Carsten LinnemannCDU/CSU - Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Rosemann, vielleicht darf ich das sagen: Auch wir sind ein bisschen stolz, dass wir gemeinsam als Koalition jetzt die Flexirente auf den Weg bringen. Wir haben das in toller Zusammenarbeit gemacht. Wir haben gezeigt, dass das geht. Ich glaube, auch so weit gehen zu wollen, dass ich sage, dass die Flexirente – dies geschieht natürlich nicht von heute auf morgen – einen Mentalitätswechsel einleitet. Wir wollen die Menschen in die Lage versetzen, a) länger arbeiten zu können – Stichwort „Prävention“ – und b) länger arbeiten zu wollen. Wir wollen also, dass Arbeit auch im Alter attraktiv ist und längeres Arbeiten belohnt wird. Das ist gut so. Diesen Weg wollen wir jetzt gehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich meine, man muss sich einmal die Frage stellen, wo wir herkommen. Wir kommen aus einer Zeit, in der die Rentenversicherung – bis vor kurzem war es noch so – an 55-Jährige Briefe verschickt und sie faktisch aufgefordert hat, einen Rentenantrag, einen Antrag auf Alterssicherung zu stellen. Die Alternative, dass man auch länger arbeiten kann, hat man nicht beschrieben. Schlimmer noch: Man hat so getan, als ob es zu der Möglichkeit, in Rente zu gehen, gar keine Alternative gäbe. Das zeigt, glaube ich, dass diese Denke, diese Geisteshaltung, die wir in Deutschland über Jahrzehnte gelebt haben, falsch ist.
Wir tun so, als ob diejenigen, die 65 sind, zum alten Eisen gehören, sodass derjenige, der jetzt in Rente geht, eine Vollbremsung von 100 auf null hinlegen muss. Das stimmt nicht. Deshalb brauchen wir einen Mentalitätswechsel in die Richtung, die beispielsweise in Japan zu beobachten ist. Ich habe mir vor vier, fünf Jahren im Rahmen einer Reise der Konrad-Adenauer-Stiftung die demografische Situation in Japan angesehen. Das war interessant. In Deutschland haben wir ja ein Klima, dass wir denken, derjenige, der länger arbeitet, tut dies nur deshalb, weil er das Geld benötigt.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das sind sehr, sehr viele Fälle!)
In Japan war es aber so, dass viele Menschen – die übrigens bis knapp 70 arbeiten, nicht nur in Vollzeit, sondern auch in Teilzeit – sagen: Es geht mir gar nicht um den finanziellen Aspekt, sondern um die Teilhabe und den Kontakt zu den Kollegen; ich möchte weiter im Leben stehen. – Ich weiß noch, wie einer zu mir gesagt hat: Arbeit hält fit und ist gesund.
Als ich nach Deutschland zurückgekommen bin, ist mir eine Studie in die Hand gefallen, keine vom ifo-Institut oder vom Institut der deutschen Wirtschaft, sondern eine der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Die Hans-Böckler-Stiftung hat eine Umfrage durchgeführt und alle über 65-Jährigen in Deutschland, die noch arbeiten – entweder in einem Minijob oder im welchem Rahmen auch immer –, gefragt: Warum arbeitet ihr länger? Auf Platz eins der Antworten stand: Spaß an der Arbeit. Auf Platz zwei stand: Wunsch nach einer Aufgabe. Auf Platz drei stand: Kontakt zu Menschen. Erst auf Platz vier stand der finanzielle Aspekt. Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass viele Menschen länger arbeiten müssen, um finanziell über die Runden zu kommen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Weit über die Hälfte!)
