22.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 190 / Tagesordnungspunkt 7

Carola ReimannSPD - Bundesteilhabegesetz

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine menschliche Gesellschaft kann nur eine inklusive Gesellschaft sein. Daher haben wir seit 1998 einen grundsätzlichen Wechsel vollzogen – weg von der Fürsorge, hin zu mehr Selbstbestimmung und Teilhabe. Das, Kolleginnen und Kollegen, haben wir nicht zuletzt unserem damaligen Behindertenbeauftragten Karl Hermann Haack zu verdanken. Durch sein Engagement gab es wichtige Erfolge in der Politik für und mit Menschen mit Behinderung. Seitdem hat der Gesetzgeber – bis auf die Ratifizierung der UN‑Behindertenrechtskonvention – wenig getan.

Mit der Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes vor einigen Monaten und jetzt mit dem Bundesteilhabegesetz greifen wir diesen roten Faden von Karl Hermann Haack wieder auf. Das verdanken wir zwei Menschen: Andrea Nahles und Gabriele Lösekrug-Möller.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank für euer Engagement und eure Beharrlichkeit! Diesen beiden ist auch zu verdanken, dass das Bundesteilhabegesetz neben der Reform der Eingliederungshilfe auch die Leistungsseite der Betroffenen einbezieht.

Die deutliche Verbesserung der Einkommens- und Vermögensanrechnung wird ermöglicht durch die Herausführung der Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem. Das heißt ganz praktisch: Damit entfällt auch die Anrechnung von Einkommen und Vermögen der Partner.

Wir werden im SGB IX neue Verfahren einführen. Damit werden Rehabilitationsmaßnahmen wie aus einer Hand erbracht – dies wurde bereits angesprochen –, damit man den gesamten individuellen Bedarf passgenau abdecken kann. Die Ministerin hat es gesagt. Der Mensch soll im Mittelpunkt stehen.

In den unabhängigen neuen Beratungsstellen – sie waren ein Wunsch von ganz, ganz vielen – werden die Betroffenen von Menschen mit Behinderungen beraten. Das alles wird auch dazu führen, dass die Leistungsberechtigten stärker als Experten in eigener Sache wahrgenommen werden und mehr mit ihnen statt über sie geredet wird.

(Beifall bei der SPD)

Kollegin Rüffer, nix mit „Hinterzimmer“! Noch nie war ein Beteiligungsverfahren hinsichtlich Umfang und Transparenz so vorbildlich wie dieses. Dadurch ist erstmalig für alle offenkundig geworden, welche Herausforderungen noch vor uns liegen. Denn es ist ja wahr: Viele Wünsche und Forderungen liegen noch auf dem Tisch. Das Bundesteilhabegesetz ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Die im Gesetz enthaltenen Regelungen sind naturgemäß ganz schön kompliziert und anspruchsvoll. Deswegen werden wir sie stufenweise einführen; sie werden erst 2020 vollständig wirken. Für die Untersuchung der Auswirkungen und die Begleitung der praktischen Umsetzung sind jährlich 3 Millionen Euro eingeplant.

Kolleginnen und Kollegen, zurzeit werden viele Bedenken von Betroffenen an uns herangetragen. Diese nehmen wir ernst. Aber das ist etwas anderes, als in unverantwortbarer Art Ängste zu schüren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon wieder!)

Die Betroffenen fürchten, dass die geplanten Neuerungen ihre hart erkämpften Ansprüche infrage stellen. Auch wenn ich diese Befürchtungen in vielen Fällen für unbegründet halte, so sind sie für mich doch nachvollziehbar. Die Menschen haben ihre Rechte oft in jahrelangem, mühsamem Kampf erstreiten müssen, und jetzt sollen die Rahmenbedingungen geändert werden. Da gibt es natürlich die Befürchtung, dass Leistungsträger dies zum Anlass nehmen, die erstrittenen Ansprüche wieder infrage zu stellen. Aber ich halte es für unredlich, diese Ängste zu schüren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon wieder! Das ist total peinlich!)

Wir werden sicherstellen, dass das nicht geschieht. Es wird keine Verschlechterungen geben. Niemand wird seine Ansprüche verlieren. Hierfür haben wir einen Bestandsschutz vorgesehen.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU] – Katrin Werner [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal, wen das betrifft!)

Kolleginnen und Kollegen – ich will darauf eingehen –, eine weitere Befürchtung ist, dass der Kreis der Leistungsberechtigten eingeschränkt wird. Die grundlegend neuen Zugangskriterien sind aber notwendig. Wir wissen, dass die heutigen Beurteilungskriterien und Beurteilungsverfahren mannigfaltig sind; man kann auch „vielfältig“, aber auch „ungerecht“ und „uneinheitlich“ dazu sagen. Ein einheitliches Verfahren war von allen gewünscht. Es muss ein Verfahren sein, das einem modernen Teilhaberecht gerecht wird: weg vom defizitorientierten Blick auf Menschen mit Behinderung. Das neue Teilhaberecht orientiert sich bei Beachtung der Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention und der internationalen Kriterien an der WHO. Ich halte das für richtig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist unser ausdrückliches Ziel, den Kreis der Leistungsberechtigten nicht einzuschränken.

(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann machen Sie mal!)

Daher wird diese Regelung erst in einem weiteren Schritt der Reform im Jahr 2020 eingeführt, und zwar mit einem Begleitverfahren. Dieses gibt auch den Trägern genügend Zeit für die Umsetzung und genügend Zeit für mögliche Erprobungsphasen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rausgeschmissenes Geld, anstatt es von vornherein richtig zu machen!)

Kolleginnen und Kollegen, in den parlamentarischen Beratungen werden wir uns genau ansehen, ob alle Regelungen wirklich ausreichend sind, um unsere Ziele zu erreichen. Auch beim Bundesteilhabegesetz gilt ja das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist. – Ich freue mich in diesem Sinne auf konstruktive Beratungen, aber bitte mit mehr fachlich-sachlichen Argumenten und weniger lauter moralischer Empörung.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Dr. Astrid Freudenstein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006399
Wahlperiode 18
Sitzung 190
Tagesordnungspunkt Bundesteilhabegesetz
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