09.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 188 / Tagesordnungspunkt 1

Thomas JurkSPD - Schlussrunde Haushaltsgesetz 2017

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nun haben wir vier Tage lang hier im Hohen Hause über den Haushaltsplanentwurf der Bundesregierung für das Jahr 2017 diskutiert. Es ist, wie immer, Zeit für ein Fazit. Wie dieses ausfällt, hängt davon ab, wie man das betrachtet. Wir haben uns zwar wechselseitig auch mal über uns geärgert, aber wir haben auch festgestellt: Es gibt viele gute Sachen in diesem Haushalt.

Öffentliche Haushalte, auch dieser Bundeshaushalt, gelten gemeinhin als in Zahlen gegossene Politik. Eingedenk der vor uns liegenden Aufgabenstellungen muss ein Haushaltsplan natürlich auf die damit verbundenen Fragen die richtigen Antworten geben. Ich stelle fest, dass das weitgehend der Fall gewesen ist, auch wenn an der einen oder anderen Stelle mit Sicherheit noch Veränderungen vorgenommen werden und auch vorgenommen werden müssen. Das ist nun unser Geschäft als Parlamentarier.

Ich will nicht kleinkrämerisch darauf eingehen, Kollege Spahn, dass das Bundesfinanzministerium bei einigen Titeln dieses Haushaltsplanentwurfs Beschlüsse des Haushaltsausschusses vom vergangenen Herbst übersehen hat. Das lässt sich alles noch korrigieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das hast du gut formuliert!)

– Ja, wir wissen, worüber wir sprechen. Auch bei der Union ist das angekommen.

Die Redner der Oppositionsfraktionen haben in den letzten Tagen oft gesagt, dass die Großen Koalitionen bzw. die Große Koalition – wir haben ja bloß eine hier in Berlin – den Bundeshaushalt vernachlässigen würde.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben zwei in Berlin!)

– Sie haben recht, Herr Kindler; das lasse ich mal gelten. Ich komme gleich noch zu Ihnen. Machen Sie sich darauf gefasst.

Herr Kindler, ich habe – das haben Sie eingefordert – nicht nur intensiv zugehört,

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

sondern auch gleich noch im Protokoll nachgelesen.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Das ist ja immer ein schöner Querschnitt. Man kann sich vergewissern, ob man alles richtig gehört hat. Ausgerechnet Herr Kollege Kindler sprach hier davon, dass die Investitionsquote stagniert und wir die Infrastruktur vernachlässigen würden, und er forderte eine große Investitionsoffensive im Bundeshaushalt.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Herr Kollege Bartsch kritisierte die Investitionsquote im Finanzplan für 2020.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Ich will deshalb mit einigen Mythen über die Investitionen im Bundeshaushalt aufräumen.

Zunächst zu Herrn Bartsch. Für 2019 stand im letzten Finanzplan, also beschlossen zur Mitte des Jahres 2015, ein Betrag von 30,5 Milliarden Euro. Der aktuelle Finanzplan, beschlossen zur Mitte des Jahres 2016, sieht 35,1 Milliarden Euro vor. Ich bin mir sicher, die Zahl für 2020 wird sich ähnlich erhöhen. Ich empfehle daher, einfach den nächsten Kabinettsbeschluss im Sommer 2017 abzuwarten.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Jetzt komme ich zum geschätzten Kollegen Kindler. Wenn Sie mir jetzt noch zuhören und das Smartphone weglegen würden, wäre ich ganz happy.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die ganze Zeit zugehört!)

– Gut, Sie können beides.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

Kommen wir zu den Fakten, und nehmen wir einmal die absoluten Zahlen. Im Jahre 2013 waren im Bundeshaushalt Investitionen in Höhe von 24,8 Milliarden Euro vorgesehen.

(Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Damit wir uns recht verstehen, lieber Kollege Kindler: Die Zahlungen an den Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, sind darin nicht enthalten; denn sie gehören da eigentlich nicht hinein. Im Jahre 2017 werden es 33,3 Milliarden Euro sein. Die Vergleichszahl war, wie gesagt, 24,8 Milliarden Euro. Das entspricht einer Steigerung um immerhin 34 Prozent.

(Ulrike Gottschalck [SPD]: Ja!)

