22.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 190 / Tagesordnungspunkt 4

Anton HofreiterDIE GRÜNEN - Bundesverkehrswegeplan 2030

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An der Rede des Bundesministers war eines auffallend: Er hat sich vor allem mit der Vergangenheit, mit Zeiten beschäftigt, die 10 oder 15 Jahre her sind, und er hat schöne Zitate gebracht. Das war auch in gewisser Weise konsequent; denn wenn man sich den Plan, den er heute vorlegt, anschaut, glaubt man nicht, dass das der aktuelle Bundesverkehrswegeplan ist. Man glaubt, dass das ein Plan aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert ist; denn mit Zukunftsfähigkeit hat dieses ganze Werk nichts zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Herr Hofreiter, Sie haben das Werk gar nicht gelesen!)

Man muss ehrlicherweise sagen, dass man verblüfft ist, dass überhaupt ein Plan vorgelegt wird. Nach dem BER-Chaos, um das sich der Minister überhaupt nicht gekümmert hat – der Anteil des Bundes beträgt schließlich 26 Prozent –, nachdem der Bundesrechnungshof dem Minister deutlich gemacht hat, dass er mit seinen PPP-Projekten auf Autobahnen öffentliches Geld verschwendet und nachdem er sich monatelang mit nichts anderem als diesem Mautdesaster aufgehalten hat, könnte man sich denken: Immerhin, ein Plan ist vorgelegt worden.

Wenn man sich dann diesen Plan durchliest, wundert man sich – wenn man die lange Zeit der Erarbeitung berücksichtigt –, wie schlampig er erstellt worden ist. Ich nehme einmal ein einfaches Beispiel, die Umgehungsstraße Duderstadt in Niedersachsen. Wenn man sich die offiziellen PRINS-Daten anschaut, stellt man fest, dass dort von einem Nutzen in Höhe von 58,3 Millionen Euro die Rede ist. Die Investitionskosten betragen danach 67 Millionen Euro. Das Nutzen-Kosten-Verhältnis ist 2. Zur Erklärung: Man teilt den Nutzen durch die Kosten, und dann kommt das Ergebnis heraus. Jetzt erklären Sie mir bitte einmal, wie 58 geteilt durch 67  2 ergibt. Also wenn ich das ganz grob im Kopf ausrechne, komme ich auf etwa 0,8.

(Beifall und Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist auffallend, wie schlampig erstellt Ihre Daten sind, die man dem Internet entnehmen kann.

Das Gleiche zeigt sich, wenn man sich anschaut, wie es mit den Mitteln für den Unterhalt ist. Eigentlich sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein – unabhängig davon, dass wir uns darüber streiten, welche Neubaumaßnahmen sinnvoll sind –, dass man das vorhandene Infrastrukturnetz erhält, wenn man nicht vorhat, es stillzulegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist wunderbar, davon zu reden, dass man in das Infrastrukturnetz mehr Geld stecken will, und es wird so getan, als wenn das auch wirklich getan würde. Sie haben hier einen Plan vorgelegt; aber bei der Umsetzung hapert es, und zwar schon die letzten drei Jahre.

Das lässt sich an etwas ganz Einfachem erkennen: an den Unterhaltsmitteln und an den Neubaumitteln. Die Unterhaltsmittel und die Neubaumittel sind gegenseitig deckungsfähig. Was heißt das? Weil die Abgeordneten der Großen Koalition lieber Bändchen durchschneiden, als für den Unterhalt des bestehenden Netzes zu sorgen, heißt das, dass im Vollzug des Haushalts fröhlich große Summen aus dem Unterhaltstopf in den Neubautopf umgewidmet werden. Ich wiederhole: Natürlich ist es viel schöner, in der Lokalpresse zu stehen, Bändchen durchzuschneiden, zu sagen: „Ich habe jetzt eine Umgehungsstraße eröffnet“, als das bestehende Netz zu unterhalten.

