Johannes KahrsSPD - Allgemeine Finanzdebatte
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben hier heute lange Ausführungen gehört über das, was gelaufen ist und was man vielleicht in der nächsten Legislaturperiode machen möchte. Herr Schäuble hat gesagt, dass er zu Beginn der nächsten Legislaturperiode gerne eine Steuerentlastung vornehmen möchte bzw. eine Steuerreform durchsetzen würde. Ernsthaft: Das kann man, finde ich, noch in dieser Legislaturperiode machen.
Ich glaube, dass die Zusammenarbeit in der Großen Koalition sehr gut ist. In Bezug auf die Haushalts- und Finanzpolitiker weiß ich das. Mit Eckhardt Rehberg kann man immer gut zusammenarbeiten. Wer ihn kennt, weiß, dass das so ist. Bei den Finanzpolitikern dürfte das auch kein Problem sein. Wir haben noch ein gutes Jahr vor uns. Man muss ja nicht zwölf Monate vor der Bundestagswahl ins Wahlkampffieber verfallen. Nutzen würde es allen. Also kann man, finde ich, hier doch einmal sagen, dass wir gerne gemeinschaftlich eine solche Steuerreform hinbekommen wollen.
(Beifall bei der SPD)
Herr Schäuble, Sie haben gesagt, dass Sie die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten wollen. Willkommen im Klub! Das können wir gemeinsam machen. Wir können uns darüber unterhalten, ob man das über Freibeträge bei Sozialabgaben macht oder wie auch immer. Ich glaube, da sind wir uns schnell einig. Ich habe auch kein Problem damit, wenn gesagt wird, dass ein Spitzensteuersatz, der bei 53 000 Euro im Jahr ansetzt, unsinnig ist. Natürlich muss die Grenze deutlich erhöht werden; das kann man stufenweise machen. Aber dann kann man auch den Spitzensteuersatz erhöhen. Das ist, glaube ich, durchaus akzeptabel.
Ich verstehe gar nicht, warum man immer warten muss, bis die Legislaturperiode vorbei ist. Wir haben das ja bei der Union erlebt: In den letzten Jahren wurde vor der Wahl immer eine Steuerreform versprochen. Ich glaube, in den letzten vier Jahren von Schwarz-Gelb war das auch ab und zu ein Thema. Soweit ich das verfolgt habe, ist außer einer Entlastung für Hotels und einer Belastung für die Luftfahrtindustrie nichts passiert. – Das Angebot liegt also auf dem Tisch. Wir können das gerne gemeinsam machen. Ich persönlich fände das gut.
(Beifall bei der SPD)
Herr Schäuble, zum anderen haben Sie gesagt, dass wir mehr Geld für Investitionen ausgeben müssen. Da bin ich ganz Ihrer Meinung. Das Problem, welches wir zurzeit aber haben, ist, dass das viele Geld, das wir zur Verfügung stellen, gar nicht richtig abfließt. Das liegt nicht daran, dass keiner will, sondern das liegt auch ein bisschen an den Strukturen. Ich glaube, dass in den letzten Jahren an den entscheidenden Stellen im öffentlichen Dienst häufig zu viel gespart worden ist. Das heißt: Es wird dort mehr Personal gebraucht. Dieses muss auch angemessen bezahlt werden, damit man die richtigen Leute bekommt.
Ich glaube, wir müssen uns auch über die Strukturen unterhalten. Es wird hin und wieder geklagt, dass wir alles mit europaweiten Ausschreibungen sowie dem gesamten Planungs- und Baurecht viel zu kompliziert machen. Dazu muss man ehrlicherweise sagen, dass wir – also wir hier – einen großen Teil dieser Maßnahmen beschlossen haben. Das würde aber bedeuten, dass wir selber sagen: Wir wollen nicht nur mehr Geld investieren und das Personal dafür haben, sondern es geht auch um festangestelltes Personal. Man muss sich nämlich fragen, ob es sinnvoll ist, wenn das Personal auf befristeten Stellen sitzt. Das Personal muss aber auch arbeiten können. Dabei haben wir uns, was die entsprechenden Regelungen angeht, viel Gutes vorgestellt, haben aber teilweise die Schrauben überdreht. Es gibt Vorschriften, die für sich genommen vernünftig sind, ob zum Brandschutz, zu den Fluchtwegen oder in der gesamten Frage der Dämmung. Dazu gibt es wunderbare Vorschriften. Aber alle zusammen, in der Kombination, bedeuten: Es wird alles teurer und dauert immer länger.
