Andrea Nahles - Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gute Arbeit und Zusammenhalt, das ist das, was unser Land stark macht. Das ist Grundlage für Wohlstand, wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmen und den sozialen Frieden in unserem Land. Deshalb dürfen wir es nicht hinnehmen, dass Arbeit durch Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen entwertet wird. Wir müssen eingreifen, wenn durch diesen Missbrauch ein unfairer Wettbewerb zwischen Unternehmen und auch zwischen Arbeitnehmern in diesem Land befördert wird.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Mit dem Gesetz, dessen Entwurf nun vorliegt, schieben wir dem einen Riegel vor. Wir sorgen dafür, dass die Arbeit von Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern fair bezahlt wird.
Zwei Punkte sind zentral. Erstens. Leiharbeiter müssen in der Regel spätestens nach neun Monaten den gleichen Lohn erhalten, wie ihn Stammbeschäftigte für eine vergleichbare Arbeit bekommen. Zweitens konzentrieren wir die Leiharbeit wieder auf ihre Kernfunktion. Leiharbeit ist dazu da, zeitlich befristet Arbeitskräftebedarf zu decken oder Auftragsspitzen zu bewältigen. Sie ist nicht dafür da, auf Dauer Stammbelegschaften einzusparen und unter Druck zu setzen. Das wollen wir nicht.
(Beifall bei der SPD)
Das ist aber mancherorts über die Jahre – mit Verlaub – in Vergessenheit geraten. Es gibt viele Beispiele aus Betrieben, wo Leiharbeiter zum Teil sechs, acht oder sogar zehn Jahre ohne Aussicht, am Ende übernommen zu werden, entliehen sind. Das geht von einfachen Tätigkeiten bis hin zu hochqualifizierten Berufen wie ärztliches Personal in Krankenhäusern. Wir konzentrieren Leiharbeit wieder auf ihre Kernfunktion, indem wir die Höchstdauer für den Einsatz von Leiharbeitern in der Regel auf 18 Monate begrenzen. Wer länger eingesetzt wird, bekommt ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher.
Von beiden Grundsätzen – gleicher Lohn nach 9 Monaten und Höchstdauer 18 Monate – können die Tarifpartner unter bestimmten Bedingungen allerdings abweichen. Warum? Arbeitgeber und Arbeitnehmer machen die Betriebe, machen unser Land zusammen stark. Deshalb haben wir den Gesetzentwurf – übrigens sehr intensiv – mit den Sozialpartnern abgestimmt, mit Arbeitgebern und mit den Gewerkschaften. Die Sozialpartnerschaft ist für mich Herzstück unserer sozialen Marktwirtschaft.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Deshalb geben wir den Sozialpartnern Spielraum. Durch Tarifvertrag – also zusammen, nicht alleine – können sie den Einsatz von Leiharbeit, abweichend von den Grundregeln des Gesetzes, gestalten und aushandeln. Das setzt einen neuen Anreiz, sich tariflich zu binden. Daran mangelt es. Es gibt einen zunehmenden Rückzug der Arbeitgeber aus der Tarifbindung, ganz besonders in Ostdeutschland. Es bietet auch die Chance – das macht Tarifverträge um einiges besser als pauschale Bundesgesetzgebung –, auf die besondere Situation der eigenen Branche oder des eigenen Betriebs einzugehen und gemeinsam nach vernünftigen Lösungen zu suchen. Manche in diesem Hause mögen dieses Prinzip kritisieren oder haben es überhaupt nicht verstanden.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Das ist mein Gefühl an dieser Stelle. Ich sage: Dieses Prinzip ist der Kern dessen, was unsere soziale Marktwirtschaft ausmacht, und ich bin froh, dass wir es auch in diesem Gesetz gemeinsam zur Wirkung bringen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetz verfolgt bei der Überlassungshöchstdauer einen arbeitnehmerorientierten Ansatz. Das heißt, die Überlassungshöchstdauer wird an die Person, nicht an den Arbeitsplatz gebunden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Das ist sowohl für die Leiharbeitnehmer als auch für die Unternehmer von Vorteil. Der Leiharbeitnehmer profitiert; denn er hätte nichts gewonnen, wenn er nur eine Station weiter versetzt werden müsste, und schon würde die Überlassungshöchstdauer wieder von Neuem zählen.
