07.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 186 / Einzelplan 04

Katrin Göring-EckardtDIE GRÜNEN - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen! Ja, das war ein bitteres Wochenende für viele von uns. Der Aufstieg der AfD nach Sachsen-Anhalt nun auch in Mecklenburg-Vorpommern kann uns nicht egal sein. Er hat zu Verunsicherungen geführt, auch bei den politischen Parteien. Trotzdem muss man vielleicht einmal das Gegenbild aufmachen und auf die Stimmung der Bevölkerung schauen: 90 Prozent der Deutschen sind mit ihrem Leben zufrieden, knapp 80 Prozent mit unserer Demokratie. Sowie unsere Gesellschaft bunter geworden ist, durch Migration und vielfältige Lebensformen, so sind die Menschen mit diesem Land zufrieden. Deswegen müssen wir unsere Demokratie mit ihrer Offenheit, mit ihrer Vielfalt verteidigen. Darauf kommt es jetzt an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Es ist falsch und eine Verzerrung der Wirklichkeit, davon zu sprechen, wir hätten ein von den Flüchtlingen überfordertes Volk, wie es CSU und AfD im Gleichklang tun. Nicht das Volk, nicht die Menschen in unserem Land sind überfordert, meine Damen und Herren, sondern Sie mit Ihrer chaotischen Regierung sind es. Das ist das Problem, und darüber muss geredet werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ja, es gibt Menschen, die sich abgehängt fühlen, obwohl ihre wirtschaftliche Situation gar nicht so schlecht ist, und es gibt Menschen, die Gewalt akzeptieren, die immer mehr extreme Einstellungen akzeptieren. Das Niveau sinkt genauso wie die Schwelle, solches öffentlich zu sagen. Sie sind eine Minderheit! – Das müssen wir ihnen sagen. Wir müssen der Mehrheit in diesem Land, die für Demokratie und Offenheit steht, eine Stimme geben. Darauf kommt es an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Da hilft es überhaupt nichts, wie es einige von Ihnen in der Union und auch der Linkspartei tun, ein Schreckensbild von Deutschland als Opfer der Globalisierung zu zeichnen. Sie schaffen dadurch erst die Angst, deren Linderung Ihre eigentliche Aufgabe wäre,

(Johannes Kahrs [SPD]: Sind Sie jetzt für TTIP und CETA?)

frei nach dem Motto: Erst ich, dann die Partei und dann das Land. – Diese Koalition ist eine Koalition des Chaos: Jeder gegen jeden. Das Vertrauen verspielen Sie doch selbst. Sie sind gerade dabei, das letzte bisschen Vertrauen zu verspielen.

Frau Merkel, man fragt sich nach Ihrer Rede über Werte, für die Sie hier kämpfen wollen, über Klarheit und über Ansagen: Die Chefin welcher Regierung sind Sie eigentlich? Ich kann die Regierung, für die Sie hier scheinbar geredet haben, jedenfalls nicht erkennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schauen Sie einmal genauer hin!)

Gegen Populismus hilft nur Vernunft. Frau Merkel, Sie haben gerade etwas Ähnliches gesagt. Wissen Sie, was ich an dieser Passage Ihrer Rede spannend fand? Den meisten Beifall dafür haben Sie vom Bündnis 90/Die Grünen bekommen und den wenigsten von der CSU. Das sollte Ihnen zu denken geben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!)

