Norbert Lammert - Wirtschaft und Energie
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrter Kollege Ernst, ich hatte gedacht, das ist heute die Debatte um den Wirtschaftshaushalt. Aber Sie haben das wahrscheinlich mit einer Parteitagsrede vor Ihren Genossen verwechselt. Wenn Sie schon die Frage der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland ansprechen, so kann ich Ihnen sagen: Es gab einmal den Slogan „Gerecht ist, was Arbeit schafft“. Herr Kollege Ernst, seitdem die CDU/CSU wieder in der Regierung ist, seitdem wir 2005 Rot-Grün abgelöst haben, haben wir über 5 Millionen zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse – 5 Millionen in zehn Jahren! –, und das trotz zweier sehr einschneidender Krisen: der Wirtschafts- und der Euro-Krise. Wenn das kein Ausdruck dessen ist, dass sich in Deutschland die Gesamtsituation der Beschäftigung und damit auch die Einkommensverhältnisse wesentlich verbessert haben, dann weiß ich nicht, was Sie noch erwarten.
Zu den 1 000 Euro, die der Minister bei den Nettolöhnen angesprochen hat, kann ich Ihnen noch eine Zahl sagen – Sie wollten es ja gern prozentual –: 3,2 Prozent pro Jahr ist die Entwicklung in Deutschland bei den Bruttolöhnen, und das ist inflationsbereinigt. Daran können Sie sehen, dass auch neugeschaffene Arbeitsplätze dazu führen, dass die Menschen mehr Einkommen generieren können, und genau das ist doch der Sinn von Wirtschaftspolitik.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Deshalb ist Wirtschaftspolitik, meine Damen und Herren, Zukunftspolitik. Die Dinge, die wir jetzt im Haushalt anschieben, wirken nicht heute und morgen, sondern entfalten übermorgen und überübermorgen ihre Wirkung. Deshalb ist es wichtig, dass wir heute kluge Beschlüsse fassen.
Ich möchte zum Haushalt ein paar Worte verlieren, weil es hier, wie gesagt, auch um die Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft in Deutschland geht. Manche denken immer, dass die Wirtschaft in Deutschland so gut läuft, wäre gottgegeben, da müsste man nichts tun. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein großer Irrtum. Niemand auf der Welt wartet darauf, bis wir in Deutschland einmal aus der Knete kommen, um verschiedene Dinge voranzuschieben.
Wenn man sich mit der Entwicklung der Wirtschaft in den nächsten Jahren beschäftigt, dann erkennt man – das ist ein unbestrittener Fakt –, dass die Digitalisierung der Wirtschaft der entscheidende Faktor ist, wenn es darum geht, weltwirtschaftlich überhaupt noch konkurrenzfähig zu sein. Da ist es uns in Deutschland gelungen, mit dem Begriff „Industrie 4.0“ eine weltweite Marke zu schaffen. Selbst im englischsprachigen Raum verwendet man heute für die Digitalisierung der Wirtschaft den Begriff „Industrie 4.0“. Nun ist es natürlich an uns, wenn man die Marke geschaffen hat, sie auch auszufüllen und zum Erfolg zu bringen. Ich denke, der Haushaltsentwurf, der uns jetzt vorliegt, ist genau der Schritt dahin, diese Marke mit Inhalten zu füllen.
(Beifall des Abg. Thomas Stritzl [CDU/CSU])
Was braucht man für die Digitalisierung der Wirtschaft? Man braucht natürlich Erfolge bei den Schlüsseltechnologien. Eine Voraussetzung für das Gelingen von Industrie 4.0 sind zum Beispiel Erfolge im Bereich Mikroelektronik. Jahrelang hat dieser Bereich in der öffentlichen Diskussion in Deutschland ein Schattendasein geführt, weil die Annahme war – viele dachten das –, dass es die Mikroelektronik in Deutschland oder Europa gar nicht mehr gibt und sie sowieso schon lange in Asien ist. Aber das ist ein großer Irrtum. Wenn wir die Mikroelektronik in Deutschland und in Europa nicht weiterentwickeln, wenn wir das den Asiaten und den Amerikanern überlassen, meine Damen und Herren, dann wird es – das kann ich Ihnen sagen – für die Industrie 4.0 in Deutschland auch schwierig.
(Beifall des Abg. Thomas Stritzl [CDU/CSU])
Auch das ist klar: Neben der Mikroelektronik und der Softwareentwicklung brauchen wir ein völlig neues Netz zur Datenübertragung, den sogenannten 5G-Standard, der im Moment in Deutschland entwickelt wird; wir sind da weltweit an der Spitze. Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, dass in den nächsten Jahren dieser sogenannte 5G-Standard in Deutschland schnell Platz greift, weil nur mit diesem Standard überhaupt zum Beispiel autonomes Fahren mit Autos oder die Digitalisierung der Industrie möglich sind.
Herr Minister, bei der Mikroelektronik sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden, dass wir in den nächsten Jahren durchaus erfolgreich sein können. Bei der 5G-Entwicklung wäre doch zu überlegen, ob man hier nicht noch einen etwas größeren Schub gibt, ob man hier nicht ein Sonderprogramm entwickelt, damit die beteiligten Universitäten nicht bloß immer Anträge beim BMBF stellen können, und auch dafür sorgt, dass 5G, worunter sich viele Leute nichts vorstellen können,
(Thomas Jurk [SPD]: Das ist die fünfte Generation des Mobilfunks!)
augenscheinlich wird und ein Verständnis dafür entsteht, was man mit diesem neuen Standard eigentlich erreichen kann.
