in diesem Jahr das, was beide Länder in Verantwortung in Europa einbringen können, auch umsetzen. Wir wissen, dass die Gefährdung, der Europa heute ausgesetzt ist, nicht mehr darin besteht, dass wir uns politisch über diesen oder jenen Tatbestand inhaltlich streiten. Vielmehr geht es um die Existenz der Europäischen Union. Die Existenz der Europäischen Union werden wir nur gemeinsam sichern, wenn wir auch bilateral in der Lage sind – besonders deutsch-französisch und deutsch-polnisch –, mit Partnerschaften vor Ort, mit Schüleraustausch, mit allen anderen Projekten, die wir gemeinsam vorangebracht haben, immer und immer wieder die Zusammenarbeit und das gemeinsame Europa zu stiften. Wir haben eine klare Ausrichtung. Diese lautet: Nicht mit dem Scheitern drohen, sondern ins Gelingen verliebt sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank, Axel Schäfer. – Der nächste Redner für die Linke: Thomas Nord.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6946492
Wahlperiode 18
Sitzung 179
Tagesordnungspunkt 25 Jahre deutsch-polnischer Vertrag
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