Die Union legte innerhalb einer Woche drei Papiere zur inneren Sicherheit vor. In diesen ging es vor allen Dingen um Burkas und den Doppelpass. Als ob damit irgendjemand in Deutschland sicherer leben würde. Richtig ist doch: Gewalt gegen Flüchtlinge ist ein Problem. Es gab 705 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte allein in diesem Jahr. Das ist eine Schande. Das ist ein Sicherheitsproblem, um das wir uns kümmern müssen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Seit elf Jahren sind Sie als Union für die innere Sicherheit zuständig. Es sind Ihre Behörden, die beim NSU versagt haben, die die Warnhinweise zur Terrorismusgefahr verstolpert haben und die auch für das Personaldefizit bei der Bundespolizei verantwortlich sind, das Sie jetzt mühsam wieder schließen wollen. Sie selbst sind dafür zuständig. Sie können nicht noch mehr zur Verunsicherung beitragen. Es wäre Zeit, endlich einmal Sicherheitskonzepte vorzulegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es überhaupt steigende Kriminalitätsraten? Nicht bei Flüchtlingen. Alle Kriminalitätsraten bis auf eine sinken. Ja, die Zahl der Einbrüche steigt massiv an. Reiche Leute haben es da einfach. Sie legen sich Zäune und Alarmanlagen zu. Gelackmeiert sind die, die sich das nicht leisten können. Das ließe sich mit einem einfachen ordentlichen Programm beheben. Das wäre gut für Handwerker, und das wäre schlecht für Einbrecher. Sie könnten einmal real für mehr Sicherheit in diesem Land sorgen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sind getrieben von Stimmungen, von Meinungsumfragen und von Eilmeldungen. Sie führen Symboldebatten um Hamsterkäufe und Bekleidungsverbote, statt zu tun, was zu tun ist. Zehn Dosen Ravioli statt Politik – Sie sind doch auf den Hund gekommen. Das erkennt man, wenn man sich das anschaut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Nehmen wir die Flüchtlingspolitik. Alles verengte sich auf den einen Satz: Wir schaffen das. Im Herbst 2015 hat dieser Satz uns alle hier geeint. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklären Sie, Frau Merkel, dieser Tage, warum Sie an diesem Satz nichts ändern. Unter dem Strich vollziehen Sie allerdings, und zwar nicht erst seit Sie sich mit dem Türkei-Deal Herrn Erdogan ausgeliefert haben, nicht weniger als eine fast vollständige Kurskorrektur in der Flüchtlingsfrage. Sie nennen es nur nicht so. Sichere Herkunftsländer, Einschränkung des Familiennachzugs, Einführung von Sachleistungen – es gibt fast nichts, was Sie nicht schon abgeräumt hätten.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gut, dass Sie das mal erwähnen!)

Herr Gabriel saß hier in diesem Haus mit dem großen Refugees-Welcome-Button der Bild -Zeitung. Heute fordert er Obergrenzen. Heute setzt Herr Gabriel ein korruptes Bankensystem gleich mit Flüchtlingen, die aus Kriegs- und Krisengebieten kommen, um eine neue Neiddebatte anzuzetteln. So geht Zusammenhalt in diesem Land nicht. Das spaltet, und das können wir uns nicht leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dabei ist es so, dass viele Menschen tatsächlich viel geschafft haben. Etwa 1 Million Geflüchtete, die Deutschland in kurzer Zeit aufgenommen hat, sind hier. Das war anstrengend. Das ging nicht ohne Reibungen. Es gab übersteigerte Erwartungen einiger, es gab Fehlverhalten, und ja, es gab Köln. Aber am Ende gibt es heute kaum noch eine Unterbringung in Turnhallen. Im Gegenteil: Etliche Aufnahmeeinrichtungen stehen leer, und etliche kommunalpolitisch Verantwortliche sagen schon heute: Wir haben doch die Kapazitäten. Warum holen Sie nicht endlich die Familienangehörigen her? Die jungen Männer, die hier sind, werden verrückt, wenn sie wissen, dass ihre Kinder und ihre Frauen noch in Aleppo oder anderen Kriegsregionen sind. – Das ist eine der schändlichsten Entscheidungen, die Sie getroffen haben. Jetzt können wir es. Dann tun Sie es endlich. Der Familiennachzug muss wieder möglich sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Sprach- und Integrationskurse sind gefragt wie nie. Zehntausende Menschen engagieren sich. Die Arbeit allerdings wird in den Ländern und Kommunen erledigt, übrigens auch von sehr vielen engagierten Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern in Bayern. Ich verstehe bis heute nicht, warum Herr Seehofer und Herr Söder nicht einfach stolz auf sie sind und in diesem Land stattdessen mit Dauerrepression und Defätismus agieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber natürlich gab es vor allem die Hilfsbereitschaft in der Zivilgesellschaft. Es waren Menschen da, die gesagt haben: Wir machen das jetzt. – Ihnen muss man danken. Ihnen danke ich auch heute noch einmal; denn sie haben durchgehalten und haben sich nicht verunsichern lassen. Sie tun einfach, was zu tun ist. Anders als Sie wollen sie nicht Abschottung und Ausgrenzung, sondern, dass Menschen hier wirklich ankommen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt deutlich mehr Leute, die helfen und anpacken, als solche, die auf meiner oder anderen Facebook-Seiten Hasskommentare hinschmieren. Deswegen sollte sich unsere Politik an genau diese Menschen richten: an die Mehrheit, die dieses Land liebt, die ihre Heimat nicht nur verteidigt, sondern auch selbstverständlich teilt und offen ist.