Beim Vergleich der relativen Zahlen, also der Investitionsquote, stellen wir fest: Sie steigt von 8,06 Prozent in 2013 auf 10,13 Prozent im Jahre 2017.

(Christine Lambrecht [SPD]: Hört! Hört!)

Das wiederum entspricht einer Steigerung von 26 Prozent. Darauf können wir stolz sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die Linke ist, wie ich sehe, ganz ruhig. Herr Kollege Kindler, damit Sie sich nicht aufregen, habe ich eine Frage an Sie: Können Sie mir ein Bundesland, in dem Sie mitregieren – es sind mittlerweile ja recht viele geworden –, nennen, in dem seit 2013 ein ähnlicher Zuwachs an Investitionsmitteln zu verzeichnen war?

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aus dem Kopf, oder was? In Hamburg oder wo? Nein!)

– Okay.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus dem Kopf? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über was genau möchten Sie denn jetzt mit uns reden? Über den Wohnungsbau oder einzelne ökologische Forderungen? Nur mal als Rückfrage!)

– Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie reden so viel durcheinander; da muss jetzt einer kommen und das erklären.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann doch nicht nominelle Milliardenbeträge vergleichen!)

Ich will Ihnen natürlich den Hinweis nicht ersparen: Natürlich haben auch die Länder und Kommunen von den Steuermehreinnahmen profitiert, und die Steuereinnahmen sind gesprudelt; darauf hinzuweisen, gehört auch zur Ehrlichkeit dazu.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir den Hinweis, dass die Investitionsquote natürlich dann geringer ausfallen kann, wenn die Sozialleistungen steigen. Mit Blick auf die Linke sage ich – da sind wir uns an einer Stelle einig –: Wir wollen die Ost-West-Rentenangleichung.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Zu Recht!)

Die Aufwertung bzw. Umrechnung ist,

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Umrechnung!)

wie Sie zu Recht gesagt haben, noch ein ganz anderer Vorgang. Auch ich teile die Befürchtung, dass wir aufpassen müssen, die innerdeutsche Solidarität nicht aufs Spiel zu setzen. Aber alleine diese Maßnahme würde im Jahre 2020 rund 4 Milliarden Euro mehr kosten, wenn wir sie aus Steuermitteln bezahlen würden. Automatisch wäre der Anteil der Sozialleistungen größer als der der Investitionen, und damit würde die Investitionsquote sinken. Ich glaube, das wollen auch Sie nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Thema Investitionshochlauf. Zu dem Begriff will ich mich jetzt gar nicht einlassen. „ Investitionshochlauf“ heißt für mich als Haushälter allerdings: Man muss den Investitionsablauf organisieren.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)

Da, glaube ich, haben wir ein Problem mit der Geschwindigkeit. Deshalb ist es gut, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir den Investitionsablauf, das Ankommen der Investitionen auf Schiene und Straße oder in Schulen und Kitas, organisieren.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)

Gerade beim Thema Infrastruktur denke ich, dass man sich über verschiedene Instrumente verständigen sollte, auch über die Einrichtung einer Infrastrukturgesellschaft des Bundes. Allerdings gilt für Sozialdemokraten eines: Damit ist für uns keine Privatisierung oder Teilprivatisierung verbunden.

(Beifall bei der SPD)

Auch die berechtigten Interessen der in den Verwaltungen tätigen Menschen sind ausdrücklich zu berücksichtigen. Aber hier sollte es keine Denkverbote geben.

Für mich ist eines besonders wichtig: Wir müssen das, was wir angestoßen haben, für die Menschen sichtbar realisieren. Ich ärgere mich vielleicht genauso wie Sie, wenn ich auf der Autobahn im Stau stehen muss oder wenn der Zug, in dem ich sitze, eine Umleitung fahren muss. Aber bei der Aussicht, dass es später einmal besser wird, nimmt man das gerne in Kauf.

