Katarina BarleySPD - Regierungserklärung zum Ausgang des Referendums
Sehr verehrter Herr Präsident! Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Brexit ist Realität geworden. Mein Vater ist Brite. Auch ich habe die britische Staatsbürgerschaft. Ich gebe zu: Ich bin immer noch ein Stück weit erschüttert, auch darüber, welche Gräben in diesem Land aufgerissen worden sind. Ich erlaube mir, hier noch einmal an unsere Kollegin Jo Cox zu erinnern, die diese aufgeheizte und aggressive Atmosphäre am Ende mit ihrem Leben bezahlt hat.
(Beifall im ganzen Hause)
Herr Kauder, niemand will Großbritannien für seine Entscheidung bestrafen, ich als Letzte. Aber „in is in“ und „out is out“ – so viel muss klar sein.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)
Wenn wir jetzt über einen Better Deal verhandeln und neue Zugeständnisse machen würden,
(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das hat er nicht gesagt!)
wie sollten wir dann den anderen Staaten gegenübertreten, die ihrerseits kommen und alle einen eigenen Deal verhandeln wollen? Da müssen wir schon konsequent sein.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Und wenn die erste Lehre aus dem Referendum ist: „Keine Innenpolitik auf Kosten der EU“, dann bitte ich sehr darum, Herr Kauder, in einer Debatte wie der heutigen auf solche innenpolitischen Polemiken zu verzichten;
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit der Wahrheit müssen Sie schon leben!)
denn sonst sind das alles nur Sonntagsreden, und dann fangen wir wieder vorne an.
(Beifall bei der SPD)
Die Gründerväter haben die Europäische Union als gemeinsames Haus gebaut und nicht als Steinbruch, wo jeder hinfährt, um sich das größte Stück herauszuschlagen. Zu diesem Geist der EU muss Deutschland wieder zurückkehren. Das betrifft nicht nur die Brüsseler Verhandlungsebene, das betrifft – Herr Bartsch, bei allem Respekt – auch die Opposition. Auch hier wird häufig Innenpolitik auf Kosten der Europäischen Union gemacht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wenn jetzt überall gesagt wird: „Es muss in der EU wieder um die Menschen gehen“, dann sage ich: Ja, es muss um die Menschen gehen; auch das ist eine Lehre aus dem Referendum. Es muss um die Menschen gehen, die jetzt schon viel von der Europäischen Union haben. Das sind vor allen Dingen die Jungen, die mobil sind, die Arbeitsmöglichkeiten haben, die gebildet sind. Aber wir müssen eben auch von denen sprechen, die nichts davon haben, die zumindest glauben, dass sie nichts davon haben. Frau Merkel, Sie fragten nach einem Vorschlag, wie man die Union zusammenhalten kann. Ja, den haben wir: Lassen Sie uns endlich ernst machen mit dem sozialen Europa,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
lassen Sie uns Arbeit schaffen durch Investitionen, lassen Sie uns den jungen Menschen überall eine Perspektive geben!
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit Schulden schafft man keine soziale Gerechtigkeit!)
Am Ende geht es doch um das Wichtigste – ich meine das sehr ernst –: Am Ende geht es tatsächlich um Frieden.
(Beifall bei der SPD)
Frieden ist nicht selbstverständlich. Wir sehen in vielen Staaten autoritäre Nationalisten, die Staaten wieder gegeneinander in Stellung bringen. Ich will Ihnen von einem traumatischen Erlebnis bei einer Podiumsdiskussion mit einem Brexit-Befürworter berichten; Herr Krichbaum war dabei. Der Brexit-Befürworter sagte: „Wir brauchen nicht die EU, um Frieden zu stiften; wir haben die NATO“, und brachte Griechenland und die Türkei als Beispiel. Das ist ein großes und ein verheerendes Missverständnis; denn Frieden ist viel mehr als die Abwesenheit von Krieg.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frieden entsteht nur durch Austausch, durch Begegnung – und dafür steht die Europäische Union. Es ist kompliziert, miteinander zu reden, miteinander zu ringen. Meine Kinder haben vier Großeltern aus vier europäischen Ländern, die über Jahrhunderte viele Kriege gegeneinander geführt haben. Mir ist das sehr ernst: Ich möchte nicht sehen, dass meine Kinder oder irgendjemand von uns eine Welt erleben muss, in der sich Staaten gegeneinander aufstellen, und dafür brauchen wir eine starke Europäische Union.
Vielen Dank.
(Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner ist der Kollege Andrej Hunko für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6960189 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 181 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Ausgang des Referendums |