08.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 187 / Einzelplan 15

Karl LauterbachSPD - Gesundheit

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal auf die Frage eingehen, die heute auch in der Presse diskutiert wurde und die indirekt auch in den beiden Reden, die wir zu diesem Einzelplan heute schon gehört haben, vorkam: Haben wir nur mehr Geld ausgegeben, das System also deutlich teurer gemacht, und keine Gewinne an Effizienz und Qualität erzielt, oder haben wir auch etwas erreicht? Das ist ja eine legitime Frage. Dieser Frage müssen wir uns in dieser Debatte stellen; das ist ganz klar.

Ich will darauf hinweisen: Selbst wenn man sehr kritisch ist und sagt: „Vieles von dem, was erreicht werden sollte, ist noch nicht komplett erreicht, weil vieles zu lange dauert“, sollte man ein Mindestmaß an Fairness walten lassen. Man sollte einräumen: Wir haben viel gemacht, was den Versicherten, den Patienten langfristig zugutekommt.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viel gemacht, aber halbherzig! Das ist das Problem!)

Alles andere ist unehrlich.

Ich bringe nur ein paar Beispiele, um das konkret zu zeigen: Wir haben mit dem Versorgungsstärkungsgesetz mit dazu beigetragen, dass Hausärzte und Fachärzte besser verteilt werden zwischen den Regionen, in denen Einkommensschwache wohnen – das sind häufig dörfliche Regionen –, und den Innenstädten, in denen viele Privatversicherte wohnen. Wir haben die Terminvergabe durch Terminservicestellen beschleunigt. Wir haben spezielle Leistungen in Krankenhäusern – insbesondere in Unikliniken, die mit jedem Patienten große Verluste gemacht haben –, besser bezahlt. Wir dürfen unsere Unikliniken und die Häuser, die sich auf solche Patienten spezialisiert haben, nicht plündern. Das ist einfach nicht richtig gewesen.

Wir haben zudem mehr Pflegekräfte eingestellt. Wir haben ein Gesetz erarbeitet – es wird als teures Krankenhausgesetz kritisiert –, mit dem über 500 Millionen Euro pro Jahr für die Pflege bereitgestellt werden. Darüber hinaus kommt auch noch ein Pflegeförderprogramm.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Tropfen auf den heißen Stein! Das wissen wir doch alle!)

Das sind sehr wichtige Investitionen. Ich bitte Sie daher, der Fairness halber zur Kenntnis zu nehmen: Wir können nicht mehr Hausärzte, eine bessere Verteilung der Hausärzte, eine bessere Intensivmedizin, eine bessere Notfallmedizin, auf die ich jetzt nicht eingegangen bin, eine bessere Maximalmedizin und mehr Pflegekräfte, die wir auch noch besser bezahlen, haben, ohne dass es zu kurzfristigen Kostensteigerungen kommt. Das wird nicht möglich sein. Unser Gesundheitssystem ist kein Aktienfonds, in den man nur investiert, um später etwas herauszuholen. Wir wollen eine bessere Versorgung und ein modernes Gesundheitssystem, und wir wollen, dass unsere Gesellschaft in der Lage ist, sich nach außen als gerechte Gesellschaft zu profilieren. Diesen Zustand wollen wir erhalten. Dafür muss Geld investiert werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Es wurde eben darauf hingewiesen, dass die Arbeitgeber nicht bereit sind, diese Investitionen langfristig mit zu bezahlen, und dass die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung von ihnen abgelehnt wird. In diesem Zusammenhang wurde der Arbeitgeberpräsident zitiert.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit wann bestimmen die Arbeitgeber im Gesundheitsministerium?)

Das war in zweierlei Hinsicht falsch. Es ist zunächst einmal faktisch falsch; denn zum Glück ist es ja so, dass wir als Bundestag beschließen, wie das System finanziert wird.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das bestimmen nicht die Verbände, erst recht nicht der Arbeitgeberverband. Es war darüber hinaus falsch, zu sagen, dass die rot-grüne Koalition die Festschreibung des Arbeitgeberbeitrags auf 7,3 Prozent eingeführt hat. Das ist in der schwarz-gelben Koalition geschehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir sind dafür, dass diese Regelung wieder aufgehoben wird; dafür plädieren wir.

