06.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 185 / Einzelplan 07

Harald PetzoldDIE LINKE - Justiz und Verbraucherschutz

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um den Einzelplan des Bundesministers für Recht und Verbraucherschutz ist nie nur eine Debatte um Einnahmen und Ausgaben. Sie ist eigentlich immer auch eine Diskussion über grundsätzliche Entwicklungslinien in der Rechts- und Verbraucherschutzpolitik, und ich finde, das ist auch notwendig, da zum einen von den Gesetzen, die in diesem Bereich verabschiedet werden, die Menschen in besonderer Weise betroffen sind, und zum anderen – das ist zumindest meine Überzeugung – dieser Politikbereich zu jenen gehört, in denen der Widerspruch zwischen Schein und Sein, zwischen Anspruch und Wirklichkeit am deutlichsten auch nach außen sichtbar ist. Denn es vergeht meiner Meinung nach kaum eine Woche, in der der Bundesjustizminister Heiko Maas nicht wenigstens eine Ankündigung in die Welt setzt, mit der er den Eindruck erweckt, den Menschen doch Gutes tun zu wollen.

Dies nützt möglicherweise seinem Image, und die Leute denken: Mensch, was für ein dynamischer Macher! Aber wenn man genauer hinschaut, sieht man: Es bringt den Menschen in diesem Land tatsächlich nur selten Verbesserungen; denn in den meisten Fällen passiert dann bestenfalls gar nichts – wenn ich an das Versprechen der zeitnahen Abschaffung des sogenannten Majestätsbeleidigungsparagrafen denke, und dabei kann man noch sagen: „Bestenfalls“ ist da gar nichts passiert; wer weiß, was bei einem Gesetz herausgekommen wäre.

Aber ganz oft kommen Gesetze dabei heraus, die entweder das Gegenteil der Ankündigung zur Konsequenz haben – Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“ –, oder aber es sind derart halbgewalkte Kompromisse, dass es mir mit den Gesetzen dann geht wie Clara Peller in der Werbung einer amerikanischen Fast-Food-Kette, die, über einen übergroßen Hamburger gebeugt, ständig fragt: „But where’s the beef?“

(Beifall bei der LINKEN)

Erst in der vergangenen Woche kündigte der Minister vollmundig an, dass es mehr Rechtssicherheit beim sogenannten Scheinvaterregress geben soll. Das ist wahrlich eine gesetzliche Regelung, auf die unsere Nation aufgrund ihrer Dringlichkeit seit Jahren förmlich mit angehaltenem Atem wartet. Der Minister beruft sich dabei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses hatte vor allem festgestellt, dass für einen sogenannten Scheinvater, also einen sozialen Vater, der in der Überzeugung lebt, auch der biologische Vater eines Kindes zu sein, es aber möglicherweise nicht wirklich ist, dagegen oft aber der rechtliche Vater des Kindes, kein rechtlich ausdrücklich geregelter Auskunftsanspruch gegen die Mutter vorhanden wäre, zu erfahren, wer der mutmaßliche Vater ist.

Aber anstatt nun das Unterhaltsrecht neu zu regeln, wofür es gute Gründe gäbe, legt Herr Minister Maas einen Gesetzentwurf vor, der allen Ernstes vorschreibt, dass die Mutter eines Kindes künftig dazu verpflichtet sein soll – Frau Präsidentin, ich bitte Sie, mir das Zitieren zu gestatten –,

dem Dritten, der dem Kind als Vater Unterhalt gewährt hat, auf Verlangen Auskunft darüber zu erteilen, wer ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat, soweit dies zur Feststellung des übergegangenen Unterhaltsanspruchs erforderlich ist.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Völlig durchgeknallt!)

Ich frage mich ganz ernsthaft, Herr Minister – ich kann noch nicht wirklich glauben, was Sie da vorschlagen –: Was hat Sie geritten, allen Ernstes zu verlangen, dass die Mutter eines Kindes künftig preisgeben soll, mit wem sie zwischen dem 300. und dem 181. Tag vor der Geburt eines Kindes Sex gehabt hat, und das, obwohl das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung des Beschlusses im Leitsatz 1 eindeutig festgestellt hat – ich zitiere erneut –:

Das aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG folgende allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt mit der Privat- und Intimsphäre auch das Recht, selbst darüber zu befinden, ob, in welcher Form und wem Einblick in die Intimsphäre und das eigene Geschlechtsleben gewährt wird. Dies umschließt das Recht, geschlechtliche Beziehungen zu einem bestimmten Partner nicht offenbaren zu müssen.

