24.06.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 180 / Tagesordnungspunkt 28

Alexander HoffmannCDU/CSU - Flüchtlingsschutz - Verantwortungsteilung in der EU

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, ich spreche für das ganze Haus, wenn ich sage, dass uns die Bilder, die wir vom Mittelmehr sehen, nicht loslassen. Ich spreche in meinem Wahlkreis oft mit Grundschülern. Selbst die Grundschüler berichten von den Bildern, die sie sehen. Sie berichten von ertrunkenen Menschen, darunter Kinder.

Ich will Ihnen von der Opposition sagen: Ich empfinde es an einem Tag wie heute ein Stück weit fast schon unredlich, wenn Sie auch bei dieser Debatte wieder dieses Zerrbild von zwei Lagern skizzieren.

Da ist das eine Lager. Da sind Sie drin. Das sind die Guten. Das sind diejenigen, die die ganze Zeit unentwegt Vorschläge unterbreiten, wie man das Massensterben im Mittelmeer unterbinden kann.

Im anderen Lager sind die Unmenschen. Da sitzt selbstverständlich auch die Bundesregierung drin.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie der Rede zugehört? Haben Sie den Antrag gelesen?)

Da sind diejenigen drin, die nach Ihrer Einschätzung für Abschottungspolitik stehen, und diejenigen – so ist es heute wieder gesagt worden –, die Schuld oder Mitschuld daran tragen.

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie forcieren dieses Bild! Erzählen Sie doch nicht so einen Quatsch!)

Das mündet dann in Ihren Vorschlag, dass wir mit sicheren Einreisewegen von Nordafrika nach Europa und mit einer weiteren Ausdehnung von Frontex bis an die libysche Küste – das ist Ihre Quintessenz – das Sterben im Mittelmeer werden verhindern können.

Ich sage Ihnen: Das hört sich einfach an. Aber so einfach, wie es sich anhört, so naiv ist es auch. Denn Sie haben in beiden Reden zu diesem Thema zwei große Realitäten ausgeblendet.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Aha! Und welche?)

Die erste Realität ist, dass in Afrika schon heute 15 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Es gibt Schätzungen, nach denen 50 Millionen Menschen aus Afrika nach Europa wollen.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind das die vom Innenminister?)

Die zweite – fast tragische – Erkenntnis ist, dass das größte Flüchtlingsgrab nicht das Mittelmeer, sondern vermutlich die Sahara ist. Es gibt Schätzungen, dass dort womöglich schon bis zu 1 Million Flüchtlinge ums Leben gekommen sind, Menschen, die getötet wurden, die verdurstet oder verhungert sind; dort werden Kinder verschleppt und Frauen vergewaltigt.

Wenn man sich einmal konkret mit der Situation in Agadez auseinandersetzt – Agadez ist eine Stadt im Niger, die Hauptstadt der gleichnamigen Region; sie liegt genau an der Route von Westafrika nach Libyen und ist der Ausgangspunkt für Fahrten in die Wüste –, dann muss es einen beschäftigen, dass dort im letzten Jahr täglich teilweise bis zu 15 000 Flüchtlinge durchgeschleust wurden. Dort sind das Schleusen bzw. der Transport von Flüchtlingen und alles, was dazugehört, ein großer Wirtschaftszweig. Menschen, die es geschafft haben, nach Libyen oder Ägypten zu kommen, berichten von Leichen am Wegesrand.

Wenn ich mir die Frage stelle, was passieren würde, wenn wir legale Einreisewege von Nordafrika etablieren würden, dann wage ich die Behauptung, wir würden Gefahr laufen, dass wir in Agadez nicht mehr Tausende, sondern Zehntausende und in der Sahara nicht mehr Zehntausende, sondern Hunderttausende Flüchtlinge haben würden.

Ähnliche Erfahrungen haben wir im Hinblick auf Ihren zweiten Vorschlag gemacht. Es gab ja schon den Versuch, diverse Operationen weiter in den Mittelmeerraum hinein agieren zu lassen. Die Erkenntnis, würde ich sagen, war eher ernüchternd.

Was ist passiert? Die Schleuserbanden haben die Flüchtlingsboote noch viel voller gepackt, haben noch viel jämmerlichere Nussschalen – so möchte man fast sagen – genommen, haben die Menschen auf das Mittelmeer hinausgeschickt und ihnen gesagt – bitte nicht falsch verstehen! –: Ihr werdet ja jetzt früher herausgefischt.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt Ihr Vorschlag? – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich teile die Analyse! Aber was ist die Lösung?)

Ich glaube, dass wir uns bei allem, was wir tun, natürlich auch die Frage stellen müssen: Schaffen wir damit nicht falsche Anreize? Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, letztendlich auch der Punkt, an dem Sie unvollständig agieren, weil Sie nur auf das Mittelmeer schauen.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist denn jetzt Ihr Ansatz? – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unsere Verantwortung dort!)

Wenn wir nämlich über Anreize reden, dann müssen wir auch darüber sprechen, warum im Bundesrat nach wie vor über die Einstufung als sichere Herkunftsländer diskutiert wird. Solange diese Länder nicht als sichere Herkunftsländer deklariert sind, solange nicht das klare Signal ausgesandt wird: „Ihr müsst euch nicht auf den Weg, auf die gefährliche Reise nach Europa machen“, so lange werden sich auch Menschen aus diesen Ländern auf diesen lebensgefährlichen Weg machen. Deswegen müssen auch Sie sich an dieser Stelle die Frage der Mitverantwortung stellen.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Meinen Sie, Verfolgte würden nicht zu uns kommen wollen, nur weil wir das fordern? – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gerade noch von etwas ganz anderem gesprochen!)

Meine Damen, meine Herren, die Aufgabe ist viel umfassender, und wir dürfen nicht nur auf das Mittelmeer blicken. Ich bin dem Kollegen Frei sehr dankbar, dass er umfassend beleuchtet hat, was wir machen müssen, um die Situation vor Ort zu verbessern. Denn eines ist sicher: Unsere humanitäre Verantwortung endet nicht an unseren EU-Außengrenzen.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6950215
Wahlperiode 18
Sitzung 180
Tagesordnungspunkt Flüchtlingsschutz - Verantwortungsteilung in der EU
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