Michael Roth - Aktuelle Stunde zur Situation in Syrien nach dem Angriff auf den VN-Hilfskonvoi
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In meiner nordhessischen Heimat treffe ich regelmäßig Sherzad. Er und seine Frau haben in Bad Hersfeld, in meiner Heimatstadt, Zuflucht vor dem furchtbaren Bürgerkrieg in Syrien gefunden und sind inzwischen Eltern einer acht Monate alten Tochter. Vieles von dem, was mir die junge Familie über den Alltag in einem Bürgerkriegsland berichtet, bleibt mir unbegreiflich.
Sherzad war kürzlich zu Besuch in Dresden. Nach seiner Rückkehr berichtete er mir: So ähnlich sah Aleppo einmal aus, bevor die Stadt in Schutt und Asche gelegt wurde. Als ich Sherzad erklärte, dass Dresden vor 70 Jahren auch einmal so wie Aleppo heute in Trümmern lag, wollte er das überhaupt nicht glauben. Mit Blick auf die barbarischen Ereignisse der vergangenen Tage fällt es uns allen derzeit schwer, daran zu glauben, dass Menschen in Sherzads Heimat schon bald wieder ohne Angst leben können. Aber das Beispiel Dresden macht uns auch Hoffnung. Frieden und Wiederaufbau nach Krieg und Zerstörung sind möglich. Aber davon sind wir derzeit in Syrien Lichtjahre entfernt. Es ist einfach nur furchtbar.
Der abscheuliche Angriff auf einen VN-Hilfskonvoi in der Provinz Aleppo mit mindestens zwölf, wenn nicht noch gar mehr Todesopfern und vielen, vielen Verletzten ist ein Kriegsverbrechen schlimmster Art. Wir wissen noch nicht abschließend, wer letztlich die Verantwortung für diesen grausamen Angriff trägt, ob das syrische Regime mit oder ohne Unterstützung der russischen Armee oder vielleicht doch andere. Deshalb ist eine unabhängige Untersuchung völlig richtig. Ich sehe hier niemanden, der dies in Zweifel zieht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken. Klar ist aber auch: Diejenigen, die so etwas getan haben, sind zynische Taktiker der Macht und erbärmliche Terroristen. Zumindest darüber sollten wir uns einig sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Was tun wir in dieser verzweifelten, verfahrenen Situation? Das ist ja nicht nur die bohrende Frage, die mir Sherzad zu Hause in Bad Hersfeld stellt – Ihnen sicherlich auch, denn Sie haben ja alle Kontakte zu syrischen Flüchtlingsfamilien. Sie sorgen sich alle um ihre Verwandten und Freunde in ihrer alten Heimat.
Das ist auch die Frage, die wir uns heute im Bundestag stellen. Das ist mehr als legitim, und es ist unsere Pflicht. Was tun wir? Ich kann mich doch nicht hinstellen und sagen, wir hätten einen Masterplan, den wir einfach mal so aus der Schublade ziehen könnten. Niemand hier sollte selbstgerecht sein und behaupten, er oder sie hätte einen. Gleichwohl gilt: Trotz der hoffnungslos erscheinenden Lage müssen wir uns mit unseren europäischen Partnern und der internationalen Gemeinschaft weiterhin bemühen, jede noch so kleine Chance der Deeskalation zu ergreifen.
Das tun wir auch, und Sie können die Bundesregierung konkret beim Wort nehmen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier führt zurzeit unzählige Gespräche bei den Vereinten Nationen in New York. Heute Nachmittag tagt abermals die Internationale Syrien-Unterstützungsgruppe.
Dass der Waffenstillstand schon nach wenigen Tagen wieder vor dem Aus steht, hat maßgeblich das Assad-Regime zu verantworten. Wer allen Ernstes noch darüber verhandeln will, ob und welche Nahrung bei den Menschen ankommt, der zeigt seine perverse Gleichgültigkeit für die blanke Not seiner eigenen Bevölkerung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wer Schulen und Krankenhäuser mit Fassbomben bombardiert, der bekämpft keine Terroristen, der ist selbst ein Terrorist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Die syrische Opposition hat ihre Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen immer wieder unter Beweis gestellt. Das Assad-Regime ist diesen Beweis bis heute schuldig geblieben, und letztlich werden beide Seiten bereit sein müssen, schmerzhafte Kompromisse einzugehen.
(Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wir sehen dabei alle in der Pflicht, ihren Einfluss auf das syrische Regime geltend zu machen, um endlich die Waffen zum Schweigen zu bringen und den Weg für eine politische Lösung freizumachen.
