23.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 191 / Tagesordnungspunkt 38

Erika SteinbachCDU/CSU - Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit

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Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Religion ist ein elementarer Teil der Identität von Gläubigen unterschiedlichster Konfessionen. Aufgrund von Forschungen wissen wir, dass Religiosität von Anfang an Menschen in ihrer Identitätsbildung unterstützt und ihnen hilft, die Fragen der eigenen Existenz und zum Platz im Leben und in der Welt zu beantworten. Darum ist es so unverzichtbar, den eigenen Glauben artikulieren und leben zu dürfen. Deshalb ist es richtig, dass Religionsfreiheit ein ganz zentrales Menschenrecht ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Leider müssen wir erkennen, dass die Unterdrückung von Religionen und damit die Unterdrückung von Menschen in den letzten Jahren beständig zugenommen hat, wobei insbesondere Religionsgemeinschaften, die in ihrem Land zu einer Minderheit gehören, davon betroffen sind. Diese Einschränkungen der Religionsfreiheit sind häufig Ergebnis gezielter Politik, etwa wenn die Mehrheitsreligion ihren Wahrheitsanspruch staatlich verankert hat und auf jeden Fall durchsetzen will. Aber auch das Aufkommen extremistischer und terroristischer Organisationen in Verbindung mit schwacher Staatlichkeit führt – für uns deutlich erkennbar – zu religiös begründeten Gewaltexzessen. Das können wir im Nahen Osten auf tragische Weise beobachten.

Unsere Fraktion, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, setzt sich seit vielen Jahren im Rahmen ihrer wertegeleiteten Außenpolitik für das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ein: für die Christen im Nahen und Mittleren Osten genauso wie für die Jesiden im Irak, die Bahai im Iran, die Tibeter in China oder die bedrängten Christen und Muslime in Indien, wobei die meisten nicht wissen, dass es dort eine Bedrängung gibt. Von der Anzahl her sind Christen weltweit besonders häufig von Unterdrückung und Verfolgung betroffen.

Der Zustand der Religionsfreiheit ist ein deutlicher Indikator für die allgemeine Menschenrechtslage in einem Staat. Das kann man in allen Staaten dieser Welt verfolgen. Wo es keine Religionsfreiheit gibt, sind in der Regel auch die anderen zentralen Freiheits- und Menschenrechte in Gefahr oder schon nicht mehr vorhanden.

(Beifall des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU])

Der Bericht der Bundesregierung zeichnet ein globales, aber durchaus noch nicht ganz vollständiges Bild der Herausforderungen für die Religionsfreiheit; Volker Kauder hat darauf mit gutem Recht hingewiesen.

Für Deutschland müssen wir darüber hinaus registrieren und erkennen, dass als Folge der großen Migrationsbewegungen global zu beobachtende Defizite religiöser Intoleranz inzwischen auch verstärkt bei uns spürbar sind. So sind vor allem in den letzten Jahren Menschen aus Gesellschaften nach Europa und nach Deutschland gekommen, in denen sie ohne religiöse Toleranz aufgewachsen sind und sie gar nicht kennen; sie wissen gar nicht, was religiöse Toleranz ist. Als Folge davon müssen wir in Deutschland schon mit Sorge die Zunahme antisemitischer Strömungen und unverhohlener Aggressivität gegenüber Christen, Jesiden und auch gegenüber Konvertiten in deutschen Asylunterkünften registrieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Steinbach, darf die Kollegin Buchholz eine Zwischenfrage stellen?

Aber gerne.

Frau Steinbach, Sie sprechen hier von „religiöser Intoleranz“. Ich will das einmal zusammen mit der Aussage von Herrn Kauder betrachten, der bezweifelt hat, dass es in Deutschland antimuslimischen Rassismus gibt, wie das ja im Bericht der Bundesregierung vermerkt ist. Ich frage Sie: Wenn sich eine junge Frau viermal öfter bewerben muss, um einen Job zu bekommen, wenn sie ein Kopftuch trägt, als wenn sie kein Kopftuch trägt, haben wir es nicht dann mit einem Rassismus gegen Muslime zu tun? Ist es nicht so, dass sich Religionsfreiheit nicht daran misst, wie die Mehrheit behandelt wird, sondern inwieweit die Minderheiten gleiche Rechte haben? Ich würde Sie sehr bitten, darauf einzugehen, wie es hier um die Minderheit der Muslime und andere religiöse Minderheiten in Deutschland bestellt ist, und eher vor der eigenen Haustür zu kehren, bevor Sie den Blick in die große, weite Welt schweifen lassen.

(Beifall der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])

Frau Kollegin, ich nehme ja gerade die Situation vor der eigenen Haustür, nämlich Deutschland, in den Blick, das ja in dem Bericht praktisch nicht vorkommt. Vor dem Hintergrund wissen wir: Die Würde eines jedes Menschen ist nach unserer Verfassung unantastbar.

Berichte über Spannungen zwischen verschiedenen religiösen Gruppen in Flüchtlingsunterkünften, selbst zwischen Angehörigen unterschiedlicher muslimischer Glaubensrichtungen wie Sunniten, Schiiten oder Aleviten, zeigen uns, dass das religiöse Konfliktpotenzial hier in Deutschland angekommen ist und uns vor erhebliche Herausforderungen stellt und stellen muss. Wir dürfen diese Situation nicht ignorieren, und wir dürfen die Problematik auch nicht unterschätzen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Verkennen dürfen wir auch nicht, dass es bei uns in Deutschland inzwischen islamistische Versuche gibt – nicht Versuche des Islam –, Religion als politisches Vehikel zu missbrauchen und zum Beispiel das Tragen ausgrenzender Kleidung wie Burka oder Nikab als religiös zu begründen, obwohl dem so nicht ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ein Mitglied des Hohen Geistlichen Rates der Al-­Azhar-Universität in Kairo hat deutlich gesagt: Der Nikab schadet dem Islam.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das sollten wir uns hier in Deutschland dann auch einmal vor Augen führen. Gesellschaftspolitische Vorstellungen mithilfe von solchen extremistischen Bekleidungsvorschriften umzusetzen – ich glaube, wir sollten darüber nachdenken, ob das unserem Land guttut.

Insgesamt macht der Bericht der Bundesregierung deutlich, dass die Herausforderung des Menschenrechts auf Religions- und Glaubensfreiheit sehr verschiedene Facetten hat. Der Bericht ist in dieser Form eine Momentaufnahme, die durchaus noch verbesserungsfähig ist, aber es ist eine gute Grundlage. Wir erhoffen uns weitere Berichte, eine Kontinuität der Berichterstattung, bei der dann auch die angeführten Lücken gefüllt werden. Denn eines ist uns allen deutlich – wir können es weltweit beobachten –: Religiös motivierte Spannungen nehmen leider zu.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Dietmar Nietan für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006767
Wahlperiode 18
Sitzung 191
Tagesordnungspunkt Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit
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