Ulrike BahrSPD - Vereinbarkeit von Arbeit und Leben
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Zunächst einmal herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die uns mit ihrem Antrag die Gelegenheit geben, das wichtige Thema Zeitpolitik in der Kernzeit zu debattieren. Das freut mich wirklich sehr. In meiner Fraktion setzen wir uns seit etwa einem Jahr in einer Projektgruppe „Neue Zeiten“ intensiv mit den im Antrag thematisierten Fragen auseinander, aber darüber hinaus noch mit weiteren Aspekten.
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann gibt es einen Antrag?)
Manuela Schwesig fordert schon seit ihrem Amtsantritt eine Familienarbeitszeit, die Eltern unterstützen soll, auch über die Babyzeit hinaus Erwerbsarbeit und Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen: mit hochwertigen Betreuungsangeboten, einem Anspruch auf reduzierte Arbeitszeit und mit einer Kompensation der Einkommensverluste wie beim Elterngeld Plus. Denn wir wissen: Mütter wollen vielfach mehr, Väter weniger arbeiten. Dabei muss aber unter dem Strich das Familieneinkommen stimmen.
Unser Ziel ist eine lebensphasenorientierte Arbeitszeit. Dazu gehört zum Beispiel auch ein Pflegebudget. Es könnte da einspringen, wo Pflegende heute Kredite aufnehmen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Zur Finanzierung von Zeiten für Weiterbildung und persönliche Weiterentwicklung diskutieren wir ein Chancenbudget. Dafür sind viele Finanzierungsmöglichkeiten denkbar: von Zuschüssen aus einer fortentwickelten Arbeitsversicherung über selbst angesparte Zeitwertkonten der Erwerbstätigen bis hin zu Darlehen.
Ich meine aber: Zeitpolitik kann sich nicht auf Lohnersatzleistungen beschränken, die ja immer zeitlich begrenzt sein müssen. Darum haben wir in unserer Projektgruppe weitere Modelle diskutiert, um Erwerbsarbeit und Familie besser in Einklang zu bringen. Ein wichtiges Instrument dafür wäre eine Wahlarbeitszeit. Viele Tarifverträge bieten den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bereits Korridore für die Arbeitszeit an. Dabei gilt es, einen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Erwerbstätigen und den Belangen der Betriebe zu finden. Das gelingt am besten mit Regelungen auf betrieblicher Ebene, die von den Tarifpartnern ausgehandelt werden. Für Eltern oder Pflegende in nicht tarifgebundenen Unternehmen müssen gesetzliche Auffangregelungen geschaffen werden.
Einen ersten Schritt in Richtung Wahlarbeitszeit planen wir noch in dieser Legislaturperiode. Mit einem Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit holen wir Mütter und Väter aus der Teilzeitfalle. Besonders bei Frauen sehen wir immer noch viel zu häufig: Auf eine Phase familiärer Sorgetätigkeit folgt dann eine Berufstätigkeit weit unterhalb des ehemaligen Qualifikations- und Gehaltsniveaus. Dieses Schema müssen wir durchbrechen. Es führt besonders Mütter immer noch direkt in die Altersarmut.
Wahlarbeitszeit und befristete Teilzeit haben den großen Vorteil, nicht nur in den Lebenssituationen anwendbar zu sein, die der Antrag der Grünen nennt, nämlich Kinder, Pflege und Weiterbildung; denn einen sehr wichtigen Bereich, für den wir dringend Zeit neben der Erwerbstätigkeit brauchen, nennt der vorliegende Antrag nicht: das bürgerschaftliche Engagement.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir alle wünschen uns eine lebendige Bürgergesellschaft, Beteiligung, gelebte Demokratie und Arbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auch dafür müssen Zeit und Freiraum zur Verfügung stehen. Das scheint mir in allen politischen Parteien noch zu wenig im Blick zu sein. Dabei haben wir gerade im letzten Jahr erlebt, dass ohne das Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Krisenzeiten kein Staat zu machen ist.
(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Laut dem kürzlich vorgestellten Freiwilligensurvey ist fast die Hälfte aller Berufstätigen irgendwo engagiert. Sie haben für ihr Engagement aber immer weniger Zeit. Besonders schwierig ist es darum, Menschen für ehrenamtliche Leitungsfunktionen zu gewinnen. Das liegt nicht daran, dass sich niemand mehr verpflichten möchte. Immer noch engagieren sich die meisten Menschen sehr langfristig.
Es liegt daran, dass gerade Berufstätige zu wenige planbare Freiräume haben.
Ich bin mir sicher: Genauso wichtig wie eine Reduzierung der Stundenzahl sind darum Regeln für eine planbare und verlässliche Arbeitszeit. Arbeit passt dann gut ins Leben, wenn Flexibilität nicht immer nur zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht. Und manchmal muss man auch die Leute vor sich selbst schützen – mit verbindlichen Ruhezeiten und Regeln für die Erreichbarkeit außerhalb der regulären Arbeitszeit.
(Dr. Fritz Felgentreu [SPD]: Hört! Hört!)
Dieser Ausgleich gelingt übrigens in kleinen und mittleren Unternehmen oft besser, weil man sich besser kennt.
Wer Familie hat, sich kümmert, sich fortbildet, sich engagiert, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft und für jedes Unternehmen. Darum müssen wir hier gemeinsam mit den Tarifpartnern weiter an umfassenden Konzepten für mehr Zeitsouveränität arbeiten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Dr. Franziska Brantner ist die nächste Rednerin für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6969602 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 183 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarkeit von Arbeit und Leben |