23.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 179 / Zusatzpunkt 5

Lars CastellucciSPD - Aktuelle Stunde zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zunächst einmal können wir über Inhalte reden, und dann müssen wir über dieses Interview reden.

Bei den Inhalten haben wir im Prinzip kaum einen Dissens. Denn keine Frage: Wir wollen das, was wir hier rechtsstaatlich miteinander vereinbart haben, in diesem Land auch durchsetzen. Wir wollen, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich an die Spielregeln halten. Also müssen wir uns auch selbst an die Spielregeln halten. Deswegen gehören auch Rückführungen und Abschiebungen dazu – das ist gar keine Frage. Das macht niemandem Spaß, am wenigsten denen, die zu uns geflohen sind und hier kein Bleiberecht haben; Familien und Kinder sind betroffen. Das macht auch den Verwaltungen keinen Spaß, das macht der Polizei keinen Spaß. Nebenbei: Viel sinnvoller ist es, auf freiwillige Rückkehr zu setzen und Rückkehrhilfen zu geben. Noch viel besser wäre es, wir würden dafür sorgen, dass Menschen, die gar keine Chance haben, hierbleiben zu dürfen, sich gar nicht erst auf den Weg zu uns machen, weil sie die entsprechenden Informationen schon in ihren Herkunftsländern bekommen hätten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt einen Dissenspunkt. Wir sind anders als Sie der Meinung, dass wir dann auch andere, legale Zugangswege nach Deutschland eröffnen müssen. Da geht es um ein Einwanderungsgesetz; es ist bitter nötig. Das gehört in diesem Zusammenhang auch gesagt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber jetzt, Herr Minister, kommen wir zu Ihrem Interview. Ich bin diese Woche mal wieder von meiner Hochschule hierher angereist. Ich kam bei der Vorbereitung auf meine Rede am heutigen Tag nicht umhin, Parallelen zwischen dem, was ich am Montagmorgen gesagt habe, und dem, was ich jetzt sage, festzustellen.

Der erste Punkt, den ich am Montagmorgen den Studierenden gesagt habe, war: Wenn ihr Behauptungen aufstellt, dann braucht ihr gute Argumente, dann müsst ihr Belege anführen, dann braucht es seriöse Quellen. Herr Innenminister, das erwarte ich auch von Ihnen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt haben Sie gesagt, Sie hätten diese Zahl nicht nennen sollen. Aber Sie haben in Ihrer Rede deutlich gemacht, dass Sie inhaltlich überhaupt nichts zurücknehmen. Herr Innenminister, das ist nicht ausreichend.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich zitiere Sie:

Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für nicht transportfähig erklärt werden.

Genauso gut hätten Sie jetzt sagen können: Ja, genau, ich habe doch gesagt, es kann nicht sein. – Damit hätten Sie auch nichts zurückgenommen.

Wenn Sie eine Behauptung aufstellen, dann müssen Sie sie entweder belegen – was Sie nicht können – oder sie richtig zurücknehmen. Das ist meine Erwartung.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum zweiten Punkt, der am Montag wichtig war. Ich habe den Studierenden gesagt: Fehler dürft ihr machen – dann lernt ihr vielleicht sogar etwas dabei –, aber bitte wiederholt die Fehler nicht; denn wenn ihr Fehler wiederholt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass ihr nichts gelernt habt.

Da komme ich zu Ihrer Aussage aus dem letzten Herbst, Sie haben gesagt: Ungefähr 30 Prozent der Menschen, die kommen und behaupten, sie seien Syrer, sind gar keine. Es gebe Flüchtlinge, die sich Taxis bestellen und erstaunlicherweise das Geld hätten, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren.

(Zuruf des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Herr Innenminister, auch für diese Punkte hatten Sie keine Belege.

Vielleicht erwarten Sie jetzt hier von einem Mitglied einer Koalitionsfraktion Unterstützung und Rückendeckung, aber ich erwarte von meinen Studierenden und am Ende auch von meinem Innenminister, dass sich Fehler nicht wiederholen. Sie laufen immer wieder in die Falle hinein, dass Sie Dinge behaupten, hinter denen Sie am Ende nicht stehen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Ich habe dann von irgendeinem Staatssekretär einen Brief bekommen, in dem stand, dass solche Aussagen zur Darstellung des Gesamtbildes möglich sein müssen. Jetzt frage ich Sie: Wo ist denn hier ein Gesamtbild entstanden?

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist eine Aussage in der Welt, die das soziale Klima in unserem Land vergiftet. Das ist brandgefährlich.

Zum dritten Punkt. Die Studierenden kommen manchmal nicht ganz pünktlich; es war dann der böse Verkehr oder ein Zug ist ausgefallen. Meine dritte Botschaft an diesem Montagmorgen war: Leute, bitte übernehmt für euch Verantwortung. Herr Minister, mir fällt auf, dass Sie immer jemanden finden, der schuldig ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

In der Vergangenheit waren es die Flüchtlinge, die sich nicht dankbar für das Essen zeigen, oder die Bundesländer, die nicht kooperieren. In diesem Fall sind es die Ärztinnen und Ärzte, die nicht das tun, was Sie für richtig halten.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)

Herr Minister, es war in den letzten Monaten nicht einfach, aber unter der Aufsicht Ihres Ministeriums sind Asylanträge schon liegen geblieben, da hatten wir noch gar keine Flüchtlinge.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich befürchte, dass die Registrierungszentren zu dem Zeitpunkt perfekt funktionieren, wenn wir gar keine Flüchtlinge mehr haben. Darüber könnte man sich amüsieren, wenn es nicht so traurig wäre.

(Ute Bertram [CDU/CSU]: Was ist denn mit Ihrem Minister, den Sie in Niedersachsen stellen?)

Es gibt derzeit 500 000  – eine halbe Million! – aufgelaufene Verfahren. Menschen sind in unbekannter Zahl über die Grenzen gekommen, ohne dass sie registriert worden sind. Wir verlangen von den Menschen, dass sie sich integrieren, aber wir liefern ihnen nicht die ausreichenden Angebote für Integrationskurse. Das alles liegt in erster Linie in Ihrer Verantwortung. Dafür trägt niemand anders Verantwortung.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen ist meine Botschaft: Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht. Schieben Sie die Probleme unseres Landes nicht auf Dritte.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6946679
Wahlperiode 18
Sitzung 179
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren
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