An der Stimmung im Hinblick auf die Hilfsbereitschaft in unserem Land hat sich seit dem letzten Jahr übrigens wenig geändert. Ich finde ganz interessant, dass es die Evangelische Kirche in Deutschland sein musste, die die Menschen seit August letzten Jahres immer wieder befragt hat, wie sie die Aufnahmebereitschaft und die Flüchtlingssituation beurteilen. Das Ergebnis ist positiv geblieben. Vielleicht hätten auch Sie einmal eine solche Umfrage in Auftrag geben und weniger auf Herrn Seehofer oder andere hören sollen. Dann wüssten Sie nämlich, wie die Lage im Land wirklich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Ihre Bilanz ist: Die Asylverfahren dauern mittlerweile im Schnitt wieder 7,3 Monate; das sind fast zwei Monate mehr als Anfang des Jahres. Das liegt nicht etwa daran, dass wieder mehr Leute gekommen sind – es sind ja weniger gekommen –, sondern das liegt ganz einfach an Ihrer Politik. Inzwischen muss nämlich jeder syrische Flüchtling wieder zu einem Anhörungsverfahren kommen.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist auch richtig!)

Außerdem haben Sie die Altfälle immer noch nicht geregelt. Daran liegt das. Das ist Ihr eigenes Versagen. Damit schieben Sie weiterhin einen Berg vor sich her und sorgen dafür, dass die Leute nicht integriert werden können, dass sie weiter herumsitzen, dass sie warten, warten und warten, dass die Kinder nicht zur Schule gehen können und dass die Menschen nicht in Arbeit kommen. Das ist ein Versagen, ein Verstolpern und ein Hinauszögern einer Situation, was wir uns nicht leisten können. Deswegen: Ändern Sie das endlich!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben ein Integrationsgesetz auf den Weg gebracht, für das Sie sich immer noch feiern. Mir wird ganz schwummerig, wenn ich lese, was da drinsteht, und wenn ich mir vor Augen führe, was Sie damit bezwecken wollen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann halten Sie sich fest!)

Es ist nicht von dem Gedanken getrieben, dass Sie Integration und Zusammenleben verbessern wollen. Es ist davon getrieben, dass Sie so tun, als ob die Geflüchteten gar nicht integriert werden wollen. Das Gegenteil ist der Fall: Sie wollen, und zwar in ihrer ganz großen Mehrheit. Dafür muss man auch sorgen. Diese Chance müssen wir ergreifen. Wir dürfen den Menschen nicht mit Argwohn und Misstrauen begegnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das alles ist nicht einfach. Deswegen haben wir mit unserem Vorschlag „Fast and fair“ ein Modell vorgelegt, wie man schnelle Verfahren und, ja, auch schnelle Rückführungen organisieren kann. Das tut auch uns weh. Da mussten wir umdenken; aber das gehört dazu. Man kann das allerdings machen, und zwar schnell, rechtsstaatlich und so, dass es funktioniert. Was Sie wollen, ist, Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)

trotz Folter und trotz Verfolgung der Minderheiten in diesen Staaten. Man kann sich ja darüber streiten, wie man das findet. Wenn uns die Einhaltung der Menschenrechte dort wichtiger ist als Ihnen – bitte schön. Aber es fehlt doch nicht an der Regelung, dass diese Länder sichere Herkunftsstaaten sind, sondern es fehlt vor allem an Rückkehrmöglichkeiten, weil diese Staaten die Leute nicht zurücknehmen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt ja gar nicht!)

