Susann RüthrichSPD - Unterstützung queerer Jugendlicher
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Politikerinnen, Politiker, Ex-Fußballer, Fernsehstars: Schwules und lesbisches Leben ist in Deutschland zum Glück kein allzu starkes Tabu mehr. Einzelne queere Prominente sind ein wichtiges Zeichen gerade für Jugendliche. Eine noch größere Sichtbarkeit etwa von Trans- und Intermenschen wäre aber nötig; denn für Jugendliche auf der Suche nach der eigenen Lebensform ist es wichtig, auch verschiedene Rollenbilder zu sehen.
Frei von Diskriminierung ist das queere Leben leider trotzdem noch nicht – weder in den Medien noch in den Schulbüchern und leider auch nicht in unseren Gesetzen. Das bleibt nicht ohne Folgen für die jungen Menschen.
Ja, was bedeutet das für queere junge Menschen? Was wissen wir denn eigentlich von ihnen? Dass die Jugend eine absolut prägende und einzigartige Zeit ist, wissen wir. Deswegen hat sich das Bundesfamilienministerium mit Manuela Schwesig auf die Fahnen geschrieben, eine eigenständige Jugendpolitik zu machen. Wir wissen auch, „die Jugend“ gibt es heute gar nicht, schon gar nicht „die Jugend von heute“. Die Jugendlichen sind sehr vielfältig und haben nicht alle die gleichen Bedürfnisse. Aber was bedeutet das nun wieder für die Jugendlichen?
Um die Bedeutung zumindest für die queeren Jugendlichen besser zu verstehen, hat das Bundesfamilienministerium gemeinsam mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld die Studie des Jugendinstitutes „Coming-out – und dann …?!“ gefördert. Es wurde schon erwähnt: Die Ergebnisse sind absolut eindrücklich. Sehr viele Jugendliche, die eben nicht hetero lieben oder die sich nicht in der zugewiesenen Kategorie Junge/Mädchen, Mann/Frau selbst erkennen, berichten davon, dass sie aus Angst vor den Reaktionen von Freunden und Familie ihre wahren Gefühle lange verdrängten.
Während dieser meist jahrelangen Unterdrückung der tatsächlichen sexuellen und geschlechtlichen Identität entwickeln sich oft psychische oder psychosomatische Symptome. Die Zahl der Suizidversuche und Suizide bei diesen Jugendlichen ist signifikant höher.
Vielen Betroffenen ist ja lange klar, was sie eigentlich fühlen und erleben. Die Mutter eines Transkindes hat uns im letzten Jahr in der Kinderkommission berichtet, dass ihr Kind bereits mit vier Jahren gesagt hat: Mama, ich bin ein Junge. – Es wollte nicht als Mädchen angesprochen werden. Das öffentliche Coming-out – das sagt die Studie – gerade bei Transpersonen findet im Durchschnitt mit 18 Jahren statt. Das innere Coming-out liegt oft weit, weit vor dem öffentlichen Coming-out.
Was bedeutet es für die Zukunft und Identität von intergeborenen Kindern, wenn sie begreifen, dass Ärzte und Eltern eine irreversible Operation nach der Geburt zur „Anpassung“ des Geschlechts an die optischen Merkmale von Junge oder Mädchen vorgenommen haben? Damit sind nicht selten lebenslange Hormontherapien, Unfruchtbarkeit und Fremdheitsgefühl im eigenen Körper verbunden.
Wie geht es denn einem Jugendlichen damit, wenn „schwul“ das verbreitetste Schimpfwort auf einem Schulhof ist? Wem fällt denn dann das eigene Coming-out leicht?
Das alles sind Beispiele, die zeigen, unter welchem enormen Druck diese Jugendlichen stehen. Gerade Schule spielt da eine zentrale Rolle. Das ist ein Lebensbereich, dem sich kein Jugendlicher entziehen kann.
(Sönke Rix [SPD]: Möchte er aber manchmal!)
Und es gibt immer wieder Beispiele, in denen Schulleitungen, Lehrkräfte und dann auch die Mitschülerinnen und Mitschüler völlig überfordert sind von dem Thema.
Das ist ja auch kein Wunder: Solange in Schulmaterialien nur heterosexuelle Lebens- und Liebensweisen und eine klare Zweigeschlechtlichkeit reproduziert werden, so lange wird das andere Empfinden als Abweichung empfunden.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])
Wir haben also noch einen Weg vor uns, damit alle Jugendlichen tatsächlich ihre Persönlichkeit frei entfalten können, wie es das Grundgesetz garantiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was ist zum Beispiel zu tun? Klar, das fängt – erstens – an mit Unterstützung, Beratung und Begleitung dieser Jugendlichen, zweitens der Fachkräfte und drittens der Lehrer. Dafür gibt es in Deutschland – Herr Petzold hat das gerade gesagt – hervorragende und spezialisierte Beratungsstellen. Diese müssen eine verlässliche und ausreichende Finanzierung und strukturelle Absicherung haben. Doch diese spezialisierten Beratungsstellen und Initiativen reichen allein nicht; denn sie sind eben nicht überall für jeden Jugendlichen in erreichbarer Nähe. Dafür braucht es mehr: zum einen digitale Informationsangebote, zum anderen die Verankerung der Themen genau dieser Jugendlichen in allen Regelstrukturen, in allen Beratungsstrukturen und in der gesamten Jugendhilfe.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Beratung darf sich aber nicht nur auf die Schule richten, sondern muss sich genauso auf Kita, Arbeitswelt, Vereine und Freizeiteinrichtungen richten.
Aber es fängt noch früher an, wie wir in der interfraktionellen Arbeitsgruppe „inter und trans“, zu der ich einlade, festgestellt haben. Wir sind für ein Verbot von geschlechtsanpassenden Operationen an nicht einwilligungsfähigen Interkindern, es sei denn, es bestünde Gefahr für Leib und Leben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die interministerielle Arbeitsgruppe unter Leitung des Familienministeriums prüft derzeit die Notwendigkeit eines Verbots. Ich hoffe auf eine Klarstellung im Sinne der Selbstbestimmung und des Rechts auf eine offene Zukunft für diese betroffenen Kinder. Dabei ist klar: Die Familien dürfen mit der Situation nicht alleingelassen werden und brauchen Beratung und Unterstützung.
Diskriminierung, ja sogar Pathologisierung, ist nicht weiter hinnehmbar.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deswegen wollen wir im Nationalen Aktionsplan gegen Diskriminierung klarstellen: Es müssen die Merkmale „sexuelle und geschlechtliche Identität“ enthalten sein. Deshalb muss er erweitert werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Jugendlichen sollen sich zu der Persönlichkeit entwickeln können, die sie selbst in sich wissen. Wir haben die Aufgabe sowohl als Politik als auch als Gesellschaft, sie dabei nach besten Kräften zu unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Koob von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6947193 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 179 |
Tagesordnungspunkt | Unterstützung queerer Jugendlicher |