Aber der Großteil – das zeigt doch diese Studie – möchte nicht zum alten Eisen gehören, möchte weiter im Leben stehen. Wenn es geht, möchte man gerne weiterarbeiten, wenn nicht in Vollzeit, dann in Teilzeit. Ich glaube, diese Menschen müssen wir unterstützen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist richtig – deswegen kann man von einem Mentalitätswechsel sprechen –, dass die Briefe der Rentenversicherung jetzt geändert werden. Dort steht jetzt beispielsweise drin – ein Redner vor mir hat das angesprochen –, dass man dann, wenn man länger arbeitet und die Rente nicht bezieht, im Monat Zuschläge von 0,5 Prozent bekommt – das sind 6 Prozent im Jahr – plus die eingezahlten Beiträge; das entspricht 8,5 Prozent.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, aber das reicht doch! Da braucht ihr doch nicht noch mehr zu machen! Das ist doch okay, aber das reicht!)
– Das steht jetzt drin, Herr Birkwald.
Es ist aber so, dass die meisten Menschen im Rentenalter aus verständlichen Gründen erst einmal die Rente beziehen und dann zusätzlich arbeiten wollen. Das wollen wir mit der Flexirente attraktiver machen. Heute zahlt der Arbeitgeber Rentenversicherungsbeiträge, diese kommen in einen großen Topf, und dann sind sie weg. In Zukunft ist es so, dass diese Beiträge aktiviert werden, wenn auch der Rentner einzahlt. Das heißt, er bekommt dann jedes Jahr – ich glaube, zum 1. Juli – eine zusätzliche Rentenerhöhung. Das ist auch richtig, weil er ja auch zusätzlich dafür arbeitet. Die Arbeitslosenversicherungsbeiträge der Rentner fallen weg; warum ein Rentner Arbeitslosenversicherungsbeiträge zahlen muss, habe ich übrigens bis heute nicht verstanden, weil ein Rentner nicht mehr arbeitslos werden kann. Das ist, glaube ich, der richtige Weg. Das heißt für mich: Alter neu denken. Das ist die Flexirente: Alter neu denken. Das geht nicht von heute auf morgen. Sie ist aber ein wichtiger Schritt. Ich glaube, das müssen wir jetzt leben.
Ja, zur Ehrlichkeit gehört auch, zu sagen, dass hiermit nicht diejenigen angesprochen werden, die mit 55 unverschuldet in die Arbeitslosigkeit rutschen. Wir sprechen hiermit die Menschen an – das hat Frau Mast richtig zum Ausdruck gebracht –, die erst einmal in die Lage versetzt werden müssen, länger zu arbeiten, und diejenigen, die auch im Rentenalter länger arbeiten wollen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die brauchen keine neuen Anreize!)
Was diejenigen betrifft, die mit 55 arbeitslos werden, ist es richtig, den Appell an die Wirtschaft loszuwerden, den Mut zu haben, diese Menschen einzustellen, statt von einem flächendeckenden Fachkräftemangel zu reden.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da braucht man keinen Appell, da braucht man Gesetze!)
Das hat mit der Flexirente aber überhaupt nichts zu tun. Hiermit wollen wir den Ansatz verfolgen, dass wir das Arbeiten im Alter für diejenigen, die es können und wollen, attraktiver machen. Dass es einen Zusammenhang zwischen der Lebenszeit und der Lebensarbeitszeit gibt, ist, glaube ich, offenkundig.
Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Diese Rentendebatte zeigt seit langem zum ersten Mal, dass Rentenpolitik kein Kampf zwischen den Generationen ist. Ich weiß nicht, wer immer davon spricht. Die Rentner, die wir treffen, haben natürlich Verständnis dafür, dass wir die nächsten Generationen nie über Gebühr belasten können.
Dieser Gesetzentwurf zur Flexirente ist ein Beispiel dafür, dass es geht. Dieser Gesetzentwurf denkt nämlich an beide, sowohl an die Jüngeren, die ihre Beiträge leisten, als auch an die Älteren.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Auch die Älteren leisten ihre Beiträge! 50-Jährige, 55-Jährige!)
Durch diesen Gesetzentwurf werden keine Schulden zulasten der zukünftigen Generationen in die Zukunft verlagert, sondern es ist ein ehrlicher Gesetzentwurf und ein Schritt in die richtige Richtung.
Diesen sollten wir jetzt gehen, und jetzt freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7009851 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Flexibilisierung des Übergangs in den Ruhestand |