Daran zu arbeiten, das wäre Ihr Job. Sie sollten aber keine Symboldebatten führen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben sich im fernen China gefragt, welchen Anteil Sie an dem Wahlergebnis in Mecklenburg-Vorpommern haben, sicher auch nach den Wahlergebnissen Ihrer Partei in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Ich bin sicher, dass es nicht an Ihrem Satz: „Wir schaffen das“ von damals lag, sondern an dem Eindruck, den Ihre eigenen Spitzenleute immer wieder erwecken, die nach dem Motto verfahren: Wir können das nicht schaffen. – Dieses Hin und Her, diese Unklarheit führt zu Verunsicherung und dazu, dass die AfD ihr Geschäft gar nicht mehr selbst betreiben muss, weil Ihre eigenen Leute das schon machen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer jeden Blödsinn der Populisten nachplappert, der muss sich nicht wundern, wenn sie dann gewählt werden. Und an die CSU und Herrn Seehofer der einfache Satz: Wer die AfD stärken will, macht es einfach weiter wie Herr Seehofer. Das geht eins zu eins. – Ich kann es Ihnen jedoch nicht empfehlen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber es gibt noch etwas, was mit Sicherheit zu dem Wahlergebnis beigetragen hat: Ihr Kriechen vor Herrn Erdogan und die Willfährigkeit, mit der Sie versucht haben, eine Entscheidung dieses Parlaments zu relativieren. Ich hoffe sehr, dass dieses ganze Haus nicht nur zu der Resolution steht, sondern dass wir klar und deutlich weiterhin sagen: Ja, das war ein Völkermord. Und ja, Deutschland hat hier eine Mitverantwortung.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben Sie etwas anderes gehört?)

Meine Damen und Herren, daran gibt es nichts zu deuteln, nichts zu relativieren, und daraus gibt es keine falschen Schlussfolgerungen zu ziehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das macht doch niemand! – Das hat kein Mensch gesagt!)

Die Voraussetzungen, um Großes zu erreichen, können eigentlich nicht besser sein: Wir haben eine niedrige Arbeitslosenquote. Wir haben ein stabiles Wachstum.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Gute Politik!)

Allein im letzten Halbjahr wurde in Deutschland ein Steuerplus von 18 Milliarden Euro erwirtschaftet. Ich finde, angesichts der Einnahmen und der Dringlichkeit von Investitionen, deren Fehlen wir ja hoch und runter alle beklagt haben, was die Infrastruktur angeht, kann man gerne auch von Entlastungen reden, aber, Herr Schäuble, bitte nicht wieder nach dem Motto „alles für alle“, sondern bitte genau dort, wo es notwendig ist, bei den Geringverdienern, bei den Familien, bei den Rentnern mit kleinen Einkommen, nicht nach dem Motto: Wir verteilen wieder Wahlgeschenke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man die Menschen draußen fragt, hier in Berlin zum Beispiel, was sie vom Staat erwarten, der gerade einen solchen Überschuss hat, dann sagen die wenigsten: ein paar Euro weniger Steuern im Jahr. Die meisten sagen: Tun Sie endlich etwas gegen die steigende Miete und gegen die Verdrängung im Kiez! – Und das ist nicht allein in Berlin so. Es gibt zig Städte in Deutschland, wo man heute ein Drittel des Nettoeinkommens nur für die Miete aufbringen muss.

(Johannes Kahrs [SPD]: Wo verbringen Sie Ihr Leben? Da wird doch was gemacht!)

– Nein, da wird eben nichts gemacht.

(Johannes Kahrs [SPD]: Die Mittel für den sozialen Wohnungsbau sind doch hochgefahren worden!)

– Herr Kahrs, Sie haben ja etwas Tolles eingeführt. Sie waren der Meinung, man könnte die Menschen, die da draußen jeden Monat Miete bezahlen, ein bisschen verarschen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das mit der Wortwahl diskutieren wir noch einmal!)

Sie haben eine Mietpreisbremse eingeführt, die überhaupt nichts bringt. Jetzt, kurz von den Wahlen in Berlin, wundern Sie sich, dass es sogar dem Regierenden Bürgermeister von Berlin auffällt, dass die Maßnahme nicht wirkt, und sagen: Oh, jetzt machen wir aber eine richtige Mietpreisbremse. – Was glauben Sie, wie viel Vertrauen Sie da verspielt haben?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wer ist eigentlich zuständig für den Wohnungsbau? Das sind einerseits in der Tat die Länder; andererseits ist es inzwischen aber eine nationale Aufgabe. Es ist eben nicht der Job, hier Konkurrenzen zu formulieren und die einen gegen die anderen auszuspielen, wenn es um Wohnungen geht.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das macht doch keiner!)

– Doch, ich habe heute Morgen im Radio gehört, dass Ihr Parteichef das wieder einmal versucht. – Wer ist eigentlich zuständig für den Wohnungsbau in diesem Kabinett? Wenn ich es richtig weiß, ist es Frau Hendricks.