Nichtsdestotrotz muss man sich aber auch anschauen, was wir gemeinsam erreicht haben, und ich danke allen, die daran mitgewirkt haben. Ich möchte ein paar Beispiele nennen, die zeigen, was wir noch vorhaben, aber nicht bevor ich mich an dieser Stelle bei den Kollegen von der Union und beim Ministerium für die gute Zusammenarbeit bedankt habe.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich führe die Beispiele so konkret wie möglich an, weil die Zeit ja knapp ist.

Wir haben klare Ziele. In den letzten Monaten wurden zum ersten Mal Studien veröffentlicht, die darauf hindeuten, dass bei der Behandlung einer Demenz, die schon da ist, das Fortschreiten der Erkrankung wahrscheinlich gebremst, vielleicht sogar ein Stück weit rückgängig gemacht werden konnte. Man weiß noch nicht genau, wie viel das ausmacht. Aber zum ersten Mal ist es überhaupt gelungen, den pathophysiologischen Prozess, die Amyloid-Ablagerungen im Gehirn, mit einer Antikörpertherapie ein Stück weit zu bremsen oder ihn sogar zurückzudrängen. Das ist eine sehr, sehr wichtige Entwicklung. Dies ist, wie gesagt, das erste Mal, dass in diesem Bereich überhaupt etwas gelungen ist.

Zu diesem Thema werden auch in Deutschland Studien durchzuführen sein. Aus diesem Grunde wollen wir das Gesetz an dieser Stelle reformieren, sodass entsprechende Studien in einem ethisch vertretbaren Rahmen – wenn der Versicherte, seine Angehörigen bzw. sein Betreuer dies wünschen – auch in Deutschland möglich sind. Wir schaffen also die Grundlage dafür, dass diese wichtige Forschung, auf die viele Angehörige und auch viele Patienten dringend warten, auch in Deutschland möglich wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber diskutieren wir in der nächsten Sitzungswoche! Was hat das denn mit dem Haushalt zu tun? – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zurück zum Thema!)

Wir haben ein Gesetz in Vorbereitung – da danke ich insbesondere dem Kollegen Nüßlein, weil das eine Initiative ist, die aus den Fraktionen hervorgegangen ist –, mit dem wir das Fallpauschalengesetz mit Blick auf die Psychiatrie ändern wollen. Bisher haben wir ein System, nach dem die einzelnen Krankenhäuser Budgets bekommen; sie sind aber völlig ungerecht bemessen. Es gibt also ungerechte Budgets pro Krankenhaus.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber diskutieren wir dann in zwei Wochen! Sag mal etwas zum Zusatzbeitrag!)

Es kommt vor, dass Krankenhäuser, die bei der intensiven Versorgung nur wenig machen und die keine Notfallversorgung anbieten, relativ hohe Budgets erhalten, und dass Krankenhäuser, die viel leisten, eine Notfallversorgung anbieten und die regionale Versorgung gewährleisten, relativ geringe Budgets erhalten. Die gute Nachricht ist also: Wir haben ein Budgetsystem. Die schlechte Nachricht ist: Es ist ungerecht.

Wir wollten dieses System umstellen und ein System mit Fallpauschalen einführen, nach dem der einzelne Patient sozusagen der Träger des Budgets ist. Das wäre aber noch schlechter gewesen. Denn dann hätten wir nicht pro Haus ungerechte Budgets, sondern pro Patient, und dann wäre der Patient aufgrund von Rosinenpickerei durch das System geschickt worden. Das ändern wir, indem wir ein transparentes, gerechtes System für die Häuser einführen. Wir gehen also von einem ungerechten Budgetsystem pro Haus zu einem gerechten System pro Haus über. Wissenschaftlich gesicherte Leitlinien und neue Behandlungsformen sollen die Höhe des Budgets bestimmen.

