22.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 190 / Tagesordnungspunkt 10

Lothar BindingSPD - Gewinnverkürzungen und -verlagerungen

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Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man hat das Gefühl, es nimmt kein Ende. Seit Jahren arbeiten wir daran, klug und intensiv zu regulieren. Wir wollen die Ehrlichen stärken, die Kriminellen stellen und den Staatsfeinden das Leben schwer machen. Und dann? Dann gibt es ständig diese Nackenschläge. Wer schon lange im Parlament ist, weiß, dass wir alle paar Jahre trotz Erfolgen Rückschläge erleben, die wir uns vorher gar nicht haben vorstellen können.

Unternehmen wie Apple nutzen es im Grunde aus – das hat Herr Dr. Meister ausgeführt –, dass unterschiedliche Staaten unterschiedliche Regeln haben, sogar miteinander in Konkurrenz stehen. Aufgrund dieser Konkurrenz können die Privaten die Gewinne abziehen. Im Fall Apple wurden die Gewinne einer Verwaltungsgesellschaft in den USA zugeordnet, und weil sie dort zugeordnet waren, wurden die Gewinne nicht in Irland versteuert; aber die Verwaltungsgesellschaft in den USA ist auch steuerfrei. Daher ist die doppelte Nichtbesteuerung ein Bestandteil des Anti-BEPS-Programms. Es geht darum, solche Machenschaften zu verhindern.

Als ob der Fall Apple noch nicht genug wäre. Heute haben wir von 175 000 Briefkastenfirmen auf den Bahamas erfahren, und wir müssen uns bei Journalisten der Süddeutschen Zeitung dafür bedanken, dass sie das aufgedeckt haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein großes Problem, dem wir uns gegenübersehen, und das hat etwas damit zu tun, dass wir Gesetze in Deutschland machen, aber die Konzerne weltweit gestalten. Diesen Widerspruch bekommen wir auch nicht gelöst.

Wir waren über Luxemburg-Leaks, über Swiss-Leaks und über Offshore-Leaks erschrocken, über Panama und nun über die Bahamas. Wir sehen: Es nimmt kein Ende. Und wer war dabei? Das muss man sich einmal überlegen. In solchen Fällen ist auch immer etwas faul von innen. Wenn es stimmt, was ich gelesen habe, dann war auch Neelie Kroes, die ehemalige EU-Kommissarin, die Direktorin einer Briefkastengesellschaft auf den Bahamas gewesen. Das muss einen wundern. Auch ein ehemaliger bayerischer Finanzminister, Freiherr von Waldenfels, war dort Direktor einer Briefkastengesellschaft. Da fragt man sich: Was geht in den Menschen, die für ihre Arbeit Geld vom Staat, von den Steuerbürgern erhalten, eigentlich vor, wenn sie solche Gestaltungen organisieren? Das ist ein Skandal von außen und von innen.

(Beifall bei der SPD)

Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass wir uns um die Gestaltung internationaler Konzerne kümmern.

Jetzt komme ich zum guten Teil; denn das Anti-BEPS-Programm, also ein Programm gegen die Gewinnverlagerung zum Zwecke der Steuerersparnis, ist der erste international abgestimmte Ansatz, sogar über die EU hinausgehend, um Gewinnverschiebung und Steuervermeidung zu bekämpfen. Das halte ich in gewisser Weise für einen Durchbruch, wenn man zurückblickt und überlegt, wie lange es gedauert hat, um an diesen Punkt zu kommen.

(Beifall des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU])

Das ist sehr gut.

Natürlich üben wir Kritik im Detail. Es gibt noch eine Menge zu tun, es gibt auch viele Aspekte, die fehlen, und trotzdem ist es der richtige Ansatz. Denn wir wissen: Wir haben nur die Chance, grenzüberschreitende Steuergestaltung zu bekämpfen, wenn wir international abgestimmt vorgehen, wenn wir uns auf internationaler Ebene mit anderen Staaten verabreden und Verantwortung für alle Staaten erzeugen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir packen mit dem Anti-BEPS-Programm noch nicht alle Übel an der Wurzel, das ist klar. Denn auch wenn wir uns komplett dafür eingesetzt hätten, wäre es immer noch möglich, dass man durch Niedrigsteuersätze Konkurrenz betreibt. Mit BEPS wäre es möglich, dass Irland 12 Prozent Körperschaftsteuer beibehält, weil diese Verabredung noch nicht getroffen ist. Man merkt: Wir haben auf internationaler Ebene noch große Aufgaben vor uns, es gibt noch viel zu verhandeln.

