Jan van AkenDIE LINKE - Waffenexporte in die Golfstaaten
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich muss Sie jetzt enttäuschen. Ich werde jetzt nicht über Steinmeier, Gabriel und Frau Merkel herfallen und mich maßlos über die unfassbar hohen deutschen Waffenexporte aufregen,
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Unfassbar hoch? Unfassbar!)
obwohl sie natürlich viel zu hoch sind und obwohl ich mich natürlich aufrege. Mich treibt, ehrlich gesagt, im Moment eine andere Frage um. Wenn ich mir anschaue, wie sich die deutschen Waffenexporte in den letzten drei Jahren entwickelt haben, drängt sich mir nämlich vor allem die Frage auf: Woran ist Sigmar Gabriel eigentlich gescheitert?
Sigmar Gabriel hat 2013 massiv Wahlkampf gegen die Waffenexporte gemacht. Er hat sich – auch als Minister – immer wieder dagegen ausgesprochen. Das kann man jetzt alles als Propaganda abtun. Ich tue das nicht, sondern glaube, er wollte tatsächlich hier und da ein bisschen verändern. Er hat sogar an einigen ganz kleinen Punkten etwas bewegt. Aber in der Summe, unter dem Strich, ist Gabriel grandios gescheitert, wie ich feststelle, wenn ich mir ansehe, dass sich die deutschen Waffenexporte im letzten Jahr – in einem einzigen Jahr! – verdoppelt haben. 2015 war das Jahr in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, in dem mehr Waffenexporte als je zuvor genehmigt wurden, nämlich im Wert von 12,8 Milliarden Euro. Ich finde, das sind 12,8 Milliarden zu viel.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wie gesagt, das geschah unter Sigmar Gabriel, der genau das Gegenteil angekündigt hatte. Wenn ich mir jetzt seine Entschuldigungen anhöre, mit denen er diese hohen Exporte rechtfertigen will, stelle ich fest, dass das kompletter Unsinn ist. Er hat in den letzten zwei, drei Tagen vor allem zwei Entschuldigungen vorgebracht.
Erstens. Schuld sind immer die anderen. Schuld sind die Vorgängerregierungen. Es war ja Schwarz-Gelb, die damals schon den Panzerdeal mit Katar durchgewinkt haben. Richtig ist, dass die erste Genehmigung von Schwarz-Gelb kam. Richtig ist aber auch, dass die zweite entscheidende Genehmigung nach dem Außenwirtschaftsgesetz von Sigmar Gabriel im letzten Jahr erteilt worden ist. Er hätte sich weigern können. Er hätte Nein sagen können. Es war ganz allein seine Entscheidung, dazu Ja zu sagen.
(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist richtig!)
Alles andere ist eine faule Ausrede. Hören Sie bloß auf damit!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn ich jetzt höre: „Na ja, wenn wir jetzt Nein gesagt hätten, dann hätte die Firma eine Schadensersatzklage eingereicht“, dann ist das richtig peinlich für die deutsche Sozialdemokratie. Dann sollen die doch klagen. Die müssen den Prozess erst einmal gewinnen. Sie haben doch gute Argumente. Sie können sagen: Katar führt Krieg im Jemen, und Sie wollen keine Panzer an eine kriegsführende Partei liefern. Diesen Prozess sollen die erst einmal gewinnen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Selbst wenn die Bundesregierung diesen Prozess am Ende verliert, ist das uns das Geld nicht wert, wenn wir an die Toten im Jemen denken? Ich habe von einem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands sehr viel mehr Rückgrat bei der Frage von Leben und Tod erwartet. Das ist ganz schwach, Herr Gabriel.
(Beifall bei der LINKEN)
Jetzt kommen wir zur zweiten Ausrede von Sigmar Gabriel: In diesem Jahr waren ein paar ganz große Projekte dabei, die wir eigentlich herausrechnen müssen. Zum Beispiel sind das die Kriegsschiffe für Großbritannien für 1,1 Milliarden Euro. Das war ein ganz besonderer Sondereffekt. Das darf man nicht mitzählen. – Das ist genauso Unsinn; Sie alle wissen das. Denn es gibt jedes Jahr solche Sondereffekte: 2014 U-Boote nach Israel, 2016 wird es die Fregatte nach Algerien sein. Das gibt es jedes Mal. Ich bin mir sicher: Ich höre das jetzt gleich drei-, vier-, fünfmal über die Kriegsschiffe nach Großbritannien. Streichen Sie das aus Ihrem Manuskript. Sondereffekte gibt es jedes Jahr. Das ist völliger Unsinn.
(Beifall bei der LINKEN)
Unter dem Strich bleibt genau ein Faktum übrig: Unter Sigmar Gabriel haben sich die Waffenexporte verdoppelt, obwohl er etwas ganz anders angekündigt hatte. Deshalb noch einmal die Frage: Woran ist er eigentlich gescheitert? Ich glaube, er ist am System gescheitert, am heutigen System der Rüstungsexportkontrolle, die schlicht und einfach nicht funktioniert. So, wie das System aufgestellt ist, ist es einfach kaputt. Wenn Sie im Bereich der Waffenexporte künftig wirklich etwas verändern wollen – das sage ich in Richtung der Grünen und in Richtung der Sozialdemokraten –, dann müssen Sie das System verändern. So geht es nicht weiter.
