Jutta EckenbachCDU/CSU - Kinderarmut
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dass viele, zu viele Kinder in Deutschland in schwierigen familiären Verhältnissen aufwachsen, ist, glaube ich, hier im Hause unbestritten. Dass die finanziellen Sorgen einen hohen Rang einnehmen, ist ebenso klar. Mütter und Väter haben oft finanzielle Probleme, weil sie keinen Arbeitsplatz haben, nur Teilzeit arbeiten können oder, aus welchen Gründen auch immer, das Familieneinkommen nicht ausreichend ist. Möglicherweise sind sie schlecht ausgebildet, möglicherweise haben Scheidung, Verschuldung oder Jobverlust dazu geführt, dass sie den Boden unter den Füßen verloren haben. Viele Kinder erleben den Verzicht, den familiären Stress, das Schamgefühl gegenüber ihren Mitschülern, die Aggression oder die empfundene Ungerechtigkeit als vollkommen normal – das ist ihr Alltag und scheinbar unveränderbar. Ich sage Ihnen eines: Die bescheidenen Zukunftsträume und Wünsche dieser Kinder sind für uns und unsere gesamte Gesellschaft beschämend.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Aber ihr macht nichts!)
Aber das, was Sie hier gerade ausgeführt haben, Frau Zimmermann, hatte mit dem Thema überhaupt nichts zu tun. Sie verquicken Armut immer mit der Hartz-IV-Reform. Ich sage Ihnen: Hartz IV verhindert Armut.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])
Wir haben Hartz IV eingeführt, um die Menschen nicht in Armut leben zu lassen.
(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: Genau! – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Sagenhaft, dass Sie so blind sind!)
Es gibt eine neue Bertelsmann-Studie – sie ist erst wenige Tage alt –, die darauf hinweist, dass es in Deutschland 59 Gutachten gibt, die sich mit dem Thema Kinderarmut beschäftigen. Jeder geht anders an das Thema heran. Wir beschäftigen uns damit seit 1983. Viele Kommunen setzen ihre Prioritäten so, dass etwas für Kinder getan wird. Ich kann das für meine eigene Kommune in Nordrhein-Westfalen sagen. Wir beschäftigen uns mit Familienschulen, damit die Eltern vielleicht auch einmal zu Elternabenden in die Schulen kommen, in denen ihre Kinder morgens um 8 Uhr sein sollten, um Bildung zu erfahren. Ich finde, zum Thema „Armut in Deutschland“ gehört auch, dass die Kinder ein Recht auf Bildung haben und Bildung so ausgestaltet wird, dass die Kinder diese Angebote auch wahrnehmen können und gefördert werden.
Wenn ich mir mein eigenes Bundesland, Nordrhein-Westfalen, anschaue, dann sehe ich dort große Schwierigkeiten, die Teilhabe von Kindern aus Verhältnissen, die vielleicht nicht ganz so gut sind, wirklich zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft sie auffängt.
(Kerstin Griese [SPD]: Deshalb tut Nordrhein-Westfalen so viel, dass das besser wird für die Kinder!)
Wenn wir immer darüber reden, dass wir – auch in Nordrhein-Westfalen – kein Kind zurücklassen wollen, dann müssen wir auch darüber reden, was nach den Studien, die Sie kennen, von den Vorsätzen übrig geblieben ist.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Nordrhein-Westfalen hat die meisten Kinder, die arm sind!)
Ich glaube, wir müssen uns einmal darüber klar werden, dass wir hier einen ganzheitlichen Ansatz für die Kinder fordern müssen.
Ich sage Ihnen: Seitens der Bundesregierung ist eine ganze Menge getan worden. Wir haben ein Bildungs- und Teilhabepaket eingerichtet. Sie tun in Ihrem Antrag so, als gäbe es das nicht, als würden wir Kindern keine Möglichkeit geben, Nachhilfeunterricht zu bekommen. Das haben wir mit dem Bildungs- und Teilhabepaket getan.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das Ruhrgebiet ist Spitzenreiter, was die Kinderarmut angeht!)
Wir haben zuletzt das Programm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ aufgelegt und es jetzt noch einmal verlängert. Auch das ist ein Ansatz, noch einmal über das Thema nachzudenken.
Ich komme noch einmal auf die Bertelsmann-Studie zurück. Sie weist uns darauf hin, dass Armut nicht nur ein finanzielles Problem ist. Frau Zimmermann, Sie haben das gerade in den Kontext mit Leiharbeit gesetzt und gesagt, dass all diese Maßnahmen Kinderarmut verursachten. Nein, wir sollten die Priorität auf die Kinder legen und einmal wissenschaftlich betrachten, was die Kinder wirklich benötigen.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Machen wir seit 1983!)
Wir sind auf einem guten Weg. Das beweist auch diese Studie.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wir brauchen keine Gutachten! Wir kennen die Ursachen! Sie müssen mal anfangen, mal den ersten Schritt machen! Meine Güte! Seit Jahren predige ich das!)