(Johannes Kahrs [SPD]: Das tut sie ja auch!)

Frau Hendricks ergeht sich in falschen Mietpreisbremsen und in Ankündigungen. Sie könnten längst etwas tun. Stellen Sie doch die Wohngemeinnützigkeit wieder her! Dann bräuchten Sie keine Grundgesetzänderung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Dann könnten wir in den Wohnungsbau investieren. Hören Sie doch auf, so verdruckst zu tun. Der Schwarze Peter liegt doch bei Ihnen. 1 Million Wohnungen in zehn Jahren, das wäre einmal eine Ansage. Das könnten wir finanzieren, und damit könnten wir auch zeigen, dass wir wissen, wo der Schuh drückt.

Wenn man nach Berlin schaut, dann freut man sich besonders über die wichtigste Baustelle der Hauptstadt, den BER. Sie hat jetzt gerade ihr zehnjähriges Jubiläum, die kaputte Visitenkarte einer Weltstadt, die auf Kreisniveau regiert wird. – Nein, das ist eigentlich nicht richtig; denn in vielen Kreisen wird wirklich gut regiert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie wird unter diesem Niveau regiert. – Wowereit und Platzeck sind längst von Bord gegangen. Der Bund ist immer noch in der Verantwortung. Der BER ist ein Symbol geworden für Planlosigkeit, Überheblichkeit und Verschwendung einer Großen Koalition hier in Berlin. Meine Damen und Herren, das muss ein Ende haben, und zwar sehr schnell.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer so unverantwortlich mit Mitteln und Planungen umgeht, der hat es nicht verdient, weiter zu regieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Deshalb wollen Sie ja mit Frank Henkel koalieren! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Vor einem Jahr – Frau Merkel, Sie haben darauf hingewiesen – hat die Welt in Paris beschlossen, sich selbst retten zu wollen, und beim G 7-Gipfel in Elmau haben Sie sogar die totale Dekarbonisierung unserer Wirtschaft versprochen. Das ist eine Ankündigung zur Revolution, die komplett verpufft ist. Der Verkehr ist das große Sorgenkind. Sie beschäftigen in Ihrem Kabinett seit Jahren immer wieder Verkehrsminister, die anscheinend vor allen Dingen nach einem Kriterium ausgesucht werden, nämlich danach, welchem Underperformer Sie das Ministerium geben, die man nur braucht, weil man eine Quote erfüllen muss. Sie planen eine Maut, die niemand will und die niemals kommt, während der Abgasskandal der deutschen Automobilindustrie richtig ins Herz trifft. Sie wollten Deutschland zum Vorreiter der Elektromobilität machen. Ihre Kaufprämie für Elektroautos ist aber ein totaler Rohrkrepierer. Bis 2020 wollten Sie die Zahl von 1 Million Elektroautos erreichen, gerade einmal 3 000 Anträge wurden gestellt. Aber was machen Sie? Sie verändern einfach das Ziel. So kann man das natürlich auch machen. Im Sozialismus hat man das übrigens auch so gemacht. Man hat das Ziel verändert, damit man es erreichen kann. So weit sind wir jetzt schon.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Seit wann sind Sie gegen Elektroautos?)

Nur zum Vergleich: Norwegen und die Niederlande steigen bis 2025 aus der Technologie Verbrennungsmotor aus, und in anderen Ländern entstehen Batteriefa­briken. Wir subventionieren weiterhin fossile Kraftstoffe und Spritschlucker. Wenn Sie bei diesem Kurs bleiben, dann wird die Aktie von VW nicht die einzige bleiben, die einbricht. Unser Kohleausstiegsplan liegt auf dem Tisch. Bedienen Sie sich gerne.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Welches Auto wird denn mit Kohle betrieben?)

Dann würde es nämlich nach vorne gehen und nicht weiter nach hinten in die schwarze Vergangenheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gestern hat die Umweltministerin eine komplette Bankrotterklärung abgegeben. Die Überschrift ist fast das Einzige, was geblieben ist; „Klimaschutzplan“ soll es heißen. Die Klimaziele in den Bereichen Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft und Kohle wurden schon von Gabriel gestrichen; den Rest hat das Kanzleramt gekippt – ganz nach dem Motto: Die Welt sollen jetzt einmal die anderen retten, wir schützen unsere Klientel. – Das hilft dem Klimaschutz und den kommenden Generationen nicht, und das wird uns auch wirtschaftlich zurückwerfen; denn wenn man in die Zukunft investieren will, dann geht das nicht ohne Klimaschutz und ohne klare Vorgaben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes Kahrs [SPD]: Und deswegen sind Sie gegen das E-Auto, oder was?)