Positiv am Haushalt ist, dass die Mittel des Kapitels „Digitale Agenda“ noch einmal deutlich aufgestockt werden. Aber wenn man jetzt einmal den ganzen Haushalt durchsieht, dann muss man feststellen, dass zum Beispiel die verschiedenen Titel im Zusammenhang mit der Digitalen Agenda und der Industrie 4.0 sehr unterschiedlich veranschlagt sind. Ich würde sehr dafür plädieren, dass man das einmal zusammenfasst, dass man hier sozusagen klarmacht, dass die Industrie 4.0, die Digitalisierung der Wirtschaft, auch im Haushalt eine wichtige Rolle spielt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, es sprach vorhin ein Redner – ich weiß gar nicht mehr genau, wer es war – davon, dass ZIM mit einer halben Milliarde Euro ausgestattet würde und der Rest der Mittel zu den Großkonzernen flösse. Das ist natürlich völliger Unfug. Im Haushalt finden sich zum Beispiel auch Programme für die Luft- und Raumfahrt. Erst einmal: Die Luft- und Raumfahrt ist ein wichtiger, innovativer Industriezweig in Deutschland. Dort arbeiten auch Menschen – das muss man einmal sagen –, dort gibt es auch Arbeitsplätze. Selbst in der Luft- und Raumfahrt gibt es mittelständische Unternehmen. Derjenige Redner, der das vorhin von sich gegeben hat, sollte einmal einen Blick in den Haushalt werfen,
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Er ist federführend für den Haushalt zuständig!)
weil im Haushalt die Quoten, die auf die Mittelständler entfallen, genau ausgewiesen werden. Jetzt das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand auszuspielen gegen das Thema Luft- und Raumfahrt, das halte ich für völligen Unfug,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Unlauter!)
zumal zum Beispiel die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ein klassisches Mittelstandsprogramm ist. Wenn man die Posten im Haushalt einmal zusammenrechnet, die spezifisch für den Mittelstand bereitgestellt werden, dann wird man sehen: Der Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums ist im Prinzip ein Haushalt für die mittelständische Wirtschaft in Deutschland.
(Thomas Jurk [SPD]: Richtig!)
Zum Thema Außenwirtschaft. Herr Hofreiter, vielleicht hätten Sie sich an der Anhörung zu CETA in dieser Woche beteiligen sollen, dann hätten Sie nicht solche halbgewalkten Sachen von sich gegeben; denn die Punkte, die Sie angesprochen haben, haben Ihre Kollegen und auch die linke Seite in der Anhörung angesprochen. Sie hätten sich die Meinung der Experten anhören sollen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das wollen die doch nicht! – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann auch Meinungen nachlesen!)
Denken Sie doch einmal darüber nach, ob es sein kann, dass Ihr Standpunkt, den Sie einnehmen, fachlich nicht untermauert ist.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie sich einmal vor: Es ist gestattet, als Politiker Dinge nachzulesen! Vielleicht sollten Sie das auch einmal machen!)
Das müssen Sie auch als Politiker anerkennen. So wenig Sie mit Ihrer Ideologie in Sachen Energiewende die Physik außer Kraft setzen können, so wenig können Sie mit Ideologie Handelspolitik machen.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie einfach mal ein paar Gutachten! Das reicht!)
So einfach ist das.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen bildet! Es hilft auch Ihnen!)
Ich empfehle Ihnen: Nutzen Sie die fachliche Kompetenz in den Anhörungen, damit Sie hier im Plenum fachgerecht diskutieren können.
(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einfach mal lesen!)
Zum Thema Außenwirtschaft, Herr Minister, müsste man aus meiner Sicht folgende Frage diskutieren. Es gibt eine Menge verschiedener Exportinitiativen: die Exportinitiative Gesundheitswirtschaft, die Exportinitiative Energieeffizienz, die Exportinitiative Erneuerbare Energien und weitere Exportinitiativen. Auch hier wäre zu überlegen, ob man diese Exportinitiativen nicht bündelt, um sie auch für Außenstehende etwas transparenter zu machen; denn das soll mit diesen Initiativen im Prinzip erreicht werden.
Jetzt war in dieser Woche in den Zeitungen zu lesen, dass die deutsche Wirtschaft am besten beim Export in die ganze Welt aufgestellt ist, weil sie sehr diversifiziert ist. Sie hat nicht nur einen Markt, sondern sie hat weltweit viele Märkte. Nur auf einem Markt, Herr Minister, sind wir nicht so gut vertreten, und das ist der Markt in Afrika. Ich möchte hier dafür werben: Wir sollten den Kontinent Afrika nicht den Chinesen, Türken, Indern oder anderen überlassen, sondern wir sollten uns gemeinschaftlich bemühen, dass die deutsche Wirtschaft mit mehr Engagement in Afrika unterwegs sein kann. Ich rege an, dass man sich im Hause des Bundeswirtschaftsministers zu einer Strategie zusammenrauft, aus der hervorgeht, wie wir in den nächsten Jahren auch in Afrika wieder mehr Fuß fassen können. Das wäre jedenfalls mein großer Wunsch.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die Eröffnung der neuen Büros in Sambia und in Mosambik geht in die erst einmal richtige Richtung, aber man braucht einen generellen Ansatz, um in Afrika tätig zu werden. Vor allem geht es darum, die mittelständische Wirtschaft nach Afrika zu bringen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zusammenfassend: Wir finden den Entwurf des Haushalts für das Bundeswirtschaftsministerium sehr positiv. Man kann sicherlich noch einige Diskussionen führen, aber er stellt die Weichen für eine erfolgreiche weitere Entwicklung in Deutschland.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Und nun spricht die Kollegin Anja Hajduk für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/6999584 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 187 |
Tagesordnungspunkt | Wirtschaft und Energie |