Wenn Herr Schäuble davon redet, dass es bei der Rheintalbahn, die durch seinen Wahlkreis führt, schwierig wird, dann hat er recht. Aber ich glaube und befürchte, dass ein Großteil der Probleme dadurch entstanden ist, dass wir selber die Vorschriften zu schwierig gestaltet haben.
Wenn wir das angehen wollen, sollten wir das tun. Wir haben noch ein gutes Jahr. Die Bürger haben keine Lust darauf, dass wir ein Jahr Wahlkampf führen. Das langweilt auch nach wenigen Wochen. Deswegen wäre es vielleicht gut, wenn man das jetzt anginge. Wenn man das beklagt, sollte man ehrlicherweise darauf hinweisen, dass wir regieren. Sie sind der Bundesfinanzminister.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich kenne niemanden in der Bundesregierung, der mächtiger ist als der Bundesfinanzminister. Deswegen ist Eckhardt Rehberg auch im Haushaltsausschuss.
Das heißt also: Dann muss man das auch angehen. Wir haben zwölf Monate. Glückauf!
Wenn wir darüber reden, was wir im Haushalt gemacht haben, dann gibt es vieles, das man jetzt loben muss. Ich glaube, dass all das, was wir an Geld mobilisiert haben, um bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise aus dem „Wir schaffen das“ ein „Wir zeigen, wie man das schafft“ oder „Wir geben den Menschen die Mittel in die Hand, dass sie es schaffen“ hinzubekommen, an vielen Stellen in diesem Haushalt sichtbar wird.
Wir haben zum Beispiel nicht nur gesagt, dass es mehr Sprach- und Integrationskurse geben muss, sondern wir haben im Haushaltsausschuss auch durchgesetzt – Eckhardt Rehberg wird sich lebhaft daran erinnern –, dass die Lehrer in diesen Kursen auch angemessen bezahlt werden und deren Vergütung auf 35 Euro pro Lehreinheit angehoben wird. Das mag im Moment als Kleinigkeit erscheinen, aber das ist notwendig, wenn Sie das Personal gewinnen wollen, das am Ende die Sprach- und Integrationskurse durchführt.
Das heißt, „Wir schaffen das“ muss damit unterlegt werden, wie wir das schaffen und mit wem wir das schaffen und wie wir diejenigen, die das schaffen sollen, entsprechend unterstützen, damit sie es auch schaffen können. Dieser Haushalt zeigt das in weiten Phasen. Deswegen ist es, finde ich, ein guter Haushalt.
Man kann vielleicht etwas kritisch anmerken, dass zum Beispiel im Bereich der Jugendmigrationsdienste die Gelder vom Finanzministerium auf den Stand von 2014 zurückgeführt worden sind. Das ist nicht so toll; denn sie werden gebraucht.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ändern wir!)
Die C1-Sprachkurse kennt kaum jemand. Aber das sind die Sprachkurse, die die Flüchtlinge brauchen, die in der Lage sind, zu studieren, und die hochqualifiziert sind. Sie brauchen entsprechende Deutschkurse. In diesem Bereich sind die Mittel von insgesamt 22 Millionen Euro auf 7 Millionen Euro zurückgeführt worden. Ehrlicherweise muss man aber sagen: Wir brauchen diese. Wenn man davon ausgeht, dass es unter den Flüchtlingen Qualifizierte und Hochqualifizierte gibt, dann braucht man für sie auch die entsprechenden Sprachkurse, und dann kann man nicht die Mittel für diese Sprachkurse absenken, obwohl der Haushaltsausschuss sie in den letzten drei Jahren jährlich hochgesetzt hat. Das ist falsch. Da werden wir noch einmal tätig werden müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Da wir das in den letzten Jahren immer hinbekommen haben, hoffe ich, dass wir es auch wieder hinbekommen. Aber es wäre schön gewesen, wenn es einfach schon entsprechend eingeplant worden wäre.