Meine Damen und Herren, ich habe vor einem Jahr einen Satz gesagt, der mir gerne vorgeworfen wird. Ich habe gesagt:

Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich drauf!

Diese Aussage steht. Der Wandel ist so sicher wie der nächste Winter. Wir können uns entscheiden, ihn zu gestalten oder uns auszuliefern. Frau Merkel hat es heute gesagt, gestern hat es auch Herr Schäuble gesagt: Es hilft alles nichts; unser Land verändert sich. – Das Dümmste, was wir tun könnten, wäre aber, aus Angst vor Veränderung das infrage zu stellen, was uns ausmacht und was übrigens auch der Grund ist, weswegen die Menschen zu uns kommen. Sie kommen zu uns, weil wir ein Land der Freiheit, der Demokratie und des Zusammenhalts sind.

(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, und das wollen wir ja nicht verändern!)

Unsere Antworten sind nicht Mauern, Abschottung und Ausgrenzung. Die Vorstellung, Deutschland in der Mitte Europas mit seiner Geschichte und seiner wirtschaftlichen Verflochtenheit in der Globalisierung habe die Chance, alle Vorteile zu genießen und die Nachteile auszublenden, ist naiv und gefährlich. Genau das müssen Sie sehr schnell ändern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Wir leben in einer permanenten Umbruchsituation, und ich kann die Unsicherheit, die dies nach sich zieht, nachvollziehen: die Furcht vor Jobverlust, sozialem Abstieg, fehlenden Aufstiegschancen für Kinder, Terroranschlägen usw. Aber waren wir in der Vergangenheit eigentlich jemals sicher? Haben wir nicht über Jahrzehnte gelernt, auf eigenen Füßen zu stehen und Verantwortung zu übernehmen? Das geteilte Deutschland in Zeiten der nuklearen Bedrohung mitten im gesellschaftlichen und sozialen Wandel der 68er, herausgefordert durch Waldsterben und sauren Regen, umgeben von einem Europa, in dem es mehrere Diktaturen gab, das war doch kein idyllischer Ort. Dass die Schwierigkeiten erfolgreich überwunden wurden, lag nicht daran, dass die Bedingungen damals besser waren, sondern daran, dass wir alle Willfährigkeiten und Widrigkeiten in einer Demokratie gemeinsam bestanden haben. Wenn die ostdeutsche Bevölkerung nicht den Mut aufgebracht hätte, ihre Debatten in den Küchen und Kirchen in den Protest auf Plätzen und Straßen zu verwandeln, wo wären wir dann heute? War das einfach? Nein, es war nicht einfach. Es war eine der schwierigsten Zeiten.

Es gibt ein Erfolgsrezept, das wir mitnehmen müssen, wenn wir die anstehenden Veränderungen gestalten wollen: Wir sind eine offene, eine plurale Gesellschaft mitten in Europa. Wir streiten uns sachlich und finden auch Kompromisse. Wenn es bei einer Institution kriselt, dann fangen die anderen sie auf. Wir machen das einfach. Das ist unser Land, und das ist auch das Land, in der 80 Prozent der Bevölkerung unsere Demokratie und unsere freie Gesellschaft gut finden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist unser Land, und wir haben es zu verteidigen. Es ist ein Land, das es verdient hat, gut regiert zu werden, nicht chaotisch, nicht indem jemand, der nicht am Kabinettstisch sitzt, aber Teil der Regierung ist, Herr Seehofer, das Geschäft der Rechtspopulisten macht, nicht in Verantwortungslosigkeit, sondern in Planbarkeit. Der Satz „Wir schaffen das“ war nicht falsch; aber es hat gefehlt, zu sagen, wie wir das schaffen, zu sagen: Wir machen das jetzt, weil wir es können und weil wir das Land zusammenhalten wollen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE] – Zuruf von der SPD: Ein ganz starker Abgang!)

Thomas Oppermann spricht nun für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6999176
Wahlperiode 18
Sitzung 186
Tagesordnungspunkt Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
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