(Widerspruch des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Das wäre nämlich der Fall, wenn wir es an den Arbeitsplatz binden würden. Auch die Unternehmen gewinnen; denn man stelle sich vor, wir müssten alle Arbeitsplätze in Deutschland einer Beschreibung unterziehen und feststellen, ob sie voneinander abweichen oder identisch sind. Das wäre ebenfalls eine Konsequenz, wenn wir die Dauer an den Arbeitsplatz binden würden – eine Übung, die wir sicher besser vermeiden sollten, liebe Kolleginnen und Kollegen, und das tun wir mit diesem Gesetz auch.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein weiterer zentraler Punkt: Leiharbeiter dürfen nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Bisher gab es schon tarifliche Verbote, sogar eine gesetzliche Regelung. Leider gibt es haufenweise Beispiele, wo das umgangen wurde. Ich will nur ein Beispiel nennen – es sind konkrete Fälle, die uns vorgetragen worden sind –: Einer Kassiererin, die über eine Leiharbeitsfirma an der Kasse saß, wurde gesagt: Wenn die Kollegin neben dir aufsteht und in den Streik tritt, dann gehst du ins Personalbüro. Da liegt ein Vertrag. Bei Streik darfst du eigentlich nicht arbeiten; aber wir stellen dich für die Zeit in der Tochterfirma an, für die das Verbot nicht gilt. Du unterschreibst, und dann setzt du dich wieder an die Kasse! – Damit ist Schluss. Dieses Gesetz macht das unmöglich.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zur Augenhöhe gehört übrigens auch, dass Leiharbeitnehmer nicht einfach herausgerechnet werden, wenn es um die Schwellenwerte im Betriebsverfassungsgesetz oder bei der Mitbestimmung geht. Künftig zählen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter im Einsatzbetrieb bei diesen Schwellenwerten mit. Auch das ist ein Stück Gleichbehandlung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD)
Wichtig ist: Wir schaffen Transparenz bei Leiharbeit und Werkverträgen. Wir holen damit zum ersten Mal Werkverträge aus der Grauzone heraus, allem voran, indem wir die sogenannte Vorratsverleiherlaubnis abschaffen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es jetzt die Verpflichtungserklärung!)
Sie wirkt bisher als Sicherheitsnetz für Ver- und Entleiher, die sich am Rande der Legalität bewegen. Zeigt sich bei einer Kontrolle, dass der vermeintliche Werkvertrag gar kein wirklicher Werkvertrag ist, besteht bisher die erstaunliche Möglichkeit, diesen nachträglich in ein Leiharbeitsverhältnis umzuetikettieren. Neues Etikett, alles legal – diese Möglichkeit wird beerdigt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Leiharbeit muss zukünftig auch als solche benannt sein, und zwar vorab, klar und ausdrücklich. Das ist ein Kernstück des Gesetzes und nicht zufälligerweise in § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes geregelt. Damit ziehen wir den Deckmantel herunter und holen als Werkvertrag getarnte Leiharbeit ans Tageslicht. Man muss das ausdrücklich benennen. Wenn das nicht passiert, kommt ein Arbeitsverhältnis mit dem Auftraggeber des Werkvertrages zustande. Genau das will er vermeiden. Darum ist das eine harte, aber auch richtige Sanktion an der richtigen Stelle.
(Beifall bei der SPD)
Mit mehr Transparenz stärken wir aber auch die Verhandlungsposition der Betriebsräte. Sie haben künftig das Recht – es ist eine Informationspflicht, die wir jetzt festlegen –, zu wissen, wer auf dem Betriebsgelände eingesetzt wird und – das ist vielleicht noch wichtiger – auf welcher vertraglichen Grundlage. Jetzt gibt es ein Recht auf Information.
(Zuruf von der LINKEN)
Sicher, ich hätte mir eine weiter gehende Mitbestimmungsregelung gewünscht. Das war in dieser Koalition nicht möglich. Aber auch das, was wir hier verabredet haben, wird die Bedingungen für Fremdpersonal und auch das, was die Betriebsräte für Leiharbeiter tun können, wesentlich verbessern. Es ist überhaupt erst einmal eine vernünftige Verhandlung über diese Frage auf der Basis von Informationen möglich.
(Beifall bei der SPD)
Deutschland bleibt nur zusammen stark. Die Wertschätzung der Arbeit und das Zusammenwirken von Arbeitgebern und Beschäftigten sind für mich wesentliche Grundlagen dafür, dass wir auch morgen wirtschaftlich, gesellschaftlich und sozial erfolgreich bleiben. Deshalb sind es auch diese beiden wesentlichen Prinzipien, die diesem Gesetz zugrunde liegen. Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Wort hat nun die Kollegin Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006254 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes |