Dagmar SchmidtSPD - Kinderarmut
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Armut ist kein abstraktes Phänomen, das sich allein in Zahlen und Prozenten ausdrücken lässt. Die Folgen der Armut sind vielfältig, für die betroffenen Kinder sehr konkret und machen ihnen das Leben schwer. Beengter Wohnraum und geringe Rückzugsmöglichkeiten belasten Familien und erschweren den sozialen Kontakt. Mehr familiäre Sorgen und weniger Möglichkeiten, gemeinsam als Familie etwas zu erleben und zu erfahren, belasten das Alltagsleben. Arme Kinder leiden mehr unter familiärem Stress, Armut wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus, auch auf die psychische Gesundheit. Arme Kinder haben im Durchschnitt schlechtere Noten, und das unabhängig vom Bildungsstand ihrer Eltern. Ihr Bildungsweg ist durchweg steiniger.
Um Chancengleichheit herzustellen, reicht es nicht, nur einen Hebel umzulegen. Viele große und kleine Räder müssen in Bewegung gesetzt werden. Vieles davon ist schon auf den Weg gebracht worden, anderes muss noch folgen. Einiges betrifft uns als Bund, anderes müssen Länder und Kommunen leisten.
Ein erster wichtiger Punkt – er ist schon genannt worden – ist, die Elternarmut zu bekämpfen. Da haben wir mit dem Mindestlohn und der Stärkung der Tarifpartnerschaft für gute Löhne für die, die Arbeit haben, schon viel erreicht.
(Beifall bei der SPD)
Es gibt aber auch mehr Mittel für Langzeitarbeitslose. Wir haben mit dem Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ den Schwerpunkt auf Familien mit Kindern gelegt und die Mittel verdoppelt. Besonders von Armut betroffen sind oftmals Alleinerziehende. Wir haben ihre materielle Absicherung verbessert und die Kinderbetreuung ausgebaut. Des Weiteren haben wir im Rahmen der SGB-II-Rechtsvereinfachung die Möglichkeit geschaffen, neben einer Ausbildung, deren Vergütung oftmals nicht reicht, die Familie zu ernähren, Arbeitslosengeld II zu beziehen. Damit haben wir es möglich gemacht, dass diejenigen eine Ausbildung oder Teilzeitausbildung aufnehmen können, die das bisher nicht konnten. Ausbildung ist und bleibt die beste Voraussetzung für einen guten Job.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Karl Schiewerling [CDU/CSU])
Wir haben uns für diese Legislatur noch mehr vorgenommen. Zum Beispiel wollen wir den sogenannten Umgangsmehrbedarf für getrenntlebende Eltern beschließen und den Unterhaltsvorschuss ausbauen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten Sie ja machen können!)
Zweitens müssen wir die Kinder direkt in den Blick nehmen. Es reicht nicht, den Blick allein auf die Eltern zu richten. Kinder haben eigenständige Rechte, und wir haben die Verantwortung, sie ihnen zu gewähren – unabhängig von der sozialen Lage der Eltern –, gerade auch, weil Kinder eben nicht in der Lage sind, selbstständig etwas an ihrer sozialen Lage zu ändern.
An dieser Stelle möchte ich mit einem beliebten Vorurteil aufräumen, nämlich dem, dass die Eltern, wenn man ihnen mehr Geld gäbe, es für sich ausgeben würden. Am beliebtesten sind die Unterstellungen, es würde versoffen oder in Glücksspiel investiert. Genau das Gegenteil ist der Fall. Das ist wissenschaftlich bewiesen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Es ist belegt, dass arme Eltern zuallererst selbst Verzicht üben, bevor sie ihren Kindern etwas vorenthalten. Arme Eltern geben, prozentual gesehen, für die Bildung ihrer Kinder genauso viel aus wie Eltern mit höherem Einkommen. Arme Eltern lieben ihre Kinder genauso wie alle anderen Eltern – nur sind ihre Sorgen größer.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sage ich: Je mehr wir uns um die Chancen armer Kinder und ihre Unterstützung kümmern, desto mehr Last nehmen wir auch von den Familien insgesamt.
Auch da haben wir schon einiges getan. Wir haben den Entlastungsbeitrag für Alleinerziehende, den Kinderfreibetrag, das Kindergeld und den Kinderzuschlag erhöht, und wir erhöhen mit der Neuberechnung der Regelsätze die Leistungen für die 6- bis 13-Jährigen um immerhin 21 Euro. Wir haben also – zusammengenommen mit all dem, was wir den Ländern und Kommunen für Bildung und Betreuung zur Verfügung stellen – richtig viel geschafft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Perspektivisch müssen wir aus meiner Sicht aber noch einmal grundsätzlicher über unsere Familienleistungen und die Leistungen für Kinder nachdenken. In unserem Regierungsprogramm 2013 haben wir ein sozial gestaffeltes Kindergeld vorgeschlagen. Hier müssen wir, glaube ich, weiterdenken. Ich könnte mir auch gut eine Kindergrundsicherung vorstellen, die alle bisherigen Kinderleistungen zusammenfasst.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Mindestens so wichtig aber ist die strukturelle Versorgung von Kindern. Mehr Geld allein nutzt nichts, wenn die Schule soziale Ungleichheit reproduziert, wenn es keine Angebote für eine sinnvolle Freizeitgestaltung oder zu wenig Unterstützung, Beratung und Hilfe für die Familien gibt. Hier sind insbesondere die Länder und Kommunen in der Verantwortung; aber der Bund muss seinen Beitrag auch hier leisten, und das haben wir getan. Wir haben zum Beispiel das Programm „Soziale Stadt“ wieder in Gang gesetzt und um die Programme „JUGEND STÄRKEN im Quartier“, „Soziale Integration im Quartier“ und vieles andere ergänzt. Wir haben Sprachkita-Programme aufgelegt. Wenn es nach mir ginge, würden wir das Kooperationsverbot abschaffen und endlich die Schulsozialarbeit weiter finanzieren.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Alle Kinder, die in unserem Land aufwachsen – egal wo und bei wem, welche Muttersprache sie sprechen oder welche Hautfarbe sie haben, ob sie Fußball spielen, Ministranten sind oder beides –,
(Kerstin Griese [SPD]: Oder beides, genau!)
müssen die Sicherheit, die Freiheit und die Unterstützung erfahren, damit sie ihr Leben nach ihren Wünschen selbstständig in die Hand nehmen können. Alle Kinder sollen die gleichen Chancen auf ein gutes Leben haben. Daran wollen wir weiter arbeiten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als Nächstes hat der Kollege Tobias Zech, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Martin Rosemann [SPD])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006578 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Kinderarmut |