Nun hat die EU mit ihrer Richtlinie gute Schritte unternommen. Man muss sagen: Heute geht es um die nationalstaatliche Umsetzung der Richtlinie. Der Hauptpunkt ist hier die Schaffung von Transparenz und ganz konkret: der automatische Informationsaustausch über Tax Rulings. Was ist eigentlich ein Ruling? Das ist eine Regel. So ein Ruling, eine Steuerregel, beschreibt die Ausnahme vom geltenden Steuerrecht, und zwar für einzelne Unternehmen. Das ist das Besondere. Es gibt Länder, die ein Steuerrecht haben, aber mit einzelnen Unternehmen Extrawürste verabreden, nämlich dass diese Unternehmen weniger Steuern zahlen müssen. Das gibt es in Deutschland Gott sei Dank nicht.

(Margaret Horb [CDU/CSU]: Ganz genau!)

Wir haben die verbindliche Auskunft. Die verbindliche Auskunft interpretiert das bestehende Gesetz, die gültigen Steuerregeln für alle Unternehmen und gibt Einzelnen keine Extrawurst. Daran merkt man, dass es ein unterschiedliches Verständnis, unterschiedliche Kulturen gibt. – Ich gucke gelegentlich zum BMF, weil es eine wichtige Sache ist, dass die Exekutive und das Parlament hier eine Sprache sprechen. Das ist bei uns der Fall, und das ist sehr gut. In anderen Ländern beobachten wir diesbezüglich mitunter das Schlimmste.

(Beifall bei der SPD)

Durch den Austausch von Informationen über diese speziellen Regeln soll deutlich werden, welche Praktiken wo angewandt werden und was man tun kann.

Ferner wollen wir im Rahmen des Informationsaustausches Widersprüche aufdecken. Indem die Unternehmen länderweise ihre Gewinne, ihre Steuerzahlungen, ihre wirtschaftlichen Tätigkeiten offenlegen, können die Finanzbehörden aus den Widersprüchen oder Inkonsistenzen bei diesen Angaben ableiten, ob Steuergestaltung vorliegt. Mit solchen Angaben kann die Steuerverwaltung natürlich ganz anders umgehen, als wenn alles im Dunkeln, im Anonymen bleibt. Wir sind sehr dafür, diese Maßnahmen so umzusetzen.

Natürlich beruht der Erfolg, den wir uns vom BEPS-Plan versprechen, nicht nur darauf, dass wir Transparenz schaffen. Wir brauchen mit Sicherheit zwischen den einzelnen Nationalstaaten Abstimmungen im Bereich der Steuergesetzgebung. Wir müssen mit Sicherheit auch den unfairen Steuerwettbewerb zwischen den Staaten in den Blick nehmen; denn – das muss man sagen – in diesem Sumpf gedeihen die Steuergestaltungsmodelle sehr gut, und wir erkennen sie nicht. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns hier international besser abstimmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich sehe soeben, dass ich zum Ende meiner Rede kommen muss. – Die EU hat in ihrer Richtlinie zur Steuervermeidung auch die Wegzugsbesteuerung, die Hinzurechnungsbesteuerung, die Einschränkung unangemessener Transferleistungen und die Ausnutzung von Besteuerungsrechten zwischen den nationalen Systemen in den Blick genommen. Diese Aufgaben stehen uns noch bevor. Ich glaube, die packen wir gemeinsam an.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Für die Fraktion der Grünen spricht jetzt der Kollege Dr. Thomas Gambke.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006542
Wahlperiode 18
Sitzung 190
Tagesordnungspunkt Gewinnverkürzungen und -verlagerungen
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