Um Ihre Reden hier glaubwürdig zu machen, können Sie etwas ganz Einfaches tun: Sie könnten die gegenseitige Deckungsfähigkeit zwischen Unterhaltsmitteln und Neubaumitteln aufheben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das könnte man haushaltstechnisch einfach machen. Dann wäre Ihr Vorgehen zumindest in den Ansätzen glaubwürdig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ehrliche Politik!)

Wenn man sich den Bundesverkehrswegeplan weiter anschaut, fällt noch etwas auf. Es heißt hier: Das ist realistisch. – Schaut man sich einfach einmal die Zahlen an, stellt man fest, dass über die Hälfte der Projekte laut Ihrem eigenen Plan nach 2030 gebaut werden soll. Also ist über die Hälfte des Projektvolumens überhaupt nicht im Plan. Und das nennen Sie dann realistisch!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dem Ganzen zugrunde liegen Ihre eigenen Zahlen. Dabei sind noch nicht einmal die Baukostensteigerungen berücksichtigt. Was ist daran ehrlich? Was ist daran realistisch? Was ist daran klug?

Wenn man sich die Projekte anschaut, denkt man sich: Moment einmal, ändert sich in der Mobilitätspolitik nicht gerade grundlegend etwas? Diskutieren die Fachleute nicht darüber, dass durch Elektrifizierung und Digitalisierung tiefgreifende Revolutionen in der Mobilitätspolitik anstehen? Merken Sie nicht, wie nervös die Autoindustrie wird, weil sie nicht weiß, wie ihr Geschäftsmodell in der Zukunft ausschaut? Alle Fachleute sprechen davon, dass sich in der Mobilitätspolitik in den nächsten 10, 15 Jahren mehr ändern wird als in den letzten 30, 40 Jahren. Was stellt man fest, wenn man in den Bundesverkehrswegeplan hineinschaut? Geplant ist eine Orgie von Umgehungsstraßen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das Elektroauto muss auch auf der Straße fahren! Das Elektroauto fliegt noch nicht!)

Geplant ist, ganz stumpf Autobahnen auszubauen.

Das geschieht, anstatt eine moderne Mobilitätspolitik aus vernetzter Mobilität, aus Infrastruktur und Vernetzung zwischen Straße und Schiene zu betreiben. Davon findet man in diesem Plan überhaupt nichts. Dergleichen ist noch nicht einmal in der Konzeption des Ganzen angelegt: Straße wird nur als Straße beurteilt, Schiene wird nur als Schiene beurteilt, Wasserstraße wird nur als Wasserstraße beurteilt.

Der Gedanke, dass man zum Beispiel durch den Ausbau eines guten Schienennahverkehrssystems Pendler von der Straße auf die Schiene locken könnte, dass das für die Wirtschaft besser wäre, dass das für die Menschen in der Region besser wäre, kommt überhaupt nicht vor. Sie können in Ihrem System sozusagen nur eine Straße durch eine Straße ersetzen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: U-Bahn auf die Schwäbische Alb!)

Das heißt, das ist gar kein Bundesverkehrswegeplan, sondern es sind drei Einzelpläne, und diese drei Einzelpläne sind eine Ansammlung von einzelnen Projekten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb frage ich: Was wäre stattdessen nötig? Nötig wäre ein Bundesnetzplan, der die Verkehrsträger integriert betrachtet. Es ist doch eine Vorstellung aus dem letzten Jahrhundert, dass Menschen entweder nur Auto fahren oder nur mit der Eisenbahn unterwegs sind oder nur Fahrrad fahren.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nur wandern!)

Das ist doch längst nicht mehr die Realität der Menschen.

Deshalb fordere ich: Legen Sie endlich einen vernünftigen integrierten Bundesnetzplan vor, der den Realitäten des 21. Jahrhunderts gerecht wird und der den großen Umbrüchen, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren, die wir in der Mobilität bereits jetzt erkennen können, gerecht wird. Das hier ist ein zusammengestümperter Plan aus Einzelprojekten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])

Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Schnieder für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006235
Wahlperiode 18
Sitzung 190
Tagesordnungspunkt Bundesverkehrswegeplan 2030
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