23.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 179 / Tagesordnungspunkt 7

Susanne MittagSPD - Neuregelung des Kulturgutschutzrechts

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Griechenland, Italien, Ägypten, Türkei, Syrien, Irak und Deutschland: Was betrifft all diese Länder? Illegale Ausgrabungen von archäologischem Kulturgut, das ganz einfach nur zu Geld gemacht wird.

Archäologische Zeugnisse werden ohne Rücksicht auf Verluste oder Beschädigungen ausgegraben, historische Anlagen gesprengt oder komplette Museen gestürmt und geplündert. Besonders dramatisch ist die Situation seit einiger Zeit in Syrien und dem Irak, aber das wird jeder mitbekommen haben. Der IS verkauft Lizenzen für illegale Grabungen, erhebt Steuern für die Ausfuhr oder handelt selbst – so finanzieren zum Beispiel Terroristen ihren Krieg. Aber auch die organisierte Kriminalität beteiligt sich seit Jahren systematisch an illegalen Grabungen und dem weltweiten Handel von Kulturgütern, und zwar mit großem finanziellem Erfolg. Das ist die eine Seite der Medaille, die der Raubgräber und Grabräuber, die Kulturgüter ausgraben und mit ihrem leider sehr groben Vorgehen eine wissenschaftliche Untersuchung von Fundzusammenhängen eigentlich ausschließen.

Die andere Seite der Raubgräbermedaille ist aber auch hier in Deutschland zu finden, und das sind die Händler und Käufer, der Markt für archäologisches Kulturgut, der gerade in Deutschland sehr etabliert ist. Zum Teil wird er bestimmt – das muss man schon sagen – von Skrupellosigkeit und Gewinnorientierung. Die Bedingungen, wie die Güter auf den Markt kommen, werden nicht hinterfragt. Wer vom Fach ist, weiß, woher sie kommen.

Damit stelle ich nicht alle Kunst- und Antiquitätenhändler unter einen Generalverdacht. Aber man muss schon sagen: Auch in dieser Szene sind nicht alle edel, hilfreich und gut; die Regeln sind völlig klar.

2003 wurden mit der sogenannten Irak-Verordnung der Europäischen Kommission die Einfuhr, die Ausfuhr und der Handel von irakischem Kulturgut verboten; das müsste in der Szene bekannt sein. Die gleiche Regelung, die für das galt, was nach dem 6. August 1990 aus dem Irak ausgeführt wurde, wurde für syrisches Kulturgut im Dezember 2013 beschlossen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert seit 2015 ein Verbundprojekt mit rund 1,2 Millionen Euro, um das Dunkelfeld des illegalen Handels mit Kulturgut zu erhellen. Es gab einige erhellende Erkenntnisse, und sie sind sehr erschreckend. Seit August 2015 wurden 45 Auktionen und Onlineplattformen gesichtet und über 4 300 archäologische Objekte aus dem östlichen Mittelmeerraum – nur als Beispiel – wissenschaftlich begutachtet. Dabei wurde festgestellt, dass 561 Objekte, also 13 Prozent, aus Irak und Syrien stammen. Davon waren allerdings nur 2 Prozent von einer lückenlosen Provenienz begleitet, also mit einem Herkunftsnachweis ausgestattet und somit nicht zu beanstanden. 2 Prozent! 94 Prozent der Objekte hatten eine lückenhafte oder verschleiernde Provenienz.

Bislang reichten irgendwelche handschriftlichen Zettel, auf denen notiert war, dass das Objekt vom Boden oder aus einer Privatsammlung kommt – dass es so viele Böden und Privatsammlungen gibt, ist ja kaum zu glauben –, und auch der Flohmarkt wurde immer wieder gerne zitiert; auch von dort kamen offensichtlich sehr viele dieser Altertümer. 4 Prozent hatten überhaupt gar keine Nachweise. Trotzdem waren sie im Handel.

Das Zwischenergebnis zeigt, dass sich in Deutschland ein Markt etabliert hat, auf dem mit Objekten oft fragwürdiger Herkunft viel Geld verdient wird. Deswegen treffen wir mit dem neuen Kulturgüterschutzgesetz allen öffentlichen Beschwerden zum Trotz Regelungen, die hier in Deutschland den Handel mit Kulturobjekten aus den sogenannten Raubgrabungen verhindern sollen.

Ganz wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir im parlamentarischen Verfahren die Wertgrenze für archäologisches Kulturgut – sie ist schon erwähnt worden – auf null gesetzt haben. Es ist ja nicht zum ersten Mal passiert, dass Teile zerschlagen wurden, und dann wurden sie billiger.

Damit ist klar: Unabhängig vom Wert eines einzelnen archäologischen Objektes gelten endlich erweiterte Sorgfaltspflichten für gewerbliche Händler. Sie müssen die Identität des Verkäufers festhalten und eine Beschreibung sowie Abbildungen zur Identitätsfeststellung des Kulturgutes anfertigen. Darüber hinaus muss der Nachweis der Herkunft, der Provenienz des Kulturgutes geführt werden. Notwendig sind auch Dokumente, die die rechtmäßige Ein- und Ausfuhr belegen. Diese Dokumente müssen geprüft und dürfen nicht einfach so entgegengenommen werden.

Um diese Angaben in Zweifelsfällen aber überprüfen zu können, müssen Behörden auch auf einen unabhängigen Expertenpool zurückgreifen können; denn das ist nicht einfach, und daran fehlt es uns noch ganz massiv. Darüber hinaus müssen wir bei den anstehenden Haushaltsberatungen, die wir demnächst durchführen, dafür sorgen, dass wir zum Beispiel das Personal beim BKA so stärken, dass es überhaupt über den nötigen Sachverstand auf diesem Gebiet verfügt. Auch die Aus- und Weiterbildung für Zoll, Staatsanwaltschaften, Landesbehörden und Richter, um Verfahren in diesem schwierigen Themenkomplex überhaupt begleiten zu können, sind zu unterstützen.

Wir dürfen beim Blick nach Syrien und in den Irak in Bezug auf das Thema der Raubgrabungen nicht vergessen, dass auch unsere Gesellschaft Opfer von Raubgrabungen ist. Die berühmte Himmelsscheibe von Nebra, die 3 600 Jahre alt und die weltweit bekannteste konkrete Darstellung des Kosmos ist, stammt nicht aus einer regulären archäologischen Grabung. Nein, zwei Raubgräber – unterwegs mit einer Metallsonde – fanden dieses Kulturgut und haben den Fund verkauft, nachdem sie es mit Stahlwolle ein bisschen saubergemacht hatten. Das hat bei der Wissenschaft natürlich unheimlich geholfen.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nach einigen Verkaufsstationen konnte die Himmelsscheibe im Jahr 2002 bei einem fingierten Ankaufsangebot der Schweizer Polizei sichergestellt werden; sie wäre sonst weg gewesen.

Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz den Schutz von Kulturschätzen, die uns einen Blick zurück in die Vergangenheit erlauben, stärken. Im Rahmen der vorgesehenen Evaluierung werden wir die Schutzwirkung genau beobachten und das Gesetz gegebenenfalls nachschärfen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als Nächste spricht die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Electoral Period 18
Session 179
Agenda Item Neuregelung des Kulturgutschutzrechts
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