Claudia Lücking-MichelCDU/CSU - Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Blick auf die Stellenbesetzungen in unserer Forschungs- und Hochschullandschaft zeigt: Wir haben ein Problem. Frauen sind viel zu oft unterrepräsentiert, und immer gilt: Je höher die Karrierestufen und je höher die Besoldung, desto niedriger der Anteil der Frauen. Diese Situation – darin stimme ich Ihnen vollkommen zu – ist nicht akzeptabel. So weit gebe ich Ihnen recht.
(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Sehr gut!)
Die Gründe für diese Situation sind allerdings absolut vielfältig, und wer etwas dagegen tun will, muss entsprechend vielfältig – mit verschiedenen Instrumenten – ansetzen. Vieles geschieht auch schon. Deswegen ziehe ich aus der wahrlich nicht erfreulichen Situation ganz andere Schlüsse als Sie in Ihrem Antrag.
Gleich der erste Satz Ihres Antrages ist eine, wie ich finde, einseitige Beurteilung; denn Sie ignorieren all die Aktivitäten, die weit über Appelle und Selbstverpflichtungen hinausgehen und die an Hochschulen und Forschungseinrichtungen mittlerweile stattfinden, um die Chancengerechtigkeit für alle, auch und gerade für Frauen, zu verbessern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Leitungsebene und Gleichstellungsbeauftragte ziehen in der Regel an einem Strang.
Im zweiten Satz des Antrags geht es gleich weiter: Sie behaupten pauschal, dass Frauen in ganzen Fachrichtungen diskriminiert würden. Wahrscheinlich meinen Sie die MINT-Fächer und meinen, dass der Frauenanteil hier in den Führungspositionen immer noch viel langsamer steigt als anderswo. Sie erwähnen allerdings nicht, dass nach wie vor viel weniger Frauen ein Studium in diesen Fächern aufnehmen. Erst recht findet sich mit keinem Wort, was die Bundesregierung gegen die Studienfachwahl im Sinne der klassischen Rollenbilder mittlerweile auch schon unternimmt. Das beginnt beim Girls’ Day und geht weiter zum Nationalen Pakt für Frauen in MINT-Berufen. Diese Initiativen wirken. Die Zahl der Studienanfängerinnen in den MINT-Fächern ist von rund 45 000 im Jahr 2000 auf immerhin 105 000 im Jahr 2014 gestiegen – mehr als doppelt so viele.
Ich stelle das so ausführlich dar, weil ich erklären möchte, warum wir von den geforderten fixen Quoten für Frauen, die bei Ihnen an verschiedenen Stellen vorkommen, nicht viel halten. Man muss, so finde ich, die konkreten Zahlenverhältnisse berücksichtigen. Deshalb kommt man auf die Idee des sogenannten Kaskadenmodells.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Superidee! Tolles Modell! Einführen!)
Es trägt den Gegebenheiten der jeweiligen Fachrichtung und Institution nämlich Rechnung und – das ist mir wichtig – setzt das Prinzip der Bestenauslese gerade nicht außer Kraft, nutzt aber die Potenziale und die Verpflichtungen zum Nutzen der bisherigen Karrierestufe in vollem Umfang.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich erinnere – Sie erwähnten sie als „echte Wegmarke“, und ich finde, das sind sie auch – an die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards, auf die sich die DFG verpflichtet hat – immerhin schon 2008. Ein solcher Kulturwandel, der mit diesen Gleichstellungsstandards eingeleitet wurde, braucht Zeit – sicher mehr, als uns lieb ist, aber immerhin. Ich finde, wir sind auf dem richtigen Weg.
Wenn Politik etwas tun soll, dann gehört dazu, mehr Anreize und verbindlichere Standards zu setzen. Wir sollten also Institutionen, Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die hier besonders gut abschneiden, belohnen. Dabei könnten wir auch bei den Maßnahmen noch viel kreativer werden.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt! Nur zu!)
Ich nenne die Anerkennung von gendersensibler Rekrutierung, die Förderung von Mentoring-Programmen, den Aufbau von Netzwerken und auch den Gedanken, Dienstleistungen für Doppelkarrierepaare auszubauen.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)
Schließlich schlage ich einen verpflichtenden Berichtspunkt Familienquote vor, um nicht nur die Familienfreundlichkeit der verschiedenen Einrichtungen klarer erfassen zu können, sondern auch, um da einen Negativwettbewerb auszuschließen. Professorinnenprogramm, Personalentwicklungs- und Gleichstellungskonzepte als Kriterium für Exzellenzstrategie und Tenure-Track-Programme: Da passiert doch etwas. Das sind wirksame Anreizsysteme.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Viele der Überlegungen in Ihrem Antrag sind dagegen, wie ich finde, Ladenhüter; über sie haben wir schon an so vielen Stellen miteinander diskutiert. Dazu gehört die Forderung nach Bundesfinanzierung von Aufgaben in Länderzuständigkeit oder die ständig wiederholte Kritik am Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das wir doch gerade erst novelliert haben.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht die Novelle nicht besser!)
Zum Schluss sei gesagt, dass auch in der Wissenschaft – aus purem Eigeninteresse – längst angekommen ist: Gleiche Zugangschancen zu Spitzenfunktionen für alle sind nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der Exzellenzsicherung. Diversität von Fragestellungen und Forschungsansätzen ist Bedingung für echte Spitzenforschung. In einem Punkt sind wir uns hoffentlich einig: Wir brauchen die Kreativität von allen, die Talente der besten Männer und vor allen Dingen der besten Frauen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank, Claudia Lücking-Michel. – Nächster Redner: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006650 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft |