24.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 180 / Tagesordnungspunkt 28

Thorsten FreiCDU/CSU - Flüchtlingsschutz - Verantwortungsteilung in der EU

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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist jeder Tote im Mittelmeer ein Toter zu viel.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, dann machen Sie doch was!)

– Jetzt hören Sie doch bitte erst einmal zu.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann machen Sie doch was!)

– Das werde ich Ihnen sofort erklären, liebe Frau Hänsel. – Natürlich bedrückt uns die Tatsache, dass seit Beginn des Jahres 2014  10 000 Menschen im Mittelmeer gestorben sind. Deswegen haben wir die Anträge von Grünen und Linken sehr aufmerksam gelesen.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wenn das reichen würde!)

Aber ich muss Ihnen sagen, dass Sie sowohl in der Analyse als auch in den Schlussfolgerungen, die Sie daraus ziehen, danebenliegen.

Einige Punkte sind in dieser Debatte bereits genannt worden. Erstens. Natürlich kann es nie gelingen, ein Netz zu spannen, das alle, die im Mittelmeer in Lebensgefahr sind, schützt. Zweitens. Damit setzt man natürlich auch Fluchtanreize und unterstützt vor allen Dingen das dreckige Geschäft von Schleppern insoweit, als man Gefahr läuft, das letzte Stück der schmutzigen Arbeit der Schleuser, die Menschen auf ihren Kähnen auf hohe See bringen und dort ihrem Schicksal überlassen, mitzuerledigen. Deswegen glaube ich: Das, was wir tun, ist erstens gut und zweitens richtig.

Ich bitte Folgendes zu bedenken: Die Frontex-Operationen Triton und Poseidon haben inzwischen qualitativ und quantitativ das Ausmaß von Mare Nostrum angenommen. Darüber hinaus gibt es EUNAVFOR MED und die NATO-Operation in der Ägäis. Fakt ist, dass Europa noch nie so viel Personal, noch nie so viel Kapazitäten und noch nie so viel Geld in die Waagschale geworfen hat, damit wir am Ende erfolgreich sein können. Die Zahlen bestätigen das: In den vergangenen zwölf Monaten wurden 60 000 Menschen von Frontex gerettet, 15 000 bis 16 000 Menschen sind alleine durch deutsche Marinesoldaten im Rahmen von EUNAVFOR MED gerettet worden, und in der Ägäis ist überhaupt niemand mehr gestorben, weil die Westbalkanroute zu ist und es die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Türkei gibt.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Grenze zu Syrien sind Menschen gestorben!)

Herr Kollege Frei, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dağdelen?

Bitte schön.

Bitte schön, Frau Kollegin.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Frei, dass Sie die Zwischenfrage zugelassen haben. Ich gehe davon aus, dass es aufrichtig gemeint ist, dass man das Massensterben im Mittelmeer beenden möchte, und es ist schön, dass es Maßnahmen gibt, die dazu beigetragen haben, Flüchtlinge aus Seenot zu retten. Allerdings muss ich hinzufügen: Es gibt im Moment kein Seenotrettungsprogramm im Mittelmeer, sondern das wird nebenbei gemacht.

Insofern würde ich gerne Folgendes wissen: Wenn es aufrichtig gemeint ist, wenn man sagt, dass man Menschenleben retten möchte, wäre es dann nicht sinnvoller, eine einfache Maßnahme zu ergreifen und in § 63 Absatz 3

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Welches Gesetz?)

die Sanktionsregelungen für Beförderungsunternehmen abzuschaffen, damit ein Mensch beispielsweise auch dadurch vor Verfolgung und Krieg flüchten kann und Schutz entsprechend der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Genfer Flüchtlingskonvention etc. pp. suchen kann, dass er einfach ein Flugzeug besteigt, anstatt Tausende Euro an Schlepperbanden bezahlen zu müssen, die ihn schlecht behandeln, anstatt in Todesschiffe steigen zu müssen mit dem Risiko, dass er gar nicht lebendig ankommt? Das ist eine Maßnahme, die möglich wäre und vor allen Dingen weniger kosten würde als alle Programme, die man mit Millionen und Milliarden Euro bestückt, um zu verhindern, dass Menschen sterben. Fakt ist, dass die Menschen weiterhin sterben. Allein in diesem Jahr sind es bereits 2 500 Tote.

Frau Dağdelen.

Das wäre eine kleine, einfache, ganz konkrete Maßnahme, die zur Beendigung des Massensterbens im Mittelmeer beitragen könnte. Ist das nicht eine Möglichkeit? Das würde weniger kosten als all Ihre Maßnahmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nein, Frau Kollegin Dağdelen, das ist aus unserer Sicht keine Möglichkeit. Ich werde gleich noch etwas zum Thema „legale Migration“ sagen. Wenn Sie glauben, dass man 1,8 Millionen illegale Grenzübertritte nach Deutschland im vergangenen Jahr zu legalen Grenzübertritten machen sollte, sage ich dazu klipp und klar Nein. Es gibt andere Dinge, mit denen wir versuchen, dieses Problem nachhaltig zu lösen.

