Lothar BindingSPD - Allgemeine Finanzdebatte
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst den Bürgerinnen und Bürgern danken, zum Beispiel Ihnen auf der Tribüne; denn das Geld, mit dem wir umgehen, kommt auch von Ihnen. Wir gehen damit so um, als ob es unser eigenes wäre – ich meine, genauso vorsichtig –, aber eigentlich kommt es von Ihnen oder von Ihren Eltern oder von denen, die jetzt am Fernseher zuschauen. Wir gehen also mit Ihrem Geld um, machen das Beste daraus. Zugegeben, es gibt immer mal kleine Fehler; es funktioniert nicht alles, aber im Wesentlichen funktioniert das sehr gut.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bundesminister Schäuble hat gesagt: Uns geht es gut in Deutschland. Zum Beispiel ist die Arbeitslosigkeit niedrig. Das Wirtschaftswachstum ist hoch. Die Reallöhne steigen. Dem könnte man vieles hinzufügen – eigentlich alles gut. Ralph Brinkhaus hat gesagt – und das stimmt auch –: im Schnitt. Dieser Durchschnitt ist natürlich mit einer gewissen Gefahr belastet; denn wir müssen schon sagen: Obwohl es uns im Durchschnitt so gut geht, machen sich viele Leute Sorgen. Diese Sorgen ernst zu nehmen und herauszufinden, warum so viele Leute Sorgen haben, obwohl es uns doch im Durchschnitt gut geht, ist, denke ich, wichtig.
Carsten Schneider hat vorhin Schlüsselbegriffe genannt: sozialer Ausgleich und sozialer Zusammenhalt. Wenn man dies genauer in den Blick nimmt, kommt man schnell zu Fragen der Vermögensverteilung, der Einkommensunterschiede und der ungleichen Bildungschancen. Aber im Durchschnitt geht es uns allen gut, wobei man dann noch sagen muss: Wie schlecht es vielen geht, erkennt man daran, dass die Hälfte aller Menschen überhaupt keine Steuern bezahlt. Ich meine aber nicht jene, die Steuern hinterziehen, sondern jene, die so wenig haben, dass sie keine bezahlen müssen – und das ist auch gerecht. Deshalb müssen wir schauen, ob sie nicht zu hohe Abgaben haben. Sie sagen nämlich immer: Ich habe so hohe Abgaben. Darauf sage ich immer: Sie zahlen doch überhaupt keine Steuern. Darauf antworten sie wieder: Aber ich habe trotzdem hohe Abgaben.
Diesen Unterschied und die damit verbundene Ungerechtigkeit müssen wir uns nochmals genauer anschauen, auch mit Blick auf die gefühlte und reale Belastung der Bürger.
Vor allem müssen wir schauen: Ist der Haushalt eigentlich zukunftsfähig? Wir wissen ja: Heute sprudeln die Steuereinnahmen; das ist schon richtig. Aber wir müssen schauen: Was tun wir eigentlich in der Vorsorge für den Fall, dass das Wachstum nachlässt, dass die Zinsen steigen – in unserem Haushalt fehlen sofort einige Milliarden, wenn die Reallöhne vielleicht wieder sinken –, wenn der Leistungsbilanzüberschuss unter Druck kommt? Haben wir diese Haushaltsrisiken wirklich im Griff? Haben wir dafür die entsprechende Zukunftsvorsorge?
Ein Zukunftsrisiko im Haushalt ist auch die Mittelstandsvereinigung der CDU. Diese sagte nämlich, wir hätten im Moment hohe, sprudelnde Steuereinnahmen – vergleichen Sie dazu mein Glas mit Sprudel –
(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])
und diese könnten wir ausgeben.
