23.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 191 / Tagesordnungspunkt 9

Detlef MüllerSPD - Erleichterung der Einbürgerung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, natürlich erkennen wir die lobenswerte Zielrichtung Ihres Antrages zur raschen Einbürgerung britischer Staatsbürger. Sie wären nicht die Grünen und wir wären keine Sozialdemokraten, hätten wir im Rahmen der Brexit-Debatte nicht gerade auch das Los der Menschen im Auge, die von der unseligen Brexit-Entscheidung direkt betroffen sind, nämlich derjenigen, die darauf vertraut haben, dass sie sich auf Dauer in Europa frei bewegen und niederlassen können, derjenigen, die darauf vertraut haben, dass sie ihr Leben als Europäerinnen und Europäer planen und leben können. Von jetzt an gerechnet in etwa zwei Jahren hätten wir in diesem Hohen Haus einen Antrag von Ihnen in ähnlicher Form gerne unterstützt. Aber heute, am 23. September 2016, ist Ihr Antrag, mit Verlaub, Theaterdonner und Beschäftigungstherapie.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)

Ihr Antrag ist außerdem handwerklich ungenau. Mit großer Geste schreiben Sie, die Bundesregierung solle darauf hinwirken,

dass in Deutschland lebende britische Staatsangehörige rasch und unkompliziert eingebürgert werden, wenn sie es beantragen; …

und

dass britische Staatsangehörige auch bei einer Aufenthaltsdauer von weniger als sechs Jahren eingebürgert werden, wenn sie die sonstigen Voraussetzungen für die Einbürgerung erfüllen; …

Weiterhin solle die Bundesregierung

im Rahmen ihrer Informationspolitik verstärkt darauf aufmerksam … machen, dass die Einbürgerung britischer Staatsangehöriger unter Beibehaltung der britischen Staatsangehörigkeit erfolgt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, selbst wenn wir diesen Antrag heute hier beschließen würden: Gut gemeint ist halt noch nicht gut gemacht.

(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie es besser!)

Nur hinwirken und informieren würde bei einer so komplexen Materie eben nicht ausreichen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Ihre Rede mit der von Herrn Veit eben abgestimmt? Der Herr Veit hat die besseren Referenten! Peinlich, Herr Müller!)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Grünen, noch hat Großbritannien nicht einmal nach Artikel 50 EU-Vertrag seinen Austritt aus der Europäischen Union angezeigt. Wir stehen aber schon jetzt vor einem Berg von Fragen, die im kommenden Austrittsprozess geregelt werden müssen. Und dabei wissen wir noch nicht einmal, wann dieser mindestens zweijährige Prozess denn je beginnen wird.

Sie wissen genau wie ich, dass erst in einem fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen endgültig gelöst werden kann, wie mit der Staatsangehörigkeit und Einbürgerung britischer Staatsbürger umzugehen ist, die schon bisher in einem anderen EU-Mitgliedstaat lebten.

Sie wissen genau wie ich, dass die SPD natürlich alles dafür tun wird, hier menschliche, europäische Lösungen im besten Sinne zu finden, nämlich den hier lebenden Britinnen und Briten zu ermöglichen, auch weiter mit weitestgehenden Rechten und Pflichten unter uns zu leben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir würden gut daran tun, dieses Problem schon gleich zu Beginn der Verhandlungen auf den Tisch zu legen und möglichst früh zu lösen, und zwar im Sinne eines fairen Deals. Wenn unsere Bürger in Großbritannien bleiben können, dürfen Britinnen und Briten auch bei uns bleiben.

Und Sie wissen genau wie ich, dass wir vor extrem komplizierten Verhandlungen stehen, in denen es darum gehen wird, Großbritannien möglichst eng an die EU und den Binnenmarkt zu binden, aber Großbritannien gleichzeitig auch Pflichten aufzuerlegen.

Man hat den Eindruck, dass manche britischen Regierungsvertreter bzw. Austrittsbefürworter momentan mit großen Kinderaugen erkennen, wie unendlich kompliziert dieser Austrittsprozess werden wird, und wie schwierig es werden wird, die hochtrabenden Versprechen aus dem Referendumswahlkampf zu erfüllen, auch wenn das Boris Johnson, blond und blauäugig, anders sieht. Theresa May hat bisher nicht erkennen lassen, dass die britische Regierung überhaupt schon eine grundsätzliche Strategie für die Austrittsverhandlungen gefunden hat. Allerdings werden wir uns an dieser neuen „Eisernen Lady“ möglicherweise noch die Zähne ausbeißen.

Es ist gut und richtig, dass Deutschland und die EU sich jetzt noch nicht auf Vorverhandlungen einlassen wollen. Die EU wird das Vereinigte Königreich kommen lassen; denn Großbritannien muss sich darüber klar werden, wie sein Verhältnis zur EU und zum Binnenmarkt sein soll. Großbritannien muss sich darüber klar werden, welchen Preis es bereit ist zu zahlen, dass es sich aus dem Geltungsbereich der Grundfreiheiten zurückzieht. Die Personenfreizügigkeit als eine der vier Grundfreiheiten bildet eine der Säulen des Binnenmarktes der Europäischen Union. Nimmt man diese Säule weg, bricht das Gebäude Europäische Union, wie wir es kennen, zusammen.

Tun Sie uns also bitte den Gefallen und verschleudern Sie nicht Ihre parlamentarische Energie in Anträge, von denen Sie wissen, dass sie das Problem nicht lösen. Verschleudern Sie nicht Ihre Argumente, die Sie und wir noch dringend brauchen werden. Sparen Sie sich Ihre Energie für die schwierigen Verhandlungen und Debatten, die noch kommen werden. Wir wollen kein kaltes Europa mit neuen Grenzen. Wir wollen kein Europa, das sich nur über die Zollfreiheit definiert.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen kein Europa aus eifersüchtigen Einzelstaaten, die sich nur deswegen regelmäßig an einen Tisch setzen, um über Handelsquoten und Fördermittel zu feilschen.

Stichwort „Eifersucht“: Ja, der Brexit ist schon so etwas wie eine Ehescheidung. Wir sind enttäuscht, fühlen uns unverstanden, hintergangen. Wir wissen, dass wir uns scheiden lassen werden, dass wir uns scheiden lassen müssen. Aber der Scheidungsantrag ist noch nicht gestellt. Trotzdem darf es nicht zu einem Rosenkrieg kommen. Wir sollten also alles vermeiden, was den Scheidungsprozess beeinflussen, erschweren oder sogar vergiften könnte.

Es waren 43 gute Ehejahre – mit Höhen und Tiefen und nicht ohne Konflikte; aber so ist das eben in einer Ehe. Und nun geht sie zu Ende, der Partner will sich trennen. Aber wir haben noch immer Respekt vor dem Partner, und, ja, wir schauen auch noch etwas wehmütig auf die gemeinsamen Jahre zurück. Deswegen sollten wir uns so trennen, dass wir uns danach trotzdem noch in die Augen schauen und sagen können: Ach komm, lass uns Freunde bleiben!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin – sorry –, als nächster Redner hat Özcan Mutlu von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

(Heiterkeit – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der größte Macho unserer Fraktion wird hier als Rednerin angekündigt!)

Das wird er verkraften, wie ich ihn kenne.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7006803
Wahlperiode 18
Sitzung 191
Tagesordnungspunkt Erleichterung der Einbürgerung
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