22.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 190 / Tagesordnungspunkt 5 + ZP 2

Stephan StrackeCDU/CSU - Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Uns steht ein sozialpolitischer Herbst bevor: Heute steht die Einbringung unseres Vorschlags zur Regulierung der Zeitarbeit und der Werkverträge an, später am heutigen Tag geht es um das Bundesteilhabegesetz, das Menschen mit Behinderung mehr Möglichkeiten geben soll, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, und nächste Woche wollen wir als Regierungskoalition unsere Überlegungen vorstellen, wie wir das Arbeiten im Alter und die Übergänge in die Rente passgenauer und flexibler gestalten wollen. Spätestens im November werden wir dann eine Debatte darüber führen, wie die richtigen Wege im Bereich der Rentenpolitik tatsächlich aussehen; der DGB-Kongress am vergangenen Dienstag hat bereits einen kleinen Vorgeschmack gegeben.

Das alles sind wichtige und vielschichtige Themen, die die Menschen berühren. Das gibt uns Gelegenheit, die Gemeinsamkeiten innerhalb der Koalition zu betonen, unsere Standpunkte deutlich zu machen und auch die Unterschiede zur Opposition, aber auch zwischen Union und SPD aufzuzeigen. Klare Standpunkte geben Orientierung. Danach suchen die Menschen, gerade in Zeiten, in denen bei vielen Menschen Sorgen und Befürchtungen, was die Zukunft angeht, im Vordergrund stehen. Wir, die Union, geben klare Orientierung, nicht nur in der Flüchtlingsfrage,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie sich jetzt aber sparen können!)

sondern auch, was die sozialpolitischen Themen und nicht zuletzt den vorliegenden Gesetzentwurf betrifft.

Der Koalitionsvertrag ist in diesem Bereich sehr eindeutig formuliert. Umso erstaunlicher war es, dass das Bundesarbeitsministerium im November 2015 einen Diskussionsentwurf vorgelegt hat, der in den entscheidenden Teilen weit über den Koalitionsvertrag hinausgegangen ist, unnötige Überregulierung bedeutet hätte und die Aufgabenteilung und Spezialisierung konterkariert hätte, die gerade für unsere Wirtschaft so wichtig ist. Man kann nicht auf der einen Seite die Digitalisierung, das Arbeiten 4.0 ausrufen und unsere arbeitsteilige Wirtschaft auf der anderen Seite durch Überregulierung gefährden.

Die Bundesarbeitsministerin musste substanziell nachbessern, insgesamt zweimal. Im Februar dieses Jahres legte sie einen ersten Referentenentwurf vor. Die CSU hat ihm nicht zugestimmt. Wieder musste Frau Nahles nachbessern. Drei Monate und einen Koalitionsausschuss später kam es dann zu einer Einigung.

(Zuruf von der SPD: Das hätten wir gleich machen können!)

Wenn ich mir die Debatte, auch in diesem Hohen Haus, vor Augen führe, dann habe ich oft den Eindruck, dass hier eher der Klassenkampf ausgerufen wird oder alte Juso-Zeiten wiederentdeckt werden. Aber es geht nicht um Ideologie – Ideologie war noch nie ein guter Ratgeber –,

(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Das ist für die CSU aber ein sehr schwerer Satz!)

sondern es geht vor allem darum, wie wir mehr Schutz für Arbeitnehmer organisieren und gleichzeitig die Flexibilität für die Unternehmen bewahren. Dafür steht die CSU. Das ist auch der Leitgedanke unseres Handelns.

(Katja Mast [SPD]: Die CSU wollte das ganze Ding blockieren!)

Klug ist, dass wir die Tarifvertragsparteien hier in die Pflicht genommen haben. Darauf haben wir als Union Wert gelegt, und das haben wir auch durchgesetzt.

(Katja Mast [SPD]: Klären Sie das mal mit der CDU!)

Den Tarifvertragsparteien bei der Entscheidung über Höchstüberlassungsdauer und Equal Pay einen Spielraum zu geben und ihnen einen Rahmen zu setzen, wenn es beispielsweise darum geht, was für diejenigen Betriebe gilt, die keinen Tarifvertrag haben, ist sicherlich richtig. Das zieht sich so auch durch den jetzt eingebrachten Gesetzentwurf.

Frau Müller-Gemmeke, Sie haben darauf hingewiesen, dass die Grünen für Equal Pay vom ersten Tag an stehen. Ich darf darauf hinweisen: Dieser Gedanke steht bereits im Gesetz. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt vom ersten Tag an. Die Tarifvertragsparteien weichen aber davon ab. Das ist Ausdruck der Tarifautonomie. Ich kann mir überhaupt nicht vorhalten lassen, dass es hier etwas zu kritisieren gibt, was der Gewerkschaftsbund, der DGB, mitunterzeichnet. Er ist nämlich derjenige, der die Tarife letztlich mit abschließt. Das sollte man in diesem Hohen Haus auch zur Kenntnis nehmen.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dafür haben wir ja ein Gesetz! Über was reden wir eigentlich?)