Russland ist als Unterstützer des Assad-Regimes besonders in diese Tragödie verstrickt und muss noch viel mehr tun und entsprechend auf das Assad-Regime einwirken. Das ist unsere klare Erwartung, die wir Russland auch immer wieder vortragen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Und wenn nicht nur die Opposition fragt, wo und wie die Bundesregierung ihrer Verantwortung gerecht wird, dann kann ich darauf nur sagen: Wir unterstützen im Rahmen der Internationalen Syrien-Unterstützungsgruppe alle Bemühungen, eine landesweite Waffenruhe wiederherzustellen.
Ja, diese Vereinbarung ist brüchig, aber sie bietet nach wie vor die beste Chance, die Gewalt in Syrien erst einmal einzudämmen. So vermag sich auch wieder die Tür für eine politische Lösung der Krise zu öffnen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat jetzt in New York mit der Forderung nach einer zeitlich befristeten Flugverbotszone einen neuen Vorschlag unterbreitet, um aus dem Teufelskreis der Gewalt herauszukommen, und wir sind uns der Risiken bewusst: Die Forderung der Luftbrücke ist von den Kolleginnen und Kollegen der Grünen nochmals erhoben worden. Wir alle wissen auch, dass eine Luftbrücke ein sicheres Umfeld benötigt, und wenn die Syrer eines haben, dann ist es eine hoch aufgerüstete Luftabwehr. Das muss abgewogen werden, und dies wägen wir alle ab. Deshalb will ich Ihren Vorschlag überhaupt nicht kritisieren, aber Sie dürfen uns nicht dafür kritisieren, dass wir uns in diesem fortwährenden Abwägungsprozess befinden. Außenminister Frank-Walter Steinmeier führt – –
(Zuruf von der LINKEN: Redest du von dir selbst, oder was? – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat der Außenminister Unsinn geredet, oder was?)
– Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Sie haben uns eben erklärt, was wir alles nicht tun sollen, haben aber keinen einzigen substanziellen Vorschlag gemacht, was wir denn tun könnten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir sind uns doch völlig einig: Die humanitäre Katastrophe in Syrien muss gestoppt werden. Hunderttausende Menschen sind derzeit von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundesregierung, Sie, wir alle sind in diesem Jahr der größte Geber humanitärer Hilfe für Syrien. Dass das noch nicht reicht, ist uns doch bewusst. Aber wir tun etwas im Rahmen dessen, was uns auch der Bundestag gewährt. Wir unterstützen insbesondere das Welternährungsprogramm. Das VN-Flüchtlingshilfswerk hilft bei der Versorgung der Menschen mit Nahrungsmitteln, Unterkünften, dringend benötigten Hilfsgütern. UNICEF haben wir 4,5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um die Wasserversorgung in Aleppo aufrechtzuerhalten. Daneben fördern wir eine Reihe humanitärer Nichtregierungsorganisationen, die grenzüberschreitende Hilfe für die Menschen in und um Aleppo leisten. Wir arbeiten auch eng mit der Syria Civil Defense, den sogenannten Weißhelmen, zusammen. Sie wurden in diesem Jahr für ihren mutigen und engagierten Einsatz mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Dazu gratuliere ich dieser Organisation sehr herzlich.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Aber auch die rund 5 Millionen Menschen in den anderen belagerten, teils schwer oder gar nicht erreichbaren Gebieten Syriens dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Wir alle sehen das Leid. Wir haben schon viel zu oft in den Abgrund geschaut. Das lässt auch niemanden von uns kalt. Aber wir wissen eben auch: Die Lösung dieses Konflikts wird viel Geduld erfordern. Wir werden mit Menschen, mit Politikerinnen und Politikern, zu sprechen haben, von denen wir wissen, dass ihre Glaubwürdigkeit nicht gerade die allergrößte ist. Wir wissen auch: Es dürfte weitere Rückschläge geben; das ist vorprogrammiert. Aber das darf doch nicht bedeuten, dass wir es nicht immer wieder aufs Neue versuchen. Syrier wie Sherzad, die bei uns Zuflucht und eine neue Heimat gefunden haben und derzeit in unserer Nachbarschaft leben, mahnen und verpflichten uns dazu. Wir dürfen niemals aufgeben. Wir dürfen auch nicht resignieren. Frieden ist möglich. Diesem Frieden fühlen wir uns verpflichtet, auch wenn es – ich gebe das zu – in diesen Zeiten verdammt schwierig ist.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Michael Roth. – Nächste Rednerin in der Debatte: Dr. Franziska Brantner für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006452 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Situation in Syrien nach dem Angriff auf den VN-Hilfskonvoi |