Nun sieht man aber: Die Steuereinnahmen in jedem Jahr sind endlich, sie könnten auch sinken. Jetzt macht die Mittelstandsvereinigung den Vorschlag, die Steuern zu senken. Übrigens macht die SPD diesen Vorschlag ebenfalls. Wir wollen es aber an der richtigen Stelle machen. Der kleine Nachteil an dem Vorschlag der Mittelstandsvereinigung ist, dass sie sagt, wir sollen die Steuern senken, sie aber nicht sagt, wie das finanziert werden soll. Ausgaben, von denen man nicht weiß, wie sie zu finanzieren sind, sind keine gute Idee. Und jeder hier glaubt mir – aber in acht Minuten schaffe ich es nicht –, dass das Sprudelglas in acht Minuten leer sein wird.
(Der Redner trinkt einen Schluck – Volker Kauder [CDU/CSU]: Prost! Trinken Sie nicht so viel!)
Möglicherweise hat man, wenn man die Steuern senkt, im richtigen Moment nicht mehr genug, um auf Krisensituationen gut zu reagieren.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn wir zu viel ausgeben!)
Deshalb ist es wichtig, über Steuerentlastungen zu sprechen. Aber wer allein über die Abflachung des Mittelstandsbauchs spricht, der muss uns noch verraten, wie er vermeiden will, dass damit die Allerreichsten auch entlastet werden, wenn er am Spitzensteuersatz nichts ändern will. Johannes Kahrs sagte vorhin, bereits das Einkommen, das auch nur 1 Euro über dem doppelten Durchschnittseinkommen von 53 000 Euro liegt, unterliegt dem Spitzensteuersatz. Diese Grenze müssen wir verschieben.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber an der Progression wollt ihr nichts ändern, oder?)
Der Spitzensteuersatz muss vielleicht erst bei 80 000 oder 100 000 Euro beginnen. Aber ich kann den Mittelstandsbauch nur für die niedrigeren Einkommen abflachen, wenn ich den Spitzensteuersatz entsprechend anhebe. Bei Einkommen von 20 000, 30 000 oder 40 000 Euro pro Tag kann man doch darüber nachdenken, ob wir diese nicht ein wenig mehr belasten. Jeder im Saal sollte einmal darüber nachdenken, ob er auch 30 000 oder 40 000 Euro am Tag verdient. Falls nicht: Haben Sie keine Angst vor dieser Reform. Falls doch, nehme ich Ihnen gern davon vielleicht sogar mehr als 50 Prozent ab.
(Zuruf von der CDU/CSU)
Aber diesen Vorschlag darf ich offiziell nicht machen; denn das ist eine psychologische Schallmauer, die man nicht durchbrechen darf. Ich denke aber, über so etwas – Steuersenkungen, Steuergerechtigkeit und viele andere Aspekte – muss man mit Blick auf einen zukunftsfähigen Haushalt wirklich nachdenken.
Bundesminister Schäuble sagte einen weiteren wichtigen Satz – und der ist auch richtig –: Wir sind unermüdlich dabei, dafür zu sorgen, dass die gesetzlich definierten Steuern auch gezahlt werden. Dabei ziehen wir ziemlich an einem Strang, die Finanzpolitiker und die Haushälter. Dieses Bemühen möchte ich keinem absprechen. Aber wir müssen auch zugeben, dass mit dem Blick auf Betrug, Steuerhinterziehung und -gestaltung bis hin vielleicht auch zu kassenfreien Geschäften – ich erwähne einmal die Stichworte Kassen- und Belegpflicht sowie Belegausgabepflicht – noch sehr viel zu tun bleibt. Das gilt auch für eine faire Erbschaftsteuer.
Wir kommen jetzt zu der Frage, Herr Binding, ob Herr Kollege Michelbach Ihnen eine Frage stellen oder eine Bemerkung machen darf.
Ach so. Das überrascht mich. Ich war jetzt gerade so begeistert dabei. Hans, du darfst gerne.
Sie haben gedacht, er stehe schon vor lauter Begeisterung.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Nein, nein, das hatte schon einen Grund.
Ich dachte, er bereitet seine stehende Ovation vor.
Nein, das hatte schon einen Grund. Gut.
Frau Präsidentin, Sie werden es nicht glauben: Meine Begeisterung über die Rede von Herrn Binding hält sich in Grenzen. Beifall ist also nicht gegeben.
