23.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 179 / Tagesordnungspunkt 10

Josip JuratovicSPD - Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und über die Mandatsverlängerung des Einsatzes deutscher Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mission. Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die Truppenstärke verringern werden von bisher 1 850 auf jetzt maximal 1 350 Soldatinnen und Soldaten in 12 statt bisher 14 Einsatzkompanien. Der negative Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist auch 17 Jahre nach dem Kosovo-Krieg noch nötig. Am Anfang meiner Rede ist mir jedoch besonders wichtig: Mein Dank und Respekt gilt zuallererst den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Tagen war ich im Kosovo. Nach mehreren früheren Reisen habe ich ein weiteres Mal erlebt, dass die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem Westbalkan im Allgemeinen desolat ist, um nicht zu sagen: verheerend. Am eindrucksvollsten wird dies bestätigt durch jene fast 50 000 Menschen aus dem Kosovo, die in den vergangenen zwei Jahren in Deutschland Asyl beantragt haben. Warum tun sie das?

Erstens. Trotz der Bemühungen, wirtschaftlichen Aufschwung in Gang zu setzen, liegt die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit, bei über 50 Prozent. Bei einem Rückkehrprojekt der Arbeiterwohlfahrt in Pristina wurde mir die Verzweiflung der Menschen vor Ort deutlich vor Augen geführt.

Zweitens. Pristina befindet sich seit langem in einer Dauerregierungskrise. Das parlamentarische Selbstverständnis ist schwach oder so radikal, dass der parlamentarische Weg nicht beschritten wird, sei es durch eine Opposition, die im Plenarsaal mit Tränengas wirft, oder schließlich durch Boykott des Parlaments. Die politischen Eliten kranken an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und Nationalismus. All das führt zu einer immensen Menschenflucht, entweder in Richtung EU oder in Richtung IS.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das passiert, obwohl wir seit Jahren im Kosovo aktiv sind. Deutschland hat seit 1999  450 Millionen Euro aus Töpfen der Entwicklungszusammenarbeit investiert. Die EU allein hat von 2007 bis 2013  635 Millionen Euro an IPA-Mitteln in das Kosovo gelenkt. Die gleiche Summe ist für 2014 bis 2020 veranschlagt. Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotzdem alles andere als glücklich. Im Kosovo selbst wird die EU zunehmend mit Skepsis betrachtet. Insbesondere die europäische Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX hat in der Bevölkerung den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu pflegen. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Wer gezwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen, wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein.

Nun könnte man argumentieren, dass wir unser Engagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst überlassen sollten. Dieser Gedanke mag verführerisch sein, weil er so einfach klingt. Das wäre aber verheerend für die Sicherheit und die Stabilität Europas. Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder Punkt mitten in der Europäischen Union; deshalb muss die EU gerade im Zeitalter globaler Krisen für eine europäische Zukunft des Westbalkans stärker politisch handeln.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Versetzen wir uns einmal in die Lage des Kosovo. Das Kosovo und seine Bevölkerung befinden sich in einem permanenten psychologischen Zustand der Ungleichheit in seiner Region, zum Beispiel bei der Frage der Visaliberalisierung: Als Einzige auf dem Westbalkan müssen Kosovaren für eine Reise in die EU immer noch ein Visum beantragen.

Ein anderer Aspekt: Die Nachbarstaaten des Kosovo sind auch nicht gerade vorbildliche Musterbeispiele für Sicherheit und Stabilität. Ganz wichtig für das Kosovo ist die Normalisierung seiner Beziehungen zu Serbien. Aber auch die neueste Entwicklung in Mazedonien kann für den Kosovo zur Bedrohung werden; denn Mazedonien unter der Regierungspartei VMRO ist weder ethnisch noch gesellschaftlich oder politisch ein Sicherheitsfaktor.

Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir an dieser Stelle noch eine Anmerkung zum Nachbarland Mazedonien. In Skopje und anderen Städten des Landes findet seit Wochen die sogenannte Bunte Revolution gegen die korrupte Regierung Mazedoniens statt. Diese Bürgerinnen und Bürger Mazedoniens verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung;

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

denn diese mutigen Menschen verteidigen mit letzter Kraft die demokratischen Werte in einem immer mehr nach rechts außen kippenden Europa.

Blicken wir wieder auf den Kosovo. Die Verlängerung des KFOR-Einsatzes ist leider auch Bestätigung dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten das Unvermögen der EU, das Thessaloniki-Versprechen von 2003 umzusetzen, ausgleichen müssen. Wir Europäer tragen also eine Mitverantwortung für die desolate Lage auf dem Westbalkan, zum Beispiel weil Mazedonien seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert oder weil im Kosovo mehr als 1 000 juristische Expertinnen und Experten von EULEX es seit Jahren nicht schaffen, eine vernünftige Korruptionsverfolgung aufzubauen. Die Glaubwürdigkeit der Argumente aus Brüssel schwindet bei den Menschen im Kosovo zunehmend. Deshalb sollte die EU jetzt dringend politische Handlungsfähigkeit beweisen:

Erstens. Das Kosovo braucht endlich eine gerechte Gleichbehandlung in der Region des Westbalkans. Dazu gehört auch die Umsetzung der Visaliberalisierung.

Zweitens. Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24 – Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte – stehen für die fundamentalen Werte der EU. Wenn man es mit EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für alle Westbalkanstaaten. Den Skeptikern unter uns will ich sagen: Eine Kapiteleröffnung bedeutet noch lange nicht die Schließung des Kapitels und auch keinen Automatismus, der zum EU-Beitritt führt. Die Kapiteleröffnung setzt aber gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben füllen können.

Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist aber: Wir müssen als EU endlich entschlossen politisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Soldaten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Vielen Dank. – Sevim Dağdelen spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6947066
Wahlperiode 18
Sitzung 179
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR)
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