Die Zeitarbeit ist ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument und bedeutet Flexibilität für die Unternehmen, gerade bei Arbeitsspitzen. Sie nutzt aber gerade auch den Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt gemeinhin schwerer haben. Ich meine damit Geringqualifizierte, Arbeitslose und Jugendliche ohne Abschluss oder Ausbildung. Die Zeitarbeit bietet die Möglichkeit, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen,

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Zeitarbeit sind befristete Arbeitsverträge!)

und deswegen wollen wir keine Überregulierung in diesem Bereich und auch, wie es die Linken fordern, kein Verbot der Zeitarbeit.

Ich bin durchaus verwundert, dass sich gerade die Linken für ein Verbot der Zeitarbeit aussprechen. So verstehe ich jedenfalls den Wortbeitrag von Frau Wagenknecht zu Beginn der Debatte.

(Katja Mast [SPD]: Genau! Das hat sie gemacht!)

Das trifft genau diejenigen Menschen, die es besonders schwer haben. Dass gerade die Linke die Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben, treffen will, ist schon eine Ironie, die es hier deutlich zu machen gilt. So etwas machen wir tatsächlich nicht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Zeitarbeit ist kein Massenphänomen. Der Anteil der Zeitarbeitsbranche ist über die Jahre hinweg nicht gestiegen. Ganz im Gegenteil: In Bayern sind beispielsweise in dem wichtigen Bereich der Metall- und Elektroindustrie weniger Zeitarbeiter als noch 2012 beschäftigt. Das zeigt: Der Anteil der Zeitarbeit ist deutschlandweit nahezu unverändert. Eine Verdrängung in andere Erwerbsformen findet nicht statt.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das sind jetzt Werkvertragsbeschäftigte!)

Zwei Drittel derjenigen, die in einem Zeitarbeitsverhältnis stehen, haben vorher keine Beschäftigung ausgeübt. Mehr als doppelt so viele wie bei anderen Beschäftigtengruppen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung. Die Zeitarbeit bietet also Chancen für Arbeit.

(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist praxisfern!)

Deswegen werden wir hier nichts tun, was die Zeitarbeit überreguliert. Weil die Bundesarbeitsministerin dies erkannt hat, hat sie beispielsweise auch gesagt: Wir wollen die Zeitarbeit stärker für Flüchtlinge öffnen. – Das ist genau der richtige Weg, damit Geringqualifizierte die Möglichkeit haben, eine Beschäftigung zu erhalten.

(Katja Mast [SPD]: Wir behandeln alle Arbeitnehmer auf dem deutschen Arbeitsmarkt gleich!)

Das, was jetzt vorliegt, ist ein austarierter Kompromiss, den die Tarifvertragsparteien maßgeblich mitgeprägt und auch ausverhandelt haben. Das gilt insbesondere auch für die Branchenzuschlagstarife.

Wir stehen auch zu den Werkverträgen. Werkverträge sind seit Jahrzehnten Bestandteil einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Die Vergabe von Aufgaben an Dritte auf der Basis von Werkverträgen gehört zum Kernbereich der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Sie sind gerade in Bezug auf Spezialisierung und Konzentration unverzichtbar.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stellt ja auch niemand infrage!)

– Frau Müller-Gemmeke, das hat vor allem viel mit Qualitäts- und Effizienzsteigerung

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stellt niemand in Zweifel! Ich weiß gar nicht, was Sie reden!)

und viel mit Wettbewerbsfähigkeit und damit auch dem Erhalt von Arbeitsplätzen zu tun. Deswegen ist für uns auch wichtig: Da, wo „Werkverträge“ draufsteht, sollen auch Werkverträge drin sein. Rechts- und sittenwidrige Gestaltungen von Werkverträgen lehnen wir ab.

Der Kriterienkatalog, der am Anfang der Diskussion stand, ist vom Tisch. Er hat sich als praxisfremd erwiesen. Deswegen ist es gut, dass die Tarifvertragsparteien, aber auch die Koalition einen Vorschlag aufgegriffen haben, der aus den Reihen der Bundesarbeitsrichter gekommen ist und jetzt auch Niederschlag im Gesetzentwurf gefunden hat:

(Katja Mast [SPD]: Das wollen Sie schon wieder ändern!)

keinen praxisfremden Katalog, keine Beweislastumkehr, sondern das, was in der Praxis tatsächlich tauglich ist. – Genau das haben wir jetzt im Gesetzentwurf verankert.

Sicherlich gibt es noch vielfältigen Diskussionsbedarf. Das betrifft vor allem eine eindeutige und rechtssichere Definition dessen, was wir unter „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ verstehen. Ich halte viel davon, das tarifliche Bruttostundenentgelt einschließlich der Zulagen ohne Zuschläge als Arbeitsentgelt zu definieren. Dann ist auch der Bereich der Sanktionen zu sehen. Sanktionen sind ein wichtiges Instrument, gerade um Missbrauch zu bekämpfen. Aber auch hier sollte immer das rechte Maß gewahrt werden. Wir haben noch viel Diskussionsbedarf. Die Anhörung bietet hierfür eine erste Gelegenheit. Ich freue mich auf die gesetzlichen und parlamentarischen Beratungen.

Herzliches Dankeschön.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006270
Wahlperiode 18
Sitzung 190
Tagesordnungspunkt Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes
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