22.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 190 / Tagesordnungspunkt 10

Richard PitterleDIE LINKE - Gewinnverkürzungen und -verlagerungen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne! Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der den Begriff „multinationale Unternehmensgruppe“ erstmalig in die Abgabenordnung und überhaupt in ein deutsches Gesetz einführt.

Der Hintergrund ist durchaus ernst. Erst kürzlich machte ein Konzern Schlagzeilen, der sonst in der Öffentlichkeit für technologischen Fortschritt bewundert wird. Doch diesmal ging es um dessen Finanzgebaren. Die EU-Kommission verlangt von Apple Irland, 13 Milliarden Euro Steuern nachzuzahlen. Apple wird vorgeworfen, durch Steuertricks nur noch 0,005 Prozent Steuern auf Gewinne gezahlt zu haben. Auf 1 Million Euro Gewinn waren also 50 Euro Steuern zu zahlen. Auf der schwarzen Liste der EU-Kommission finden sich auch andere Konzerne, die uns bekannt sind, wie Facebook, Google und Amazon.

Allein 2015 erzielte Apple weltweit einen Umsatz von einer Viertelbillion Dollar und einen Gewinn von 50 Milliarden Dollar. Apple hat Bargeldreserven in Höhe von 200 Milliarden Dollar gehortet. Das muss man sich mal vorstellen: Eine Überweisung von Apple aus der Portokasse, und Griechenland wäre praktisch schuldenfrei.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht lange! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Gute Idee!)

Wie ist so etwas möglich? Mit BEPS. Das klingt wie ein Erfrischungsgetränk, ist aber eher das steuerrechtliche Gegenstück zu Karies. BEPS steht für Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung. BEPS ist im Kern nichts anderes, als sich gegenüber dem Fiskus so lange kleinzurechnen, bis kaum noch Steuern zu zahlen sind. Und wie Karies Zähne ruiniert, ruiniert BEPS ganze Staaten durch Steuerausfälle. Vor allem Entwicklungsländer leiden unter der Steuerflucht. Jährlich entgehen ihnen nach Schätzungen circa 100 Milliarden Dollar Steuereinnahmen.

Wie Karies ist BEPS aber auch eine Zivilisationskrankheit. 195 Staaten haben 195 verschiedene Steuersysteme. Sie sind nur lose durch Doppelbesteuerungsabkommen verzahnt. Multinationale Konzerne nutzen diese Unterschiede im Steuerrecht aus. Sie schieben die Gewinne zwischen den Staaten so lange hin und her, bis sie faktisch keine Steuern mehr zahlen müssen. Der Chefsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, Angel Gurría, sagte einst passend dazu:

Wir wollten verhindern, dass Unternehmen doppelt besteuert werden. Nun sind wir im Zustand doppelter Nichtbesteuerung angekommen.

Konzerne wie Apple betreiben dieses Geschäft seit Jahrzehnten unbehelligt. Erst 2015 konnten sich die G‑20- und die OECD-Staaten auf einen Aktionsplan gegen BEPS einigen. Das heute von uns beratene Gesetz setzt erste Maßnahmen dieses Plans um. Ein zentraler Punkt ist die Stärkung der Steuerverwaltung durch mehr Informationen. Konzerne müssen detaillierter Rechenschaft über ihre Aktivitäten in verschiedenen Ländern ablegen und Auskunft geben, damit sich Steuergestaltungen leichter identifizieren lassen. Das ist zweifellos richtig und notwendig. Aber das eigentliche Problem sind nicht fehlende Informationen, sondern die Unterschiede im materiellen Steuerrecht. Ohne einheitliche Besteuerungsgrundlagen oder eine Mindestbesteuerung sind internationale Steuervermeidung und aggressiver Steuerwettbewerb nicht in den Griff zu bekommen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD)

Bisher ist es nicht einmal innerhalb der EU gelungen, aggressiven Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern. Mehr als 700 amerikanische Konzerne wie Apple haben ihren Sitz in Irland. Das liegt nicht an der reizvollen Landschaft, sondern an Steuergeschenken Irlands – Steuergeschenke, die Irland jetzt auch nicht zurückfordert, aus Angst, die Konzerne könnten sich eine andere Steueroase suchen, frei nach dem auch bei uns bekannten Motto: lieber 0,005 Prozent von X als 20 Prozent von nix.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ich frage Sie: Wenn es schon innerhalb der EU nicht klappt, wie groß sind dann wohl die Aussichten, international Erfolg zu haben? Und der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben: Fachleute erklären seit vielen Jahren, dass Deutschland durch nationale Maßnahmen wie Quellensteuern auf alle Zins-, Patent- und Lizenzzahlungen wirksame Maßnahmen gegen BEPS ergreifen kann. Die Bundesregierung verweigert sich und predigt stattdessen nur den internationalen Ansatz. So lange Entwicklungs- und Schwellenländer den größten Schaden haben, lebt es sich bei uns mit Aktionsplänen und Ankündigungen eben noch sehr bequem.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Als Nächster spricht der Kollege Lothar Binding für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006539
Wahlperiode 18
Sitzung 190
Tagesordnungspunkt Gewinnverkürzungen und -verlagerungen
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