Ich will aber deutlich sagen: Alles hat seine Grenzen. Die Umsetzung von Investitionsmitteln und die damit verbundene Verschlechterung der Verkehrsflüsse muss man im Zusammenhang sehen. Deshalb ist für mich viel wichtiger, dass wir über viele Jahre hinweg Kontinuität erhalten. Es muss vermieden werden, dass wir einen einzigen Hochlauf haben, dass die Mittel nach wenigen Jahren aber wieder sinken und wir dann den Verfall der Infrastruktur beklagen müssen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es ist wichtig, dass wir uns auch über das Personal Gedanken machen. Wir brauchen Menschen, die die erforderlichen Arbeiten qualifiziert erledigen, damit Investitionen realisiert werden können. Da will ich aus dem nachgeordneten Bereich meines Zuständigkeitsbereichs – ich bin zuständig für den Einzelplan 09, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie – Beispiele bringen.

Da will ich nennen: die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung, BAM, die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, PTB. Denen haben wir übrigens als Haushälter dadurch geholfen, dass jetzt der Schwellenwert für das vereinfachte Bauverfahren von 2 Millionen auf 5 Millionen Euro angehoben wird. Das hilft denen aber nur, wenn ausreichend Personal vorhanden ist, um diese Baumaßnahmen zu begleiten.

Deshalb appelliere ich an alle, dafür zu sorgen, dass insbesondere das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, BBR, seinen Aufgaben gerecht werden kann. Dafür stehen jetzt 21 Stellen mehr im Haushaltsplan. Da muss man dann schauen, wofür diese Stellen wirklich eingesetzt werden. Es soll ja nicht so ausgehen, dass das BBR nur noch die Regierungs- oder Bauten des Deutschen Bundestages begleiten kann.

Insofern war ich schon ein wenig irritiert über die Presseberichte, dass der Bundestagsarchitekt Stephan Braunfels seinen Auftrag zurückgegeben hat. Er hat das kommentiert mit den Worten – Zitat –:

Das BBR ist Deutschlands größte – aber auch Deutschlands schrecklichste Baubehörde …

Ich will das an der Stelle gar nicht weiter vertiefen. Aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Ich erwarte auch, dass ein solches Amt in die Lage versetzt wird, seinen Aufgaben gerecht zu werden.

Jetzt sehe ich mit Erschrecken auf die Uhr, und ehe Sie mich mahnen, Frau Präsidentin – Sie sind da sehr konsequent bei der SPD; ich weiß das –, –

(Christine Lambrecht [SPD]: Du hast noch Zeit!)

Nicht nur bei der SPD.

– will ich darauf hinweisen, dass dieser Haushaltsplan natürlich unter dem Stichwort der aktuellen Aufgabenstellung stehen muss.

Ich stelle fest, dass die Realität in unserem Land, die ja nicht gerade einfach ist, bei allen Fraktionen irgendwo angekommen ist. Sicherlich gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Aber eines muss klar sein: Wenn in Umfragen deutlich wird, dass sich mittlerweile eine gut verdienende Schicht Gedanken macht über den sozialen Zusammenhalt in unserem Land, auch über die Situation derer mit kleineren und mittleren Einkommen, dann ist das eine Situation, die geradezu danach schreit, dass wir darauf politisch eine Antwort finden.

Sehr geehrter Herr Kollege Staatssekretär Spahn, ich habe Ihnen zugehört. Die Euphorie des Ministers haben Sie nicht ganz so verbreitet. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir im Jahre 2018 ein kleines Problem in Gestalt einer Lücke von 5 Milliarden Euro haben werden. Das macht ja auch deutlich, dass wir sehr vorsichtig sein müssen mit Versprechungen von Steuersenkungen. Ich möchte uns gemeinsam auch nicht überfordern – das ist mir wichtig –; denn ich glaube auch, dass wir in der Großen Koalition während der Haushaltsplanberatungen in den Ausschüssen noch einiges gemeinsam hinbekommen werden, was diesen Haushalt verbessert. Aber wir sollten uns einen Steuerwahlkampf ersparen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das würden die Menschen im Land am wenigsten verstehen.

Ich freue mich auf weitere konstruktive Beratungen zum Haushaltsplanentwurf des Bundes.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Kollege Jurk. – Die letzte Rednerin in diesem langen Marathon ist am Ende der Haushaltsdebatte Kerstin Radomski für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7000547
Wahlperiode 18
Sitzung 188
Tagesordnungspunkt Schlussrunde Haushaltsgesetz 2017
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