Dietmar NietanSPD - Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der festen Überzeugung, dass der uns von der Bundesregierung vorgelegte Bericht zur weltweiten Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit eine große Chance bietet, weil er es ermöglicht, mit einem anderen Blick sehr differenziert und deutlich Typologien und Wirkungsweisen der Verletzung des Rechts auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit herauszuarbeiten. Deshalb wäre es aus meiner Sicht nicht zielführend, in eine Diskussion über ein Entweder-oder einzusteigen: Muss das jetzt eine Staatenliste werden, oder kann er so bleiben, wie er ist? Sehen wir es so, wie Frau Staatsministerin Böhmer es zu Recht gesagt hat: Er bringt einen Mehrwert, weil er uns neue Aspekte für unseren Kampf für Religions- und Weltanschauungsfreiheit liefert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich sage das an dieser Stelle auch als jemand, der sich als Christ in einer besonderen Weise berührt fühlt, wenn Schwestern und Brüder in der Welt verfolgt werden.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ein Problem bekommen, wenn wir Menschenrechtsverletzungen im Bereich der Religionsfreiheit je nach Glaubensrichtung, die betroffen ist, je nach Anzahl der Betroffenen, je nachdem, welche handelnden Staaten mit welchem politischen System es sind, unterschiedlich intensiv bewerten. Dann laufen wir Gefahr, direkt die Axt an den universellen Charakter der Menschenrechte anzulegen. Deshalb muss für uns gelten: Jeder Mensch, dessen Würde mit Füßen getreten wird, ist uns gleich wichtig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es darf nicht der Eindruck entstehen – das will ich hier niemandem unterstellen –, dass ein Parlament oder eine Regierung sich zum Anwalt einer bestimmten Religion macht. Es darf keinen Zweifel daran geben: Wir alle machen uns vielmehr zum Anwalt jedes einzelnen Menschen, dem ein elementares Grundrecht genommen wird. Ich glaube, wir können den Menschen nur helfen, wenn wir diesen Ansatz konsequent weiterverfolgen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dazu gehört zum Beispiel auch, dass wir bei der Aufnahme von Flüchtlingen keine Opfergruppen bevorzugen oder zumindest den Anschein erwecken, als würden wir eine Opfergruppe bevorzugen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Warum betone ich diese Punkte? Ich will darauf hinweisen, dass wir möglicherweise mit einer starken Zuwendung hin zum Problemkreis der verfolgten Christinnen und Christen, der ohne Zweifel der größte ist, das Gegenteil erreichen, nämlich dass ihre Verfolger unsere Hinwendung als Vorwand nutzen, sie weiter zu stigmatisieren. Denn was heißt „Boko Haram“? Das heißt übersetzt: Westliche Bildung ist Sünde. Wir sollten nicht den Eindruck erwecken, als seien die dort Verfolgten die fünfte Kolonne des Westens, weil wir aus dem Westen sagen: Wir kümmern uns besonders um Christen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es geht aber auch um die Glaubwürdigkeit des Einsatzes für Religionsfreiheit als ein universelles Menschenrecht. Denn gerade diejenigen, die intolerant sind, die Religionsfreiheit mit Füßen treten, berufen sich oft darauf und sagen, dass die Menschenrechte ein Herrschaftsinstrument des Westens seien. So wollen sie die Menschenrechte diskreditieren. Deshalb sollten wir immer wieder deutlich machen, dass wir keine Gruppe bevorzugen, dass es uns wirklich darum geht, ein universelles Menschenrecht überall auf der Welt, auch bei uns, durchzusetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist hier schon öfter angesprochen worden: Wichtig im Kampf für die Menschenrechte ist immer die eigene Glaubwürdigkeit; denn diejenigen, die die Menschenrechte mit Füßen treten, versuchen alles, um unsere Glaubwürdigkeit zu hinterfragen. Deshalb müssen wir in den Debatten, die wir jetzt im eigenen Land erleben, deutlich machen – daran darf kein Zweifel aufkommen –, dass der Garant von Religionsfreiheit, auch bei uns, ein säkularer, weltanschaulich neutraler Staat ist und nicht ein christlicher oder ein muslimisch geprägter Staat. Nur der säkulare Staat, der weltanschaulich neutral ist, kann ein glaubwürdiger Verfechter des Rechtes auf Religionsfreiheit sein.