Lieber Kollege Binding, es ist für mich schon ein außergewöhnlicher Fall, dass Sie sich so mit den Steuervorschlägen der CDU/CSU-Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung beschäftigen. Das heißt ja, im Grunde genommen machen wir alles richtig, wenn Sie sich so damit beschäftigen.
Ich finde nur, Sie sollten sich dann auch damit beschäftigen, dass es beim Spitzensteuersatz nicht nur um den einzelnen reichen Verdiener geht – dazu hätte ich gerne eine Stellungnahme von Ihnen –, sondern auch darum, dass dadurch, dass die Mittel, die im Unternehmen verbleiben, investiert werden, auch Arbeitsplätze geschaffen werden können. Sehen Sie diese Möglichkeit nicht? Sind Sie nicht auch der Auffassung, dass dann, wenn Sie den Spitzensteuersatz so stark anheben, die Möglichkeiten in den Unternehmen geringer werden, durch neue Investitionen Arbeitsplätze zu sichern?
Herr Binding.
Zunächst einmal möchte ich sagen: Ich beschäftige mich mit allen Übeln dieser Welt, insbesondere natürlich deshalb, um sie zu überwinden.
Sie haben allerdings recht: Das Einkommensteueraufkommen beinhaltet sehr viele unternehmerische Gewinne; denn die Personengesellschaften zahlen nur in der Weise Steuern, dass die Gewinne einer Person zugerechnet werden und dann in Form der Einkommensteuer versteuert werden. Natürlich muss man achtgeben, dass man bei der Besteuerung die Unternehmen nicht auszehrt. Wenn ich mich allerdings in der Welt ein wenig umgucke, stelle ich fest, dass es bis zur Auszehrung der Unternehmen noch ein weiter Weg ist.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
Insbesondere haben die Unternehmen natürlich die Möglichkeit, den Gewinn durch Betriebsausgaben usw. so zu gestalten, dass er fair ausfällt, also der Eigentümer fair besteuert wird und trotzdem die Investitionskraft des Unternehmens erhalten bleibt.
Wenn wir heute über ganz bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten reden, muss man fairerweise sagen, dass wir da nicht an die kleineren Personengesellschaften denken, sondern mehr an Konzerne, mehr an Großunternehmen, die sich da völlig anders einbringen. Diese habe ich allerdings nicht gemeint; denn sie zahlen ja nicht Einkommensteuer, sondern Körperschaft- und Gewerbesteuer. Insofern sind wir da gar nicht so weit auseinander, wenn du mir zustimmen würdest, dass wir die, die richtig viel verdienen, mit einem höheren Spitzensteuersatz belasten sollten – wobei es ja so ist, dass niemand den Spitzensteuersatz auf alle seine Einkünfte zahlt.
(Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU] nimmt wieder Platz – Johannes Kahrs [SPD]: Hoch!)
Sie sind jetzt wieder in Ihrer Rede, nicht wahr?
Letzter Satz.
Na ja, er hat sich vor lauter Begeisterung wieder hingesetzt.
Er stand schon voreilig auf, dann darf er sich auch voreilig wieder setzen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Den Fehler macht er nicht noch einmal!)
Nein, er hat jetzt wirklich lange gestanden. Ich bitte Sie, kommen Sie wieder zur Rede zurück.
Ich komme wieder zurück zu meiner Rede, aber ich will es doch wiederholen: Den Spitzensteuersatz zahlt auch der Milliardär nicht auf alle seine Einkünfte, den bezahlt er nur auf die Euros, die er über 53 000 Euro hinweg einnimmt. Es ist eine ganz wichtige Sache, dass man weiß: Auch der Milliardär hat einen Steuerfreibetrag, auch der Milliardär muss auf seine unterhalb von 53 000 Euro liegenden Einkünfte weniger bezahlen. Deshalb keine Panik vor der von uns geforderten Steuer. Alle werden damit gut leben können.
Ich komme zurück zu meiner Rede und zu einem komplizierten Wort, nämlich BEPS, Base Erosion and Profit Shifting. Das heißt, man zerstört die Bemessungsgrundlage, auf die man Steuern bezahlen muss, indem man Gewinne verlagert. Ich finde, wir müssen noch einmal darüber nachdenken, ob wir uns da, auch in Ihrem Sinne, schon genug engagieren.
Es gibt einen ersten Entwurf zum BEPS-Umsetzungsgesetz, also zur Umsetzung in nationales Recht. Darin sind leider nur zwei Regulierungen enthalten – weil meine Redezeit abläuft, mache ich es kurz –, nämlich Tax Rulings und Country-by-Country Reporting. Wir glauben, das ist ein bisschen wenig. Wir müssen an dieser Stelle mehr tun. Wir haben ja 15 dicke Bücher zu BEPS erhalten, im Moment nehmen wir aber nur sehr selektiv zwei Dinge heraus. Wir glauben, wir müssen uns da sehr viel breiter aufstellen. Auch in der gesetzgeberischen Umsetzung harren noch viele andere Maßnahmen ihrer Erledigung.
Dass wir da noch ein bisschen mehr tun müssen, zeigt auch der aktuelle Fall aus Irland. Es ist doch absurd, dass es dort Tax Rulings gibt – Tax steht für Steuer, und Ruling ist einfach eine Verabredung –, also dass ein Unternehmen mit der dortigen Steuerbehörde verabredet, wie viele Steuern es in Zukunft zu bezahlen hat. In Irland war es nun so, dass die Gewinne auf eine Verwaltungsgesellschaft in den USA verlagert werden durften, wo sie steuerfrei sind, und sie in Irland ebenfalls nicht besteuert wurden, weil sie ja dieser Verwaltungsgesellschaft zugerechnet wurden. Das ist eine doppelte Nichtbesteuerung. Da muss man natürlich ran, das ist unmöglich.
(Beifall bei der SPD)
Deswegen sind wir der Kommission auch für den beihilferechtlichen Aspekt dankbar – das ist auch eine Wettbewerbsfrage –, damit es hier keine ungerechte Bevorzugung zum Nachteil aller anderen gibt. Das ist eine Frage, über die wir im internationalen Kontext noch sehr intensiv diskutieren müssen. Uns hat es sehr gewundert – Carsten Schneider hat darauf hingewiesen –, dass der Minister Schröder
(Zurufe von der SPD: Söder!)
– Söder –, wenige Stunden nachdem ihm das aufgefallen ist, schon wusste – – Schröder hätte es wirklich gewusst, aber Söder?
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Freud’sche Fehlleistung!)
– Ja.
(Johannes Kahrs [SPD]: Wohl wahr!)
Söder wusste, schon wenige Stunden nachdem es bekannt wurde, dass Bayern davon überhaupt nicht betroffen ist.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Und hätte es auch nicht prüfen müssen!)
Ich möchte den Bundesfinanzminister bitten, zu schauen, ob in diesem Kontext in Deutschland Besteuerungsrechte verloren gegangen sein könnten. Es kann sein, dass wir Betriebsstättenanknüpfungspunkte von der Firma Apple in Deutschland haben könnten. Sie ist ja ziemlich aktiv bei uns. Wir müssen schauen, ob nicht doch Besteuerungsrechte verloren gehen, die letztendlich dazu führten, dass von den vielen Milliarden, die Irland aus den USA zustehen, Deutschland einen Teil abbekommen würde. Das wäre doch ganz gut. Das ist aber zu prüfen. Das können wir jetzt noch nicht wissen. Aber diese Aktivität müssen wir vornehmen.
(Beifall bei der SPD)
Wir sehen, dass sich der Haushalt gut darstellt. Wir können ihn in Richtung Gerechtigkeit aber noch deutlich verstärken.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Danke, Lothar Binding. – Nächste Rednerin: Antje Tillmann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6998718 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 185 |
Tagesordnungspunkt | Allgemeine Finanzdebatte |