Kai GehringDIE GRÜNEN - Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie steht es hierzulande im Jahr 2016 um die Chancengerechtigkeit in der Wissenschaft? Die Antwort ist eindeutig: Obwohl es viele erfolgreiche Frauen gibt, sind Wissenschaftlerinnen noch immer unterrepräsentiert und strukturell benachteiligt. Wir brauchen einen deutlichen Kulturwandel zugunsten von Frauenkarrieren. Das sage ich als männlicher Feminist in dieser Runde sehr klar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Denn es gilt: Je höher die Hierarchieebene und die Besoldungsstufe, desto dünner die Luft für qualifizierte Frauen. Nur 17 Prozent der C-4-Professuren sind in Frauenhand. Das ist eindeutig zu wenig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Old Boy’s Networks, männlich geprägte Leistungsdefinitionen und Verhaltenscodes haben noch immer zu viel Einfluss. Die Vereinbarkeit von Karriere und Kindern ist im Wissenschaftssystem nach wie vor ziemlich mühsam. Infolgedessen verabschieden sich viele kluge Frauen meist nach der Promotion aus der Wissenschaft. Das ist schlecht für die Kreativität und schlecht für unsere Volkswirtschaft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Dabei gab es vor zehn Jahren eine vielversprechende Aufbruchsstimmung. Die internationale Gutachtergruppe in der Exzellenzinitiative war über die mangelnde Gleichstellung an deutschen Universitäten entsetzt. Davon aufgeschreckt mahnte der damalige DFG-Präsident Winnacker 2006 in einem Brief an die Universitäten, ihre Gleichstellungsziele und -maßnahmen zu konkretisieren. Er und der damalige Präsident der Leibniz-Gemeinschaft Rietschel brachten sogar Quoten ins Gespräch, um der Unterrepräsentanz von Frauen im Wissenschaftssystem endlich beizukommen.
Immer stärker – später auch durch die DFG-Gleichstellungsstandards – wurde Gleichstellung explizit zum Exzellenzkriterium, und sie galt als Voraussetzung für gute Forschung. Besonders wirksam war die Ankündigung der DFG, dass eine schlechte Gleichstellungsperformance die Förderchancen schmälert. Das alles war gut; denn exzellente Forschung fußt auf Vielfalt.
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])
Chancengleichheit ist elementar für Qualität und Gerechtigkeit; da sollten wir uns doch alle einig sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Was ist aus den Aufbruchssignalen geworden? Die Aufholdynamik bleibt noch immer weit hinter dem Notwendigen zurück. Um besser voranzukommen, ist die Antwort vielerorts die Kaskade. Ihre verbindliche Verankerung hat meine Fraktion schon gefordert, als so etwas wie ein Pakt für Forschung und Innovation noch gar nicht denkbar war. Aber handelt es sich dort, wo die Kaskade herangezogen wird, um ein verbindlich ausgestaltetes Instrument? Nein, leider Fehlanzeige. Das muss sich ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)
Die Antwort auf unsere Kleine Anfrage an die Bundesregierung dokumentiert, dass diese Koalition keinen einzigen neuen Impuls zur Gleichstellung in der Wissenschaft initiiert hat. Für eine geschlechtergerechte Wissenschaft ist diese Legislatur eine der verpassten Chancen.
Beispiel eins. Bei der neuen Vereinbarung zur Exzellenzstrategie wurde das Thema Gleichstellung nicht stärker berücksichtigt.
Beispiel zwei. Das Professorinnenprogramm war in der zweiten Runde völlig überzeichnet. Nachsteuerung und Nachfinanzierung: völlige Fehlanzeige. Wir meinen, bei der anstehenden Verlängerung sind die Mittel für das Professorinnenprogramm klar aufzustocken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Beispiel drei. Die familienpolitische Komponente bei der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes war halbherzig.
Beispiel vier. Trotz des sehr ungünstigen Frauenanteils wurden in der letzten Dekade weder verbindliche Steigerungsquoten eingeführt, noch gibt es wirksame Anreize oder Sanktionen, wenn selbstgesetzte Gleichstellungsziele verfehlt werden.
Wir können es nicht länger hinnehmen, dass die fortdauernde Benachteiligung von Frauen im Wissenschaftssystem Ungleichheiten reproduziert und exzellente Leistungen behindert. Deshalb brauchen wir eine systematische und stärker institutionenübergreifende integrierte Steuerung der Gleichstellung, verbindliche Zielquoten, Anreize und Sanktionsmechanismen, aber auch mehr Wirksamkeitsforschung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In der letzten Legislaturperiode gab es eine sehr gute gemeinsame Initiative der damaligen Oppositionsfraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen.
(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das war gut!)
Als es zu Regierungszeiten um die Umsetzung ging, Herr Röspel, war wieder einmal Fehlanzeige bei den Sozialdemokraten, und das ist schade.
Ich freue mich, dass die Linksfraktion mit ihrem Antrag die Debatte darüber heute erneut angestoßen hat. Lassen Sie uns über Ihre und unsere Forderungen im Ausschuss weiter diskutieren. Echte Gleichstellung ist überfällig.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächste Rednerin – jetzt ist sie dran –: Marianne Schieder für die SPD.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006652 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 190 |
Tagesordnungspunkt | Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft |