07.07.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 183 / Tagesordnungspunkt 5

Elke FernerSPD - Schutz der sexuellen Selbstbestimmung

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Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! „ Nein heißt nein“, das setzen wir heute um. Das ist ein Paradigmenwechsel im Sexualstrafrecht, und es ist ein Sieg für die sexuelle Selbstbestimmung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Dafür kämpfen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seit vielen Jahren zusammen mit Frauenverbänden, auch mit anderen politischen Parteien. Ich bin sehr froh, dass es zumindest für die Änderung des § 177 StGB heute eine breite Mehrheit im Bundestag geben wird.

Vor fast 20 Jahren, am 15. Mai 1997, waren die Mehrheiten knapper, als es darum ging, die Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen. Aber auch 1997 waren es die Frauen, die fraktionsübergreifend mit großer Unterstützung aus der Zivilgesellschaft die Mehrheit im Bundestag davon überzeugen konnten, dass auch die Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Annette Widmann-Mauz [CDU/CSU])

Fast 20 Jahre später gehen wir jetzt den nächsten Schritt. Ich möchte als eine, die schon damals im Bundestag war, sagen: Das ist auch für mich heute ein sehr guter und ein sehr großer Tag.

(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Ich möchte mich auch noch einmal bei den Verbänden bedanken, die den Aufruf „Nein heißt nein“ initiiert und unterstützt haben: beim Deutschen Frauenrat, beim Deutschen Juristinnenbund, bei Terre de Femmes, beim bff, beim KOK, beim Deutschen Komitee für UN Women, bei der Frauenhauskoordinierung und bei der ZIF. Ohne ihre Unterstützung und ohne die Unterstützung der Sachverständigen wären wir heute nicht so weit gekommen. Deshalb noch einmal ein ganz herzliches Dankeschön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mit der Reform des Sexualstrafrechts stärken wir die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen und setzen den potenziellen Tätern klare Grenzen. Der erkennbare Wille darf nicht mehr missachtet werden. Nein heißt jetzt nein.

Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute vielleicht nicht der Versuchung erlegen wären, zu fragen, wer welchen Entwurf bis wann irgendwo zurückgehalten hat.

(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Es war schon eine göttliche Eingebung im Kanzleramt, kurz vor Weihnachten eine Verbändeanhörung zum Gesetzentwurf durchzuführen. Wir schauen jetzt wirklich in die Zukunft und sehen, was wir durch Verabschiedung dieses Entwurfs verbessern.

Nicht erst seit Köln gab es sexuelle Belästigung und Missachtung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gibt es leider in allen Schichten der Gesellschaft – in Europa und anderen Teilen der Welt – seit vielen Jahren, ja, Jahrzehnten, Jahrhunderten.

(Ulrich Freese [SPD]: Wo ist denn Frau Widmann-Mauz?)

Wir machen jetzt auch deutlich, dass das sogenannte Begrapschen ein Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist. Jede Frau kann jetzt selbst darüber entscheiden, ob sie einen Vorfall zur Anzeige bringt oder nicht.

Ich will auch klar und deutlich sagen: Für die Opfer macht es einen Unterschied, ob sie aus einer Gerichtsverhandlung herausgehen und ihnen bescheinigt wird: „Das war gar keine Vergewaltigung, was dir da passiert ist“, oder ob der Täter nur aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden ist. Das macht einen Unterschied. Das beenden wir mit dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden.

Es ist eben angesprochen worden: Straftaten aus Gruppen heraus. – Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich verstehe nicht, warum Grüne und Linke die Regelung nicht mittragen;

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser kann ich es jetzt auch nicht mehr erklären!)

denn jeder in einer Gruppe hat die Möglichkeit, einzugreifen, Täter an Übergriffen zu hindern oder einfach nur wegzugehen und Hilfe zu holen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Manche sagen: Das ist nicht strafbar. – Dieser Auffassung kann man sein; ich bin aber anderer Auffassung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich verstehe, ehrlich gesagt, auch nicht, warum Grüne und Linke zwar „Nein heißt nein“ unterstützen, die Folgeänderungen im Aufenthaltsrecht aber ablehnen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Ferner, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder Zwischenbemerkung von Frau Künast?

Ja, gern.

Aber bitte nur eine! Wir wollen heute zügig durchkommen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

Ich achte sehr auf die Redezeit. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, sich an die Redezeiten zu halten. Normalerweise bin ich da etwas großzügiger.

Also eine kurze Zwischenfrage.

Ich habe mich gemeldet, weil Sie, Frau Ferner, schon die Zweite sind, die damit argumentiert – Frau Widmann-Mauz hat es ähnlich formuliert –: wenn man in der Gruppe mitmacht, daran teilnimmt und sich nicht distanziert.

Ich weiß nicht, wie Sie den Tatbestand verstehen. Ich und viele andere verstehen ihn so, dass es dabei darum geht, dass man Teil einer Gruppe ist, die sich verabredet, und die Straftat irgendwie fördert. „ Im umgangssprachlichen Sinn“ heißt es gar; also gar nicht nach den strengen Regeln des Allgemeinen Teils des StGB.

Wenn sich fünf, sechs Leute zum Beispiel auf dem Schulhof verabreden, jemandem die Jacke abzuziehen – so etwas soll es ja geben –, dann macht man sich in dieser Gruppe strafbar, wenn innerhalb dieses Gruppengeschehens eine Person ein Sexualdelikt begeht. Man muss das nicht einmal merken; man muss das nicht einmal sehen. Es wird später angezeigt. Da muss nicht einmal Vorsatz bestehen. Es geht um billigendes Inkaufnehmen.

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)

Wie soll sich denn jemand von dem Delikt distanzieren, wenn zum Tatbestand nicht einmal gehört, dass man merkt, dass innerhalb des Abziehens der Jacke eine Sexualstraftat begangen wird?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das ist das, was uns stört.

Ich zumindest lese das nicht so, dass man es nicht merken muss.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Steht explizit drin: Auf den Vorsatz kommt es nicht an!)

Ich bin auch sicher, dass dann, wenn entsprechende Fälle vor Gericht kommen, auch die Umstände genau betrachtet und bewertet werden, wie immer alles im Einzelfall bewertet wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Tatbestand ist so!)

Ich möchte noch kurz auf die sogenannte Verschärfung des Ausländerrechts eingehen. Wenn Sie der Auffassung sind, dass Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung kein Ausweisungsgrund sein sollen

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie sind schon drin!)

– nein, sie sind nicht drin –

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)

– „Nein heißt nein“ ist nicht drin –, dann sagen Sie das einfach so, und sagen Sie nicht: Es gibt sozusagen im Windschatten der Sexualstrafrechtsreform auch noch eine Verschärfung des Ausländerrechts. – Das war nicht der Fall, und das ist nicht der Fall.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)

– Wir haben da einfach unterschiedliche Auffassungen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte mich zum Schluss bei allen Kollegen und Kolleginnen bedanken, auch bei denen der Oppositionsfraktionen, aber insbesondere bei der Unionsfraktion, auch bei der Frauen Union. Wir haben gezeigt: Wenn Frauen zusammen etwas bewegen wollen, dann können sie zusammen auch etwas bewegen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich würde mir sehr wünschen, dass das auch beim Thema Lohngerechtigkeit der Fall ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank, Elke Ferner. – Nächster Redner in der Debatte: Alexander Hoffmann von der CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6969568
Wahlperiode 18
Sitzung 183
Tagesordnungspunkt Schutz der sexuellen Selbstbestimmung
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