Es ist falsch, wenn Sie sagen, dass EUNAVFOR MED vor der Küste Libyens die Seenotrettung sozusagen nur nebenbei erledigen würde.

(Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])

Nein, es ist geradezu nachhaltig, wenn man darüber hinaus auch gegen Schlepper und Schmuggler vorgeht, auch gegen Waffenschmuggler, und man einen Beitrag dazu leistet, auf mittlere Sicht letztlich auch Marine und Küstenschutz zu ertüchtigen, ihre Aufgaben zu erledigen.

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: 16 000 Gerettete alleine durch die deutsche Marine!)

Es geht doch darum, das Problem nachhaltig zu lösen, und nicht darum, Strohfeuer zu löschen. Es ist richtig, dass es eine humanitäre Pflicht zur Seenotrettung gibt. Wer den Einsatz aber auf die Seenotrettung begrenzt – das tun Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen auch –,

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir gar nicht!)

wer sagt, dass das Mandat, über das wir nachher sprechen werden, kontraproduktiv und hochriskant ist, und alles andere außer Acht lässt, der ist letztlich naiv. Das wollen wir nicht. Deshalb ist das, was wir machen, richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie haben einen richtigen Satz gesagt. Natürlich muss es das Ziel sein, dass die Menschen gar nicht erst die schwierige Fahrt über das Mittelmeer machen. Deswegen muss man an dieser Stelle auch sagen, dass man etwas tun muss, um Fluchtursachen zu bekämpfen.

(Zurufe von der LINKEN: Ja!)

In Ihrem Antrag werfen Sie uns aber vor, diesbezüglich bliebe alles vage. Das ist doch überhaupt nicht so. Erst in dieser Woche hat die Bundeskanzlerin in mehreren Reden darauf hingewiesen,

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die redet viel!)

dass die Bekämpfung von Fluchtursachen und Migration wahrscheinlich die größte Herausforderung in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts sein wird.

Schauen Sie sich die Maßnahmen der Europäischen Union an, beispielsweise die Tatsache, dass die Europäische Union im Rahmen eines Migrationspaktes 8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 zur Verfügung stellen möchte; gehebelt durch private Folgeinvestitionen soll diese Summe auf 64 Milliarden Euro anwachsen. Denken Sie daran, dass die Europäische Investitionsbank in den nächsten fünf Jahren ihre Projektmittel verdoppeln möchte und 6 Milliarden Euro zur Verfügung stellt – gehebelt durch private Mittel wächst dies letztlich auf 15 Milliarden Euro an –, um insbesondere Länder wie Jordanien, den Libanon und die Türkei, aber auch afrikanische Länder zu unterstützen, um dort letztlich Perspektiven zum Bleiben zu stärken. Ich glaube, dass das der richtige Ansatz ist und dass er im Übrigen auch lohnend ist. Wir wissen, dass wir in Deutschland in diesem und im nächsten Jahr insgesamt 50 Milliarden Euro aufzuwenden haben, um die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen zu gewährleisten. Ich glaube, dass dieses Geld in den Herkunftsländern sehr viel besser angelegt ist.

Ich will zuletzt sagen: Ja, es ist falsch, wenn Sie behaupten, dass wir nichts tun, um legale Migration zu ermöglichen. Natürlich hat die Kommission einen Vorschlag vorgelegt, durch den die Bluecard reformiert werden soll. Aber wir verstehen vielleicht etwas anderes darunter. Wir können über ein Einwanderungsgesetz reden, aber Einwanderung heißt, dass wir die zu uns holen, die unsere Gesellschaft tatsächlich weiterbringen. Wir können im Rahmen der legalen Migration auch über Resettlement-Programme sprechen.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine sind Flüchtlinge, das andere ist Migration!)

Aber wir können illegale Migration nicht wie in der Vergangenheit eins zu eins zu legaler Migration machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen muss man darüber sprechen, ob man die Seenotrettung nicht anders vornehmen sollte. Man muss auch überlegen, ob es nicht besser ist, Möglichkeiten zu finden, Flüchtlinge erst gar nicht auf das europäische Festland zu bringen. Diese Abschreckungseffekte sollen sich nicht gegen Flüchtlinge, sondern letztlich gegen Schlepper richten. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Wir dürfen uns durchaus anschauen, wie das in anderen Ländern geschieht, die damit erfolgreich sind und letztlich verhindern, dass es Tote auf See gibt.

Über all diese Themen sollten wir uns Gedanken machen. Dann wird eine nachhaltige Lösung daraus und kein ideologisches Strohfeuer, wie wir es hier in Ihren Reden erlebt haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Dr. Birgit Malecha-Nissen, SPD-Fraktion, das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6950209
Wahlperiode 18
Sitzung 180
Tagesordnungspunkt Flüchtlingsschutz - Verantwortungsteilung in der EU
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