Birgit Malecha-NissenSPD - Flüchtlingsschutz - Verantwortungsteilung in der EU
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns ist der 20. März ein wichtiges Datum, wir sprechen von der Zeit davor und der Zeit danach. Das war der erste Satz meiner Gesprächspartnerin des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen auf der griechischen Insel Lesbos. Griechenland stand und steht vor einer riesigen Herausforderung. Mit dem EU-Türkei-Abkommen am 20. März 2016 hat sich die Situation grundlegend geändert. Vor dem 20. März waren die griechischen Inseln Durchgangsstation der vielen verzweifelten Menschen, die Schutz vor Krieg und Verfolgung auf ihrem Weg nach Nordeuropa suchten. Nun bleiben sie und wissen nicht, wie es weitergeht.
Deshalb war es mir besonders wichtig, vor einem Monat nach Lesbos zu reisen, um mir dort einen eigenen Eindruck von der Situation der Flüchtlinge und der Seenotrettung vor Ort zu verschaffen. Besonders beeindruckt hat mich das großartige Engagement der Hilfsorganisationen, der ehrenamtlichen Freiwilligen und der griechischen Kommune mit ihrer Verwaltung. Sie alle leisten unermüdliche Arbeit, um den Menschen das Leben in den Flüchtlingslagern zu erleichtern. Trotzdem sind die Verhältnisse bedrückend, so auch im Flüchtlingslager Kara Tepe, das ich besucht habe. Es sind vor allem die Enge, die keine Privatsphäre zulässt, und seit dem 20. März die Ungewissheit, wie es weitergeht. Griechenland ist weder finanziell noch personell genügend ausgestattet und braucht dringend weitere Unterstützung aus Europa.
Retter helfen Rettern – das ist der zeitlich befristete Unterstützungseinsatz der nordeuropäischen Seenotrettungsgesellschaften auf Anforderung ihrer griechischen Kollegen. Aus Deutschland ist der Seenotrettungskreuzer „Minden“ im Einsatz. Zwei ehrenamtliche Einsatzgruppen mit je 16 Frauen und Männern sind jede Nacht bis zum Morgengrauen unterwegs, um Menschen aus Seenot in Sicherheit zu bringen. Vielen Dank für dieses außerordentliche Engagement und diesen Einsatz.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass sich die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger rein aus Spenden finanziert. An dieser Stelle ein großes Dankeschön allen Menschen, die diese wertvolle lebensrettende Arbeit unterstützen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt ist es ruhig, wurde mir vor Ort auf Lesbos gesagt. Das heißt jedoch mitnichten, dass sich keine Menschen mehr auf den gefährlichen Seeweg machen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was ist mit den Hotspots auf Lesbos?)
Denn die Flüchtlingsbewegungen haben sich wieder über das Mittelmeer mit dem Ziel Italien verschoben. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind fast 3 000 Geflüchtete auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen, in der letzten Maiwoche 880. Das ist bereits eine humanitäre Katastrophe. Dafür müssen wir uns alle schämen.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wieso müssen wir uns schämen?)
Damit dürfen wir uns auch nicht abfinden.
(Beifall bei der SPD)
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich möchte in diesem Zusammenhang noch einmal nach Italien blicken und auf die Operation Mare Nostrum der italienischen Regierung in den Jahren 2013 und 2014 hinweisen, die vielen Menschen das Leben gerettet hat. Sie wurde im Oktober 2014 eingestellt, verbunden mit der Forderung Italiens, die Seenotrettung auf europäische Ebene zu heben.
Die seit 2005 eingesetzte EU-Grenzschutzagentur Frontex kann und konnte dieser Aufgabe nicht gerecht werden, da sie eben nur in Küstengewässern unterwegs ist. Täglich erreichen uns seit 2015 die dramatischen Bilder vom Mittelmeer. Handelsschiffe wurden vermehrt von der internationalen Leitstelle zur Koordinierung der Seenotrettung angefordert und haben insgesamt großartige Arbeit geleistet. Mit ihrer Hilfe wurden fast 60 000 Menschen gerettet. Das ist eine außerordentliche und unvorstellbare Leistung. Unseren herzlichen Dank dafür. Das hat jedoch die Seeleute auch an ihre körperlichen und psychischen Grenzen gebracht. Seenotrettung kann und darf nicht Aufgabe der Handelsschifffahrt sein.
Zu den Forderungen im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen möchte ich klarstellen: Die finanzielle Belastung der Reedereien existiert faktisch nicht, weil die operativen Kosten der Seerettungseinsätze durch die Schiffsversicherer nahezu vollständig abgedeckt sind. Auch die strafrechtliche Verfolgung von Kapitänen wegen des Absetzens von Drittstaatsangehörigen aus Seenot hat nach Aussagen des Verbandes Deutscher Reeder nicht stattgefunden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist gehandelt worden. Seit Mai letzten Jahres werden deutsche Marineschiffe der Bundeswehr für die Seenotrettung eingesetzt. Sie sind seither in unermüdlichem Einsatz. Vielen Dank an die Soldatinnen und Soldaten. Das hat die Handelsschifffahrt massiv entlastet. Sie wird heute kaum mehr dazu aufgefordert.
Ich möchte auch noch auf den Antrag der Linken eingehen. Sie fordern darin die Abschaffung der Sanktionsregeln für Beförderungsunternehmen, insbesondere für die Schifffahrt. Ich finde das nicht zielführend. Der Antrag ist im Ausschuss abgelehnt worden. Das würde in der Praxis eine Verlagerung der Verantwortung auf die Schiffsgesellschaften, auf die Menschen, auf die Seeleute bedeuten. Dabei haben wir gerade festgestellt, dass die Handelsschiffe entlastet worden sind. Um das klarzustellen, sage ich: Bisher sind keine Zwangsgelder an Schifffahrtsunternehmen verhängt worden.
Frau Kollegin, die Redezeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe gerade: Meine Zeit läuft ab.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die Redezeit! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist längst abgelaufen!)
– Ja, die Redezeit. – Wir brauchen dringend einen verstetigten Ausbau der Seenotrettung. Das können wir nur gemeinsam mit allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union tun.
Die Schritte, die wir bis dahin machen, kann ich nicht mehr alle nennen. Ich bedanke mich trotzdem ganz herzlich und wünsche noch einen weiteren guten Verlauf.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6950210 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 180 |
Tagesordnungspunkt | Flüchtlingsschutz - Verantwortungsteilung in der EU |