Andrea LindholzCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um es gleich vorwegzusagen: Selbstverständlich werden wir diejenigen, die in Deutschland berechtigt Schutz suchen, bei uns aufnehmen und ordnungsgemäß integrieren. Das steht auch heute nicht im Fokus der Debatte. Im Fokus der heutigen Debatte steht die Frage nach der Zahl der Rückführungen nicht schutzberechtigter Personen aus Deutschland.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist nicht das Thema der Aktuellen Stunde!)
Des Weiteren geht es in der heutigen Debatte um eine Aussage des Innenministers, die auf folgender Frage basiert:
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Die falsch war! Die einfach falsch war!)
Nordrhein-Westfalen konnte bisher nur 20 der 1 300 abgelehnten Asylbewerber in ihr Land zurückbringen. Macht sich der Staat nicht lächerlich? – Es ging bei dieser Frage also um das Thema der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Der Innenminister hat heute klar zum Ausdruck gebracht, dass er die Zahl „70 Prozent“ nicht hätte nennen dürfen. Darum allein aber geht es nicht. Es geht darum, dass wir die Probleme, die bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber bestehen, nicht ignorieren bzw. kleinreden dürfen. Denn Probleme nicht anzusprechen, ist Wasser auf die Mühlen der Populisten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
In Deutschland wird nach wie vor jeder dritte Asylantrag abgelehnt. Die Schutzquote liegt aktuell bei 61 Prozent. Eine Rückführung wird aber weder in Deutschland noch in Europa in gleichem Maße betrieben. Deswegen haben alle 16 Innenminister der Länder – auch die mit grüner und linker Regierungsbeteiligung – gemeinsam mit dem Bundesinnenminister in ihrer Schengener Erklärung vom 16. Juni wörtlich gefordert:
Insbesondere muss für Schutzsuchende eine faire Zuständigkeitsregelung zwischen den Mitgliedsstaaten gefunden werden. Dazu gehört auch, dass die Schengen-Mitgliedsstaaten ein effektives Rückführungsmanagement betreiben.
Das ist nicht unmenschlich, sondern notwendig und erforderlich.
Die EU-Kommission berichtet, dass weniger als 40 Prozent der ausgewiesenen irregulären Migranten die EU tatsächlich verlassen. Bei uns ist der Wert noch deutlich niedriger. Am 31. Mai 2016 waren im Ausländerzentralregister 224 396 ausreisepflichtige Personen registriert, und von Januar bis Mai wurden gerade einmal 11 294 Personen zurückgeführt. Das heißt also, die Ausreiseverpflichtung wird nur in 5 Prozent aller Fälle zwangsweise durchgesetzt. Selbst wenn ich die freiwilligen Ausreisen mit etwas über 20 000 Personen hinzunehme, komme ich gerade einmal auf 14 Prozent aller Fälle. Hier von einer schnellen und inhumanen Rückführung zu sprechen, wie es heute teilweise angeklungen ist, kann auf gar keinen Fall akzeptiert werden.
Die angesprochenen Probleme sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern wurden in einer Analyse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe identifiziert, die ganz klar festgestellt hat, dass die Rückführung deshalb oft nicht funktioniert, weil die Verwaltung überfordert ist, weil die Identität der Migranten nicht geklärt ist, weil die Reisepapiere fehlen und weil medizinische Gründe vorgeschoben werden, um Abschiebungen zu verhindern. Das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben. Deswegen haben wir gemeinsam in diesem Haus mit der Koalition mit dem Asylpaket II klare Vorgaben für die Ausgabe und Verwendung ärztlicher Atteste beschlossen.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gab es vorher auch schon!)
Es können nur noch schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankungen ein Abschiebehindernis darstellen.
Warum haben wir das gemacht? Weil es dafür eine Notwendigkeit gibt. Das sind Fakten, Herr Castellucci. Ich bin wirklich enttäuscht darüber, dass Sie heute in Ihrer Rede die Arbeit, die die Koalition in den letzten Monaten gemeinsam im Innenausschuss mit dem Innenminister geleistet hat, nicht gewürdigt haben. Wir haben vieles geregelt, viele Pakete geschnürt und viele Gesetze verabschiedet, was Sie mit nichtssagenden Worten zur Seite geschoben haben, als wären Sie dafür nicht mitverantwortlich gewesen, als würde die Arbeit nicht auch Ihre Handschrift tragen. Man kann nicht auf der eine Seite in der Regierung sein, aber dann heute Opposition spielen. Das funktioniert nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Noch ein Wort zu den Ärzten. Natürlich dürfen Ärzte nicht unter Generalverdacht gestellt werden.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun Sie aber!)
Aber auch diese Unterstellung ist geradezu absurd.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorgeschoben, haben Sie selber gesagt!)
Mir, die ich aus einem Arzthaus komme – ich habe drei Geschwister, die Ärzte sind –,
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, mein Bruder ist auch Arzt!)
das zu unterstellen, liegt völlig neben der Sache. Ärzte haben die Pflicht, nach ihrem medizinischen Verständnis Patienten zu behandeln. Das stellt hier überhaupt niemand in Abrede.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Der Minister schon!)
Ich glaube, dass wir mit der Neuregelung, die wir im Asylpaket II getroffen haben, auch den Ärzten etwas mehr an die Hand gegeben haben.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die haben sich richtig doll darüber gefreut!)
Die Arbeitsgemeinschaft Rückführung hat diese Probleme aufgezeigt. Damit sage ich nicht, dass die Ärzte falsche Atteste ausstellen. Aber es stellt sich die Frage, welche Erkrankungen für uns so gravierend sind, dass die Rückführung nicht erfolgen kann.
Derzeit sind viele Reformvorschläge für ein gemeinsames europäisches Asylsystem auf dem Weg, für einen europäischen Grenzschutz durch Frontex. Auf EU-Ebene arbeitet der Innenminister mit seinen Vorschlägen, die im Übrigen alle im Intranet abrufbar sind, an einer Lösung dieser Flüchtlingskrise mit, unter Beachtung der menschlichen Seite, aber auch unter Beachtung der effektiven Rückführung, die erfolgen muss. Das ist der richtige Weg – und nicht solche polemischen Debatten und Beschimpfungen, wie ich sie hier heute teilweise erlebt habe.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])
Die Kollegin Barbara Woltmann hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6946805 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 179 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu ärztlichen Attesten in Abschiebeverfahren |