Frank SchwabeSPD - Aktuelle Stunde zur Situation in Syrien nach dem Angriff auf den VN-Hilfskonvoi
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! In den letzten Tagen konnte man im Spiegel noch einmal nachlesen, wie es seinerzeit mit dem Internationalen Roten Kreuz und Henry Dunant begann, der 1859 während des Kriegs zwischen Österreich und Sardinien-Piemont im italienischen Solferino war und Tausende verletzte Soldaten krepieren – man muss es so sagen – gesehen hat. Als Lehre daraus wurde 1864 die erste Genfer Konvention ins Leben gerufen. Sie legte fest, dass Krankenhäuser und ärztliches Personal unter besonderen Schutz gestellt sind.
Ein Teil der SPD-Fraktion, die Arbeitsgruppe Menschenrechte und humanitäre Hilfe, war am Montag in Genf, und wir haben uns mit Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes getroffen und erfahren, dass mittlerweile das Rote Kreuz, aber auch der Rote Halbmond oft gar nicht mehr verwendet werden, weil sie eher als Zielmarke dienen denn als Schutz für diese Organisation. Das ist in der Tat eine dramatische Entwicklung.
Wir haben uns auch mit Vertretern von UN-OCHA getroffen, also denjenigen, die für die Organisation der humanitären Hilfe zuständig sind. Ich glaube, wir sind auch deswegen in besonderer Weise emotional betroffen, weil wir mitbekommen haben, welches Ringen es um genau diesen einen Transport gab, bei dem es um 78 000 Menschen ging, denen geholfen werden sollte, ein ganzes Fußballstadion voll. Wir haben nachts erfahren, dass der Konvoi losgefahren ist, und am nächsten Morgen mussten wir dann erfahren, dass der Konvoi zerstört wurde und es dabei 21 Tote gab, die in barbarischer Art und Weise ums Leben gekommen sind. Deswegen ist, denke ich, unsere Trauer mit den Mitarbeitern des syrischen Roten Halbmonds und den türkischen Fahrern, die dort unterwegs waren, besonders angebracht.
Leider war das nur der absolut traurige Tiefpunkt einer Verrohung der Sitten und der Aufkündigung des humanitären Völkerrechts durch viele Kriegsparteien, im Übrigen weltweit, aber insbesondere in Syrien. Da muss man nicht uns oder die Regierung fragen; vielmehr geht aus den Zahlen von Ärzte ohne Grenzen hervor, dass es im letzten Jahr allein in Syrien 94 Angriffe auf medizinische Einrichtungen gegeben hat. Die Weltgesundheitsorganisation spricht davon, dass es fast täglich Angriffe gegeben hat. Allein zwischen dem 19. und 29. August dieses Jahres gab es elf Angriffe auf Krankenhäuser. Da muss man also nicht uns fragen, und das hat auch nichts damit zu tun, wer schlimmer ist. Man muss aber schon sagen, wo die Hauptverantwortung liegt. Deswegen rege ich mich darüber so auf. Wir können über ganz viele andere Konflikte weltweit reden. Aber wenn wir über diesen Konflikt reden, kann man ja mal Ärzte ohne Grenzen fragen, wer hauptverantwortlich ist. Und wenn man als Antwort erhält: „Das hat ganz viel mit Russland zu tun“, dann muss man das hier auch sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
An der Stelle überkommt, glaube ich, uns alle ein Gefühl der Hilflosigkeit. Aber dem dürfen wir uns nicht hingeben. Die Frage ist: Was ist jetzt zu tun? Ich denke, es gibt vier Dinge, die man tun kann.
Erstens sollte man in der Tat – das ist vielfach angesprochen worden – alle diplomatischen Möglichkeiten nutzen. Frank-Walter Steinmeier – das muss man wirklich sagen – tut das in vorbildlicher Art und Weise: dafür zu kämpfen, dass es einen Waffenstillstand gibt und damit eng verbunden eine Flugverbotszone, die gemeinschaftlich verabredet werden muss – anders wird es nicht funktionieren –, damit Transporte auf dem Landweg und möglichst auch auf dem Luftweg möglich sind.
Zweitens müssen wir die Fälle immer wieder benennen. Wir dürfen nicht aufgeben, wir dürfen nicht gleichgültig werden. Die Koalition plant, noch in diesem Jahr einen Antrag zu dem Thema „Angriffe auf humanitäre Einrichtungen“ in den Deutschen Bundestag einzubringen. Dann gibt es noch einmal die Gelegenheit, darüber und auch über andere Fälle entsprechend zu diskutieren. Wir müssen Organisationen wie Geneva Call unterstützen, die versuchen, bewaffnete nichtstaatliche Akteure an das humanitäre Völkerrecht heranzuführen.
Wir müssen drittens alle Möglichkeiten der Strafverfolgung und internationalen Aufklärung nutzen – darin sind wir uns völlig einig –, aber auch deutlich machen: Es gibt einen Internationalen Strafgerichtshof, dem leider noch nicht alle Länder angehören, der für so etwas zuständig ist, und es gibt das Völkerstrafrecht in den einzelnen Nationalstaaten. Die Menschen müssen wissen: Wenn sie solche Kriegsverbrechen begehen, kommen sie in Zukunft nicht mehr ohne Weiteres davon.
Viertens – das ist heute wieder gesagt worden, und wir müssen es jetzt umsetzen, liebe Kolleginnen und Kollegen – reden wir über Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Es ist ganz schwierig, etwas zu tun, aber was wir auf jeden Fall tun können, ist, wenigstens die Mittel bereitzustellen, damit dann, wenn die humanitären Transporte stattfinden können, auch ausreichend Güter vorhanden sind, die zu den Menschen gebracht werden können. Deutschland ist mittlerweile führend in der Syrien-Hilfe. Wir sind weltweit auf Platz 3, was humanitäre Hilfe angeht. Das kann man auch mal lobend sagen. Das hat mit uns allen zu tun. Mein Appell ist – Frau Steinbach wird noch nach mir reden –, in den Haushaltsberatungen gemeinsam dafür zu sorgen, dass die Mittel am Ende nicht nur überplanmäßig zur Verfügung gestellt werden, sondern so, dass die Hilfsorganisationen wirklich planen können. Dafür müssen in diesem Haushalt mindestens Mittel in dem Umfang wie im letzten Haushalt eingestellt werden.
Zum Schluss – auch darauf haben viele hingewiesen –: Der kleine Junge in dem erwähnten Wahlkreis oder auch woanders und der kleine Junge in Aleppo, den wir im Fernsehen gesehen haben, die haben etwas miteinander zu tun. Deswegen ist es gut, dass die Empörung in Deutschland über das, was in Aleppo passiert, groß ist. Ich finde aber, mit derselben Empathie sollten wir jeden Tag alles tun, um den Menschen, die aus Aleppo zu uns geflohen sind, hier bei uns vor Ort zu helfen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank, Frank Schwabe. – Die letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde: Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006471 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Situation in Syrien nach dem Angriff auf den VN-Hilfskonvoi |