Das ist ein wichtiger Schritt der Modernisierung. Er könnte aus meiner Sicht sogar maßgeblich sein für andere Bereiche in unserem Krankenhauswesen, in denen wir uns über Alternativen zum Fallpauschalensystem Gedanken machen. Die stärkere Berücksichtigung dessen, was wissenschaftlich gesichert ist, die stärkere Berücksichtigung von Mindestpersonalstandards

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Hört, hört!)

sowie die bessere Berücksichtigung dessen, was in den Krankenhäusern tatsächlich gemacht wird, das muss auch maßgeblich für uns sein bei den weiteren Reformen des Krankenhaussystems.

Ich komme zur Situation in der Pflege. Es wurde schon erwähnt: In der Pflege machen wir da weiter, wo wir angefangen haben. Bisher werden Patienten mit Demenz und psychiatrischen Erkrankungen in diesem System oft nicht so gut behandelt, wie sie eigentlich behandelt werden müssten, weil es sich in den Budgets nicht widerspiegelt. Das beseitigen wir, indem wir umstellen auf Pflegegrade, weg von den Pflegestufen. Wir modernisieren unser Einstufungssystem. Das machen wir jetzt auch für all diejenigen, die die Leistungen derzeit über die Sozialhilfe bezahlt bekommen. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Darüber hinaus stärken wir die Kommunen bei der Planung dieser Versorgung.

Der entscheidende Flaschenhals für die langfristige Versorgungsqualität im Krankenhaus und auch in der Altenpflege wird die Zahl gut qualifizierter Pflegerinnen und Pfleger sein. Das – und übrigens nicht das Geld – ist der wichtigste Punkt.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die Bedingungen nicht stimmen, können Sie so viel ausbilden, wie Sie wollen!)

Daher müssen wir das Pflegeberufegesetz unbedingt modernisieren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dafür haben wir einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt. Die Ausbildung wird besser; sie wird universalisiert. Das heißt, derjenige, der in einem Bereich angefangen hat, kann in den anderen Bereich wechseln. Er muss sich nicht für den Rest seines Lebens festlegen. Wir werden dann viel weniger Menschen haben, die, wenn sie einmal in diesem Bereich tätig waren, die Pflege verlassen und aus dem Beruf ganz aussteigen. Der Beruf wird attraktiver werden, besser bezahlt werden, und es wird besser qualifiziert werden. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn, den wir jetzt gehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir werden bei den Arzneimitteln verhindern, dass es Windfall Profits gibt. Die Firmen gehen immer mehr dazu über, die Gewinne des gesamten Produktes in das erste Jahr zu verlagern, nach dem Motto: Im ersten Jahr wähle ich Mondpreise, um bei dem Medikament, obwohl es noch nicht so gut erforscht ist, trotz nur geringen Zusatznutzens komplett abzukassieren. – Da werden wir einen Schwellenwert einführen, sodass diese Praxis unmöglich wird. Wir werden das AMNOG, das die Preise regelt, weiter verbessern. Es ist ein gutes Gesetz. Wir werden zum Schluss die Ergebnisse auch den Ärzten zur Verfügung stellen.

Zum Schluss. In einem Punkt gebe ich der Rednerin von der Opposition recht. Es ist ganz klar: Langfristig haben wir ein großes Problem in Deutschland. Das Gesundheitssystem ist ungerecht finanziert. Einkommensschwache zahlen relativ zu viel. Einkommensstarke zahlen relativ zu wenig. Gleichzeitig werden aber Einkommensstarke und Bildungsstarke in der Regel besser versorgt. Wir haben in Deutschland mit die größten Lebenserwartungsunterschiede zwischen Reich und Arm in Europa. Das ist für uns, ehrlich gesagt, eine Schande. Daran müssen wir arbeiten. Daher halte ich das Projekt der paritätischen Bürgerversicherung für langfristig das wichtigste Projekt, welches diese Ungerechtigkeit beseitigen kann. Dafür werbe ich bei allen hier im Hause.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Karl Lauterbach. – Nächste Rednerin: Ekin Deligöz für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/6999671
Wahlperiode 18
Sitzung 187
Tagesordnungspunkt Gesundheit
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