– Ich sage Ihnen an dieser Stelle eines: Eine Kindergrundsicherung wäre für mich nur machbar, wenn diese Gelder auch beim Kind ankämen, und das ist nicht gewährleistet.
Für mich ist wichtig, dass ich das Kind in Deutschland stärke.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was heißt das jetzt?)
Das werden wir auch in Zukunft tun müssen. Wir werden die Kinder stärken müssen, werden dafür sorgen müssen, dass sie Bildung und Erziehung erhalten und ihre Teilhabe am Leben gewährleistet ist und sie nicht ins Abseits gestellt werden. Das bedeutet für mich, Kinder auf Augenhöhe zu sehen, Eltern auf Augenhöhe zu begegnen, wirklich Teilhabe zu gewährleisten. Dazu brauchen wir eine Reihe von Instrumenten und nicht nur mehr Geld. Dazu müssen wir auch über Stadtentwicklung nachdenken. Ich habe das beim letzten Mal schon gesagt: Kinder in Ghettos werden wieder in ghettoisierte Schulen gehen. Wir werden also vernünftigerweise dafür sorgen müssen, dass diese Kinder auch ein vernünftiges Bildungssystem vorfinden.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Wann denn?)
– Dafür sind doch bitte die Länder zuständig.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ah! Die Länder sind zuständig!)
Sie sind doch in der Lage, jetzt überall in den Ländern daran mitzuwirken. Machen Sie es doch!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Machen Sie es doch, damit wir vernünftig darüber reden können, und sagen Sie nicht: Der Bund soll es tun!
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Nein!)
Wir können Hilfestellungen geben,
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Ja, Bildungs- und Teilhabepaket!)
und ich denke, wir haben das getan, indem wir die Länder und Kommunen entlastet haben.
Wir sollten aber nicht so tun, als wäre ganz Deutschland in Armut verfallen. Ich weise noch einmal darauf hin, dass wir in Deutschland eine verdammt gute Konjunktur haben
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Und eine zunehmende Armut!)
und dass mehr Menschen denn je in Arbeit sind. Ich appelliere auch daran – ich denke, das gehört für die CDU/CSU dazu –, die Verantwortung nie an die Gesellschaft abzugeben. Es sind auch immer die Eltern in der Verantwortung.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wenn 350 000 Kinder von der Tafel leben müssen, Frau Zimmermann, dann sind das nicht alles Kinder, die keine Eltern zu Hause haben.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist dann Staatsversagen! So nennt man das!)
Wenn mich eine Mutter morgens früh um 8 Uhr anruft und fragt, wie man den Sohn in die Schule bringen kann, weil er nicht aufsteht, dann haben wir die Verpflichtung, die Eltern zu stärken; wir haben aber auch dafür zu sorgen, dass das Kind wirklich in die Schule kommt. Wenn es diesen Weg nicht geht, dann wird es später als Jugendlicher auch nie in die Ausbildung gehen und nie seinen eigenen Lebensweg finden können. Diese Kausalkette müssen wir unterbrechen.
(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Wie oft wollen Sie das noch sagen?)
Wir wissen, dass Kinderarmut vererbbar ist, und ich denke, dass wir uns das in Deutschland nicht länger erlauben können.
(Zuruf von der LINKEN: Sie schaffen es sogar, dass Reichtum vererbbar ist!)
Ich appelliere noch einmal an Sie, das gemeinsam anzugehen, und mit „gemeinsam“ meine ich die Kommunen, das Land, den Bund, die Unternehmer, die Familie, um in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens dafür Sorge zu tragen, dass wir in Deutschland nicht weiterhin eine Debatte darüber führen müssen, dass wir nur arme Kinder haben. Ich möchte, dass jedes Kind Zugang zu sozialer Teilhabe hat und dass jedes Kind die gleichen Chancen hat. Man sollte nicht immer die Mär verbreiten, dass es nur Steuervorteile für Menschen gibt, die mehr Leistung erbringen und dadurch auch mehr finanzielle Möglichkeiten haben. Alle Kinder sind für uns gleich.
(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Es werden doch immer mehr Kinder, die zu den Tafeln gehen!)
Insofern werden wir hier keinen Unterschied machen, wenn es um steuerliche Auswirkungen geht. Das entspricht auch Ihrem Antrag.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage noch einmal ganz klar: Wir sind alle gefordert, auch die ausbildenden Betriebe; denn es geht nicht nur um Kinder, sondern auch um Jugendliche. Jeder ist gefordert. Gefordert sind vor allen Dingen auch die Familien selbst; ich habe das schon betont. Eltern sind in der Verantwortung, sie sind gefordert – darin müssen wir sie stärken –, ihren Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Dazu gehören auch Eigenverantwortung, Erziehung und aktives Streben nach Bildung.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Kinderarmut |