Özcan MutluDIE GRÜNEN - Erleichterung der Einbürgerung
Das werden wir noch bereden müssen. Ich habe jetzt Gesprächsbedarf mit meiner Fraktionsvorsitzenden.
Nein, Sie haben einen Freibrief, mich einmal mit „Herr“ anzureden.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 2000 haben wir unter Rot-Grün Schluss gemacht mit dem wilhelminischen Staatsangehörigkeitsrecht, das auf dem Blutsrecht aufgebaut war. Die damaligen rot-grünen Reformvorschläge zur Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts waren überfällig. Leider wurden damals aber unsere Reformvorschläge durch die Koch’sche „Ausländer raus!“-Unterschriftenkampagne und die schwarz-gelbe Bundesratsmehrheit in weiten Teilen verhindert. Seither haben wir auch die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft. Sie haben das im Jahr 2000 verhindert. Aber das ist heute für uns immer noch wichtig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Heute, 16 Jahre danach, sehen wir alle, dass weiterhin großer Reformbedarf besteht. Daran hat auch die Mogelpackung der Großen Koalition aus dem Jahr 2014 nichts geändert, als Sie die leidige Optionspflicht leicht liberalisiert haben. Nach wie vor ist die doppelte Staatsbürgerschaft nur in Ausnahmefällen möglich. Deshalb verstehe ich auch die ganze Hysterie nicht, die Sie von der CDU/CSU in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft in diesem Sommer verbreitet haben. Ich verstehe nicht, wie die CDU/CSU etwas abschaffen will, was de jure gar nicht existiert. Wir haben keine doppelte Staatsbürgerschaft in diesem Land. Es gibt nur Ausnahmefälle. Das sollten Sie als Abgeordnete dieses Hohen Hauses, als Gesetzgeber, bestens wissen. Ich sage Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU: Hören Sie auf, Angst zu schüren! Hören Sie auf, das Klima des Zusammenlebens in diesem Land zu vergiften!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Mit dieser Kampagne, die Sie in diesem Sommer gefahren haben, fördern Sie nämlich nur eines: die Desintegration. Mit dieser Kampagne und Ihrem Kampf gegen die doppelte Staatsbürgerschaft verhindern Sie auch, dass Deutschland Heimat wird für Millionen von Migrantinnen und Migranten. Sie reden auch in diesem Zusammenhang ständig von den Türkinnen und Türken oder der Türkei und zeichnen ein Schreckensszenario nach dem anderen an die Wand. Sie schwadronieren von Loyalität und Loyalitätskonflikten und stellen Hunderttausende Menschen, die aus der Türkei stammen, die unserem Land gegenüber loyal sind und das Grundgesetz anerkennen, unter Generalverdacht. Im Übrigen: Ich stamme auch aus der Türkei und diene dem deutschen Volk und allen Menschen, die in diesem Land leben. Sie sollten das endlich mal akzeptieren
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
und damit aufhören, diese Menschen zu denunzieren und unter Generalverdacht zu stellen.
(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Wer spricht denn hier von „Generalverdacht“? Quatsch!)
Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, erreichen mit diesen Kampagnen genau das, was Sie eigentlich verhindern wollen. Sie lassen nicht zu, dass diese Menschen in unserem Land ankommen. Sie treiben damit viele Türkinnen und Türken in die Hände von Erdogan, weil Sie nicht zulassen, dass diese Menschen sich endlich mit unserem Land identifizieren können. Das ist schädlich, und das ist schäbig, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)
Ich schaue insbesondere in die Reihen der CDU/CSU und sage nochmals: Es geht hier um staatsbürgerschaftliche Rechte.
(Marian Wendt [CDU/CSU]: Genau!)
Es geht zum Beispiel um das elementare Bürgerrecht des Wahlrechts. Hier in Berlin waren vor fünf Tagen Wahlen. Mein Vater, der seit 50 Jahren in diesem Land lebt, durfte nicht einmal mitentscheiden, wer im Bezirk Mitte, wer im Bezirk Kreuzberg den Bürgermeister oder die Bürgermeisterin stellt. Im Übrigen sind es demnächst in beiden Fällen Grüne. Darauf sind wir stolz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marian Wendt [CDU/CSU]: Er hätte doch Deutscher werden können, wenn er seit 50 Jahren hier ist!)
Sie haben mit Ihren Restriktionen verhindert, dass mein Vater, der eine besondere Identifikation auch mit der Türkei hat, obwohl sein Sohn die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und MdB ist, die deutsche Staatsbürgerschaft kriegen kann.
(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das hat er verhindert!)
– Sie haben verhindert, dass er Deutscher werden kann,
(Marian Wendt [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)
weil Sie fordern, dass er die türkische Staatsbürgerschaft aufgibt.
(Marian Wendt [CDU/CSU]: Ja, das ist halt so!)
Er will sie nicht aufgeben. Akzeptieren Sie, dass für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe die doppelte Staatsbürgerschaft ein Angebot ist, und lassen Sie uns gemeinsam dieses Angebot machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])
Mein Appell an Sie: Hören Sie mit den Scheindebatten auf! Hören Sie auf, mit populistischen Forderungen der AfD nachzueifern! Lassen Sie uns stattdessen ein modernes Staatsbürgerschaftsrecht für unser Land etablieren, damit sich jeder hier zu Hause fühlen kann und damit jeder in unserem Land, der schon eine bestimmte Zahl an Jahren in unserem Land lebt, endlich staatsbürgerschaftliche Rechte bekommt! Um nicht mehr und nicht weniger geht es hierbei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Als nächster Redner hat Marian Wendt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Jetzt mal das Beispiel mit den zwei Frauen, bitte!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7006810 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 191 |
Tagesordnungspunkt | Erleichterung der Einbürgerung |