(Beifall bei der LINKEN)
Das System – das wissen Sie ganz genau – ist völlig wischiwaschi, butterweich. Selbst die schlimmsten Menschenrechtsverletzter, die schlimmsten Despoten können sich mit deutschen Sturmgewehren, mit Panzern, mit Raketen, mit Handgranaten eindecken. Alles, was sie wollen, kann man in diesem System liefern. Das System ist nicht restriktiv. Es ist kaputt.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie alle hier im Bundestag müssen sich doch fragen, ob Sie wirklich ein System einer Exportkontrolle haben wollen, bei dem die Waffenexporte immer steigen, egal wer gerade regiert. Schauen wir einmal 15 Jahre zurück. Da gab es eine rot-grüne Bundesregierung. Die rot-grüne Bundesregierung wollte die Waffenexporte reduzieren. Sie haben die Regeln neu gemacht. Auch sie sind grandios gescheitert, genauso grandios wie Gabriel. Auch unter Rot-Grün sind die Waffenexporte immer weiter gestiegen. Brauchen Sie denn noch mehr Hinweise darauf, dass das System kaputt ist und Sie es anders machen müssen? Ich glaube, wir brauchen einen grundsätzlich anderen Ansatz. Der Kern unseres Vorschlages ist, dass wir definierte gesetzliche Verbote einführen. Ohne die kommen Sie bei den Waffenexporten nie weiter.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Moment beruht das System bei der Exportkontrolle auf sogenannten Einzelfallentscheidungen. Die Kriterien für den Einzelfall – wird diese Waffe an jenes Land geliefert? – sind völlig vage. Sie haben Tausende von Schlupflöchern. Sie können am Ende eigentlich gar nichts verbieten. Alles ist erlaubt. Sogar an Kriegsparteien dürfen Sie unter diesen Kriterien liefern. Aber diese butterweichen Kriterien sind nur ein Problem. Es gibt noch zwei weitere Probleme, über die wir hier bis jetzt eigentlich viel zu wenig geredet haben, die automatisch dazu führen, dass heutzutage das System komplett auf Ja gestellt ist, dass praktisch keine Anträge abgelehnt werden. Wissen Sie eigentlich, wie viele Anträge im letzten Jahr abgelehnt worden sind? Über 12 000 Anträge sind gestellt worden, abgelehnt wurden 100. Das System ist auf Ja gestellt. Die zwei Gründe dafür sind folgende:
Erstens. Ein Nein ist nicht nachhaltig. Ein Nein kann die nächste Bundesregierung sofort wieder aufheben. Ein Ja ist von Dauer, solange sich die Bundesregierung nicht traut, auf eine Schadensersatzklage zu warten.
Zweitens. Das Problem ist: Wenn Sie sich denn einmal trauen, Nein zu sagen, haben Sie sofort ein diplomatisches Problem, weil sich das Empfängerland natürlich diskriminiert fühlt.
Diese beiden Punkte kann man ganz wunderbar an einem aktuellen konkreten Beispiel aufzeigen. Das ist die G36-Fabrik, eine Sturmgewehrfabrik, in Saudi-Arabien. Sie wurde vor vielen Jahren genehmigt. Die Produktionsanlagen stehen bereit; sie sind aber noch auf Zulieferungen aus Deutschland angewiesen: auf Ersatzteile, auf Bauteile usw.
Diese Zulieferungen hat Sigmar Gabriel jetzt gestoppt. Das finde ich gut, und dafür, dass er das gestoppt hat, möchte ich Sigmar Gabriel an dieser Stelle einmal ausdrücklich danken.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
– Da könnten Sie auch einmal klatschen, oder?
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein, das finde ich nicht gut!)
Das Problem ist nur, dass dieser Stopp nicht nachhaltig ist.
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja, hoffentlich!)
Im nächsten Jahr findet die Bundestagswahl statt, und nach dieser Bundestagswahl ist Sigmar Gabriel hier weg und woanders – was immer er dann auch macht. Es gibt dann doch die ganz große Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Bundeswirtschaftsministerin dieses Nein von Gabriel „kassiert“ und die Genehmigung erteilt und die G36-Fabrik in Saudi-Arabien weiterläuft. Dann hat Gabriel unter dem Strich gar nichts erreicht, nullkommanix. Das ist ein riesiges Problem.
Das ist jetzt auch keine Schwarzmalerei. Es gibt in der deutschen Geschichte tatsächlich konkrete Beispiele dafür, dass genau das passiert ist. Als Joschka Fischer Außenminister war – wieder Rot-Grün –, hat er einen ganz schmutzigen Sturmgewehr-Deal mit Mexiko gestoppt. Das Auswärtige Amt hat 2005 Nein zur Lieferung von G36-Gewehren nach Mexiko gesagt.