Beim Personal der Bundespolizei haben wir im Haushaltsausschuss in den letzten Jahren sehr viel getan: Tausende von Stellen und viel Geld für die Ausrüstung. Ich glaube aber auch, dass es wichtig ist, dass man bei der Bundespolizei für noch mehr Stellen sorgt. Denn die Kolleginnen und Kollegen dort gehen wirklich auf dem Zahnfleisch, und sie haben einen Wahnsinnsjob. Das zeigen auch die Wochenenden, wenn sie kaum noch aus den Stiefeln herauskommen.
Deswegen ist es wichtig, dass wir neue Stellen beschließen. Aber es ist genauso wichtig, Eckhardt Rehberg, dass wir dafür sorgen, dass die Bundespolizei angemessen ausgestattet wird und dass deren Unterkünfte in einem Zustand sind, dass man sich als Bundestagsabgeordneter dort hineintraut, ohne sich zu schämen. Ich finde – auch das gehört zur Wahrheit –, dass die, die etwas schaffen sollen, auch in die Lage versetzt werden müssen, es zu schaffen und es auch gerne tun. Ich finde, auch das muss ein Bundeshaushalt hergeben. Man kann sich gerne einige Kasernen der Bundespolizei und der Bundeswehr ansehen. Da haben wir ein Problem. Wenn gerade bei der Bundeswehr Geld zurückgegeben und nicht verbaut wird, dann liegt das nicht an mangelndem Willen, sondern am Unvermögen, das umzusetzen. Damit bin ich wieder am Ausgangspunkt meiner Rede. Man muss sich hier die Abläufe und die Vorschriften genau anschauen. Wir reden im Haushaltsausschuss sehr viel darüber. Aber es muss auch etwas passieren.
Der vorliegende Haushaltsentwurf enthält noch 5 Milliarden Euro für den Solidarpakt, der im Kabinett beschlossen wurde, insbesondere im Bereich des Wohnungsbaus. Der Kollege von den Grünen hat gefordert, die Summe für den sozialen Wohnungsbau zu verdoppeln. Das haben wir gemacht. Das wird weiter ausgebaut. Ich finde es gut, dass wir darauf noch einmal hingewiesen wurden. Auch in den Bereichen Integration und Kitas sowie für die Langzeitarbeitslosen wird etwas getan. Wir müssen zeigen, dass wir die Probleme, die es überall in Deutschland gibt – auch im sozialen Bereich –, angehen und Geld in die Hand nehmen. Aber man darf nicht nur darüber reden. Vielmehr müssen die Menschen vor Ort sehen, dass etwas passiert. Das gilt insbesondere für die solidarische Lebensleistungsrente. Es ist vernünftig, etwas für Menschen zu tun, deren Rente nicht ausreicht, obwohl sie 40 Jahre gearbeitet haben.
Ich habe noch eine Bitte im Zusammenhang mit dem Bundesteilhabegesetz. Wir alle haben versprochen, dieses Gesetz auf den Weg zu bringen. Das Bundesteilhabegesetz ist wirklich wichtig. Wir haben nun die dafür vorgesehene Summe bei 700 Millionen Euro gedeckelt. Der Protest bei den Betroffenen ist groß. Vielleicht sollten wir uns noch einmal zusammensetzen und darüber nachdenken, inwieweit sich noch mehr ermöglichen lässt, damit die Akzeptanz steigt. Es macht jedenfalls relativ wenig Sinn, ein Gesetz zu beschließen, wenn die Betroffenen sagen, dass sie es nicht wollen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Johannes Kahrs. – Schönen guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen, von meiner Seite.
Nächste Rednerin in der Debatte: Anja Hajduk für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6998710 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 185 |
Tagesordnungspunkt | Allgemeine Finanzdebatte |