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Wie gesagt, das steht in Leitsatz 1 der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes.

In Ihrer Pressemitteilung schreiben Sie dann, dass Sie eine Regelung schaffen würden, die einen Auskunftsanspruch des Scheinvaters gegenüber der Mutter auf Preisgabe des Namens des mutmaßlichen leiblichen Vaters des Kindes zur Folge hat. Das haben Sie aber nicht in das Gesetz geschrieben. Herausgekommen ist etwas völlig anderes. Und das nenne ich „Irreführung der Öffentlichkeit“ oder „Vortäuschung falscher Tatsachen“. Das ist leider in Ihrem Verantwortungsbereich die Regel. Mal davon abgesehen, dass in vergleichbaren umgekehrten Fällen niemand auf die Idee kommen würde, einen Mann zu derartigen Offenlegungen zu zwingen, ist dieser Gesetzentwurf ein typisches Beispiel für „Thema verfehlt“ vom Bundesministerium für Recht und Verbraucherschutz. Es geht nämlich gar nicht mehr um die Verbesserung der Rechtssituation von Betroffenen, hier von Scheinvätern, sondern es geht um Aktionismus, der rechtsstaatliches Engagement vortäuscht und dabei verschleiern soll, dass mit unwürdigen Methoden in der Privatsphäre von Menschen herumgeschnüffelt wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Liste ließe sich fortsetzen: große Ankündigungen, wenig Substanz, wenig Rückgrat, wenig bis kein Beef. Ich habe den Majestätsbeleidigungsparagrafen bereits genannt, die Vorratsdatenspeicherung könnte hinzugefügt werden. „ Ich lehne sie entschieden ab“, „sie verstößt gegen das Recht auf Privatheit und Datenschutz“, und was Sie sonst noch getwittert haben: Das Ergebnis ist bekannt. Nach wie vor ist das Strafrecht sprachlich nicht von NS-Normen befreit, wie Sie es versprochen haben. Zur groß angekündigten sogenannten Mietpreisbremse wird meine Kollegin Caren Lay nachher noch das Notwendige sagen.

Und so sehr ich mich über die Ankündigung freue, dass Sie die Opfer nach § 175 jetzt endlich entschädigen und rehabilitieren wollen, so wenig kann ich es Ihnen ersparen, Ihnen immer wieder deutlich zu machen, dass das Versprechen, die Diskriminierung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften und Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität vollständig abschaffen zu wollen, nicht eingehalten wird, dass die Arbeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld nach wie vor auf unsicheren Füßen steht und aufgrund der Lage auf den Finanzmärkten fast völlig unmöglich wird, dass beim Personenstandsrecht für intersexuelle Menschen, bei dem Sie evaluieren wollten, welche Verbesserungen durch die Änderung erzielt wurden, wo Sie schauen wollten, wie Sie es gegebenenfalls ausbauen und dabei die besondere Situation von trans- und intersexuellen Menschen in den Fokus nehmen könnten, bis heute nichts umgesetzt wurde.

Wir haben keinen Opferentschädigungsfonds für die Wiedergutmachung von Menschen, die offensichtlich Justizopfer geworden sind. Wir haben keine Gesetze, die die Menschen tatsächlich verstehen. TTIP und CETA, für die Sie sich besonders einsetzen, werden unsere Rechtsstaatlichkeit weiter untergraben. Gegen all das tun Sie nichts. Wenn Sie nicht als Ankündigungsminister in die Geschichte eingehen wollen, dann ändern Sie endlich Ihre Politik. Ein Umsteuern im Einzelplan 07 des Haushaltsgesetzes wäre dazu ein guter Anfang.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort hat der Kollege Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6998788
Wahlperiode 18
Sitzung 185
Tagesordnungspunkt Justiz und Verbraucherschutz
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