2005 gab es dann die Bundestagswahl. Kurz danach wurde Steinmeier Außenminister, und ein paar Tage später sagte das Auswärtige Amt Ja zum Deal mit Mexiko. Das zur Nachhaltigkeit in diesem System! Sie können 20 Jahre lang regieren: Kaum sind Sie weg, kommt die nächste Ministerin oder der nächste Minister, und das Problem ist erneut, dass wieder alles geliefert wird.
(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt, dass es auf die Regierung ankommt und nicht auf die Gesetze!)
Deswegen funktioniert das System nicht so, wie es funktionieren sollte. Die Regierungen wechseln, und Sie müssen jetzt ein System aufbauen, das nachhaltig ist, damit auch dann, wenn Sie abgewählt wurden, das Nein weiter bestehen bleibt. Das ist das Problem.
(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Sie machen es sich ja sehr einfach!)
Auch den zweiten Grund dafür, dass das System auf Ja gestellt ist, kann man schön an der G36-Fabrik darstellen; denn selbst Gabriel könnte in den nächsten Wochen noch gezwungen werden, die Genehmigung doch zu erteilen. Was passiert denn, wenn Sie Nein sagen? Die Herstellerfirma wird wahrscheinlich klagen, es gibt einen Prozess, und plötzlich muss die Bundesregierung öffentlich begründen, warum Saudi-Arabien diese Sturmgewehre nicht bekommt.
Dafür gibt es tausend gute Gründe, die man auch alle nennen kann. Merkel und Steinmeier müssen dann aber nach Riad und den Saudis Auge in Auge erklären, warum sie keine Sturmgewehre bekommen, ihre Nachbarn aber doch. Das ist doch eine diplomatische Katastrophe.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])
Deswegen bin ich mir ganz sicher, dass Merkel und Steinmeier jetzt dafür sorgen werden, dass das nicht abgelehnt wird. Dieses diplomatische Desaster mit Saudi-Arabien wollen sie sich nämlich gar nicht erst einhandeln. Das ist der Punkt.
In dem Moment, in dem Sie Einzelfallentscheidungen treffen und einmal Ja und zweimal Nein sagen, haben Sie eine diplomatische Katastrophe.
(Matthias Ilgen [SPD]: Also immer Nein sagen?)
Das können Sie nur dadurch vermeiden, indem Sie immer Nein sagen. Wenn Sie ein generelles Verbot von Kleinwaffen haben, dann können Sie nach Riad fahren und sagen: Jungs, es tut uns leid; das hat gar nichts mit euch zu tun. Wir Deutschen sind ein bisschen pazifistisch. Kein Land kriegt etwas von uns geliefert. – Damit hätten Sie kein diplomatisches Problem.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine gesetzliche Regelung, durch die die Waffenexporte wirklich endlich einmal reduziert werden, ist doch auch in Ihrem ureigensten Interesse. Gucken Sie sich Sigmar Gabriel in dieser Woche doch einmal an. Was für eine Blamage, nach diesem Wahlkampf jetzt eine Verdoppelung der Rüstungsexportzahlen rechtfertigen zu müssen! Das Gleiche geschieht in zwei Jahren wieder. Der nächste SPD-Wirtschaftsminister und der nächste grüne Außenminister werden genau solche Peinlichkeiten wieder vertreten müssen, wenn Sie nicht endlich an die Systemfrage herangehen.
Sie wissen, dass wir von mir aus alle Waffenexporte jetzt sofort verbieten können. Ich weiß aber auch, dass das mit Ihnen so schnell nicht geht; ich bin Realist. Das Dringendste und Wichtigste – ich glaube, darin sind sich ganz viele hier einig – ist aber doch ein generelles Verbot von Kleinwaffenexporten.
(Beifall bei der LINKEN)
Das sind die tödlichsten Waffen dieser Welt. Wir wissen, dass wir das verbieten müssen. Kein Sturmgewehr, keine Handgranate, keine Panzerfaust mehr exportieren, nirgendwohin: Das ist unser Vorschlag.
Ich sehe auch überhaupt nicht, wo das Problem ist. Warum machen Sie da nicht mit? Auch an die Grünen: Warum erheben Sie nicht endlich einmal diese Forderung? Es gibt doch eigentlich überhaupt kein gutes Argument gegen ein solches Verbot.
Auch in Deutschland werden Sie auf keinerlei Widerstand treffen, wenn Sie sagen, dass Kleinwaffen nicht mehr exportiert werden. Sie hätten dann die Gewerkschaften, die Kirchen und über 80 Prozent der Bevölkerung auf Ihrer Seite und wahrscheinlich schon heute eine Mehrheit hier im Bundestag dafür. Sie müssen es nur tun.
Danke schön.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6971030 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 184 |
Tagesordnungspunkt | Waffenexporte in die Golfstaaten |