Mahmut ÖzdemirSPD - Digitale Verwaltung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Informationstechnische Systeme haben das Verhältnis von Staat, Bürgerschaft und Wirtschaft grundlegend verändert. Daten sind die neue Währung in der digitalisierten Welt. Auch unsere Rechtsordnung ist davon nicht unberührt geblieben; denn wir haben auf die Lebenswirklichkeit der Menschen reagiert oder besser: reagieren müssen.
Bund und Länder haben mit Artikel 91c Grundgesetz eine notwendige Grundlage für die Zusammenarbeit geschaffen, die in den Vertrag zur Errichtung des IT-Planungsrates mündete. Zwischen den schriftlichen und den mündlichen Erlass eines Verwaltungsaktes in § 37 Absatz 2 Verwaltungsverfahrensgesetz ist der elektronische getreten. Die elektronische Aktenführung und Dokumentenübermittlung hat in §§ 55a und 55b Verwaltungsgerichtsordnung Einzug erhalten; eine zugegeben sehr zaghafte Entwicklung.
Ein Attest für die gesetzgeberische Zaghaftigkeit war, dass sich das Bundesverfassungsgericht 2008 genötigt sah, ein Grundrecht neu zu entwickeln: das Grundrecht auf „Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“. Acht Jahre später überschreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 17. August 2016 einen prominent platzierten, ganzseitigen Artikel immer noch: „Wir brauchen ein Digitalgesetz“.
Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unserem Antrag die Strategie der Bundesregierung unterstützen. Die Wirtschaft hat es erkannt, den Komfort durch elektronische Dienste gewinnbringend einzusetzen. Nutzerdaten, elektronische Zahlungsmethoden und in Algorithmen verschwindende Suchbegriffe werden zu einer Dienstleistung verschmolzen, die das Leben vereinfacht. Diese Lebenswirklichkeit der Menschen müssen wir als Staat aufnehmen. Staatliche Dienstleistungen müssen komfortabel, sicher und zeitgemäß werden.
Die Sondernutzungsgenehmigung für Vereine, das An- und Abmelden eines Kraftfahrzeugs, die Beantragung eines Personalausweises oder die Erstellung einer Steuererklärung sind nur einige wenige Verwaltungsvorgänge, die durch elektronische Datenverarbeitung erheblich beschleunigt werden und sowohl für die Verwaltung als auch für die Bürgerinnen und Bürger eine Vereinfachung darstellen – können. Ich betone bewusst „können“, weil der Postweg und das persönliche Erscheinen nach wie vor die Regel sind. Dies liegt auch, aber nicht nur am mangelnden Vertrauen in diesen Kommunikationskanal.
Ein sicherer Zugang auf beiden Seiten, um persönliche Verwaltungsgänge auch digital erledigen zu können, setzt eine sichere Authentifizierung voraus. Der neue Personalausweis mit der eID stellt in der Anonymität des Netzes endlich eine staatliche Schnittstelle dar. Das wiederum bedeutet ein Mehr an Sicherheit. Zentralisiert wird diese in einem Bürgerkonto, das als Plattform für die sichere Übermittlung von Anträgen dient und dem Staat die Möglichkeit gibt, demnächst Entscheidungen zügig und kostensparend zuzustellen.
Rund 13 Milliarden Euro geben wir bundesweit für die Informationstechnik aus. Die Bündelung der häufigsten Verwaltungsprozesse könnte diese Kosten um ein Drittel senken, wenn wir einmalig eine Investition von knapp 1,7 Milliarden Euro vornähmen. Die Interoperabilität von IT-Systemen ist hierfür unerlässlich, um den Datenaustausch zwischen den Behörden zu vereinfachen, die gemeinsam an einer Verwaltungsentscheidung arbeiten. Aber auch der gesetzlich vorgesehene Datenaustausch und die Amtshilfe unter den Behörden müssen hierbei im Blick behalten werden. Die per Hand vorgenommene Datenübertragung von einem System in das andere ist schlicht nicht zeitgemäß. Insbesondere im Bereich der Sicherheitsbehörden können IT-Systeme für eine Zeitersparnis sorgen, die lebenswichtig ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind richtige Binsenweisheiten!)
Der richtige Weg ist hier eine gemeinsame Beschaffungsstrategie für die elektronischen Datenverarbeitungssysteme der am häufigsten in Anspruch genommenen Verwaltungsdienstleistungen. Den digitalen Flickenteppich gilt es in einem strategisch vernünftigen, gemeinsamen Vergaberecht zu bündeln, ohne dabei den Schutzbereich von Bund, Ländern und Kommunen zu verletzen.
Die Kommunen sind die erste Anlaufstelle bei der Inanspruchnahme von Verwaltungsdienstleistungen. Daher befürchten die kommunalen Spitzenverbände zu Recht, dass eine unverhältnismäßige Kostenbelastung durch das E-Government entsteht. Ohne eine ständige, kostenintensive Fortbildung bei der Nutzung von IT-Systemen können wir dem öffentlichen Dienst eine solche Digitalwende nicht abverlangen. Die Garantie der Barrierefreiheit wiederum darf nicht unter dem Kostenaspekt bewertet, sondern muss als gesetzlicher Auftrag der Umsetzung von Teilhabe betrachtet werden.
Die Kommunen sind bei all diesen Reformgedanken die Instanz mit der notwendigerweise höchsten Anzahl an Schnittstellen, wenn es um die Potenziale der digitalen Verwaltung geht. Die kommunalen Spitzenverbände stärken wir daher bewusst mit einem mitentscheidenden Mandat. Die Organisations- und Beschaffungshoheit der einzelnen staatlichen Ebenen muss sich einem kollektiven Bewusstsein für Kostenersparnis und Verwaltungseffizienz unterordnen. Es geht nicht um zentralisierte Lösungen, sondern um eine verbindliche Vereinbarung des Einsatzes von Modulen, die miteinander an den gesetzlich zulässigen und entscheidenden Stellen im Datenaustausch gekoppelt werden können. Die Abhängigkeit von Hardware- und Softwaremonopolen zu durchbrechen, ist hierbei mindestens ein gleichrangiges Motiv, da die IT-Sicherheit für die Verwaltung entscheidend davon abhängig ist, dass die höchst sensiblen Daten der Bürgerinnen und Bürger nicht durch Backdoors abfließen können.
Egoismen und Eitelkeiten können wir überwinden, wenn wir die Macht eines koordinierenden Vergaberechts endlich ausüben. Nur so kann der Staat neue Maßstäbe in der digitalen Welt setzen sowie den Datenschutz und das Bewusstsein für den Datenschutz in den Mittelpunkt stellen. Es wird Zeit, dass die Verwaltung mit ihrer Präsenz im Netz den Grundrechtsinhaber von einer vielleicht selbst gewählten Unmündigkeit wieder zum Souverän seiner eigenen digitalen Identität macht.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Ein herzliches Glückauf!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Dieter Janecek für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7010063 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Digitale Verwaltung |