(Beifall bei der SPD)
Ich betone das auch deshalb, weil es nicht nur um den Kampf für das individuelle Menschenrecht geht, sondern weil wir uns, auch im eigenen Land, in einem Kampf um die offene Gesellschaft befinden. Natürlich müssen wir die Dinge offen ansprechen. Natürlich ist es nicht akzeptabel, wenn es immer noch Moscheen in Deutschland gibt, in denen jeden Freitag der Hass gegen die offene Gesellschaft gepredigt wird. Darüber darf man nicht hinwegsehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir dürfen aber auch in unserer Außenpolitik nicht darüber hinwegsehen, dass es zum Beispiel bei unserem Nachbarn Russland eine unheilige Allianz von Staat und orthodoxer Kirche gibt, die gegenüber Schwulen und Lesben mittlerweile eine Politik an den Tag legt, die pogromhafte Züge hat. Auch das muss gesagt werden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ja, wir brauchen Toleranz, und wir brauchen vor allen Dingen Respekt gegenüber glaubenden Menschen, auch wenn sie einen Glauben vertreten, den wir ganz und gar nicht teilen können. Wir dürfen Toleranz aber nicht mit Relativismus und Gleichgültigkeit verwechseln. Zur Toleranz gehört, dass wir zu Fragen der offenen Gesellschaft, der Demokratie, der Meinungsfreiheit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau einen klaren Standpunkt haben, und diesen klaren Standpunkt müssen wir immer wieder deutlich machen. Es darf nicht sein, dass wir aus Angst, wir würden religiöse Gefühle anderer verletzen, schweigen, wenn zum Beispiel unter dem Vorwand der Religion Frauenrechte mit Füßen getreten werden. Da müssen wir dann auch klar und deutlich sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir müssen uns auch darüber Gedanken machen, wie es in diesem Land insgesamt um die Toleranz gegenüber religiösen Minderheiten steht. Es ist nicht akzeptabel, dass jüdische Mitbürger es sich zweimal überlegen, ob sie eine Kippa in der Öffentlichkeit tragen, weil das dazu führt, dass sie sich nicht sicher fühlen können. Es kann auch nicht sein – auch das will ich an dieser Stelle sagen; denn auch da beginnt Intoleranz gegenüber dem Religiösen –, dass sich zum Beispiel eine junge Studentin, eine Christin, die sich in einer Mensa, also im öffentlichen Raum, vor dem Essen bekreuzigt, von Teilen der Mehrheitsgesellschaft anhören muss, sie sei mittelalterlich und rückschrittlich und so etwas passe nicht. Es darf nicht sein, dass sich Menschen beim Ausüben ihrer Religion in der Öffentlichkeit verletzt fühlen und Teile der Mehrheitsgesellschaft fordern, Religion als Privatsache zu behandeln und sie im öffentlichen Raum nicht mehr zu zeigen. Auch da müssen wir deutlich machen: Religion hat ihren Platz auch im öffentlichen Raum. Wenn das Zeigen von Religion im öffentlichen Raum nicht mehr möglich sein sollte, beginnt die Religionsfeindlichkeit.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Dies ist ein wichtiges Thema. Deshalb bin ich dankbar, dass wir uns in einer, wie ich finde, sehr differenzierten Debatte mit diesem Thema auseinandersetzen. Ich möchte zum Schluss um eines bitten: Wir alle wissen, wie das mit der parteipolitischen Brille ist. Wir sind Politikerinnen und Politiker. Wir alle schauen hin und wieder durch diese parteipolitische Brille. Für die Religionsfreiheit und die offene Gesellschaft tun wir aber am meisten, wenn wir hinsichtlich unserer Empörungsbereitschaft und Kritik nicht selektiv sind.
Herr Kollege.
Es ist kein Widerspruch – im Gegenteil: es gehört zusammen –, wenn wir uns genauso klar, wie wir gegen Hassprediger in Moscheen vorgehen, äußern, wenn eine Partei wie die AfD den Islam als Religion diskriminiert, verallgemeinernd als Gefahr darstellt und damit den Zusammenhalt in unserem Land gefährdet. Beides muss gesagt werden. Wir sollten an dieser Stelle nicht selektiv sein. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir die Verfehlungen der einen verschweigen, während wir bei den Verfehlungen der anderen besonders laut sind. Wenn wir an dieser Stelle Glaubwürdigkeit zeigen, dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das die beste Waffe für eine offene Gesellschaft und mehr Religionsfreiheit.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die Bundesregierung als Parlamentarischer Staatssekretär in einem der beteiligten Ministerien. – Bitte schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006773 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 191 |
Tagesordnungspunkt | Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit |