Thomas StritzlCDU/CSU - Paritätische Beteiligung an Krankenkassenbeiträgen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe meinem geschätzten Vorsitzenden aus dem Gesundheitsausschuss, Herrn Professor Dr. Franke, ausgesprochen gerne zugehört. Denn ich finde, er verfügt über ein gerüttelt Maß an Ehrlichkeit, wenn er sagt: Die erste Spreizung des Beitragssatzes für die gesetzliche Krankenversicherung haben Sozialdemokraten und Grüne im Jahr 2005 gemeinsam auf den Weg gebracht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die erste Große Koalition! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Da war sogar der Seehofer beteiligt! – Weitere Zurufe)
– Ja, ist doch schön. Das ist doch so.
Jetzt geht es aber ab hier.
Ja, genau. – Manchmal machen auch Leute, die Sie gar nicht mögen, etwas Richtiges. Ich wollte doch nur dem Eindruck entgegenwirken und dafür sorgen, dass sich hier geschichtlich nicht falsch festsetzt, dass es die Sozialdemokraten nicht gewesen sein können, die die Beitragsspreizung eingeführt haben, und dass die Grünen damals nicht zugestimmt haben können, als die Beitragsspreizung kam.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein stiller Kompromiss zwischen Schröder und Merkel!)
Ich möchte nur, dass wir die gleichen Erinnerungen haben.
Wissen Sie, was Kollegin Bender damals in der Debatte gesagt hat? Ich zitiere auszugsweise mit Genehmigung der Präsidentin:
Die einen erheben normalerweise einkommensabhängige Beiträge – das hätten wir in diesem Fall geändert –, die anderen erheben sowieso risikoadäquate Beiträge. Ein weiterer Nachteil war ..., dass wir den Wettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenkassen in diesem Bereich stillgelegt haben;
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)
denn bei einem einheitlichen Betrag ... hat keine Krankenkasse mehr wirklich Interesse daran, durch gute Beratung der Versicherten für wirtschaftliche Leistungserbringung zu sorgen. Das ist jetzt wieder anders.
Das sagte Frau Bender, Ihre Kollegin.
Wenn Sie über diese Fragen nachdenken, müssen Sie doch auch an die Interessen der Versicherten denken. Wenn es im Interesse der Versicherten ist, eine besonders wirtschaftliche und gute Leistungserbringung zu erhalten, dann hat die Beitragsspreizung doch vielleicht ihren Sinn, Herr Professor. Oder stimmt das nicht?
Jetzt frage ich Sie – jetzt springe ich rein –: Erlauben Sie vom Professor eine Zwischenfrage oder eine Bemerkung?
Jederzeit.
Gut. – Dann Herr Professor Dr. Edgar Franke.
Wenn mir das nicht auf die Redezeit angerechnet wird.
Ich habe die Uhr natürlich angehalten. Das wird Ihnen nicht zugerechnet.
Sehr gut.
Herr Stritzl, sind Sie mit mir einer Meinung, dass 2003 eine ganz andere wirtschaftliche Lage war? Wir waren der kranke Mann in Europa.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Und wir wollen es nicht mehr werden!)
Wir hatten 5 Millionen Arbeitslose. Momentan haben wir Rekordbeschäftigungszahlen. Wir haben eine herausragende wirtschaftliche Lage. Den Unternehmern geht es so gut wie nie zuvor. Insofern kann man die beiden ökonomischen Rahmenbedingungen und die Beschäftigungszahlen nicht miteinander vergleichen. Sind Sie da mit mir einer Meinung, hochverehrter Herr Stritzl?
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Franke, ich bin mit Ihnen erstens einer Meinung, dass 2003, zu Zeiten rot-grüner Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder, Deutschland in der Tat wirtschaftlich dem kranken Mann am Bosporus glich. Punkt eins.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Punkt zwei. Ich hatte es für mutig gehalten, dass der damalige Kanzler das eigene Fehlverhalten eingeräumt hat und gesagt hat: Dagegen muss ich etwas tun.
Ich stimme mit Ihnen drittens überein, dass die Betrachtung der Lohnnebenkosten für die Frage der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Arbeitsplätze von hoher Bedeutung ist.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)
Es ist nicht der einzige Faktor dabei, aber es ist von hoher Bedeutung. Dieses Grundprinzip der Volkswirtschaftslehre – auch ich habe dies ein wenig studiert – setzt sich aber nicht nur fort, wenn Arbeitsplätze fehlen, sondern es setzt sich auch dann fort, wenn es darum geht, die Wettbewerbsfähigkeit von Arbeitsplätzen darüber hinaus zu erhalten und zu sichern. Genau in der Situation sind wir heute: Im Rahmen der Globalisierung müssen wir deutsche Arbeitskräfte, Produktionsstätten in Deutschland gegen ausländische Billigkonkurrenz verteidigen.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
Deswegen ist es heute genauso richtig wie damals, die Lohnnebenkosten zu senken. Ich sehe mich mit Ihnen einig, dass die Lohnnebenkosten ein entscheidender Faktor sind. Deswegen ist die Beitragsspreizung – darum geht es heute – genau richtig.
(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
– Frau Klein-Schmeink möchte eine Zwischenfrage stellen.
Wollen Sie sie beantworten?
Natürlich. Das ist doch klar.
Aber dann reicht es.
Aber ich bin gerne in Ihrer Nähe.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Herr Stritzl, Sie haben jetzt sehr deutlich auf die Lohnnebenkosten abgehoben. Das war ja Anfang der 2000er-Jahre sehr modern. Das war sozusagen das Allheilmittel gegen den Globalisierungsdruck.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Es hat doch gewirkt!)
In Nachhinein sieht man, dass das ganz viele andere Nebenwirkungen produziert hat, mit denen wir heute angesichts der Finanzmarktkrise immer noch kämpfen müssen.
Zu der Sache mit den Lohnnebenkosten. Bei einem Handwerkerlohn von insgesamt 48 Euro die Stunde – die Handwerkskammer Bayern hat das ja deutlich gemacht und vorgerechnet – inklusive sämtlicher Sozialversicherungslasten, Urlaubsgeld und allem Drum und Dran kommen wir auf einen Betrag von 4,58 Euro. In Bezug auf den Zusatzbeitrag und die Anpassung sprechen wir über 0,42 Prozent des Handwerkerlohnes. Das kann doch nicht der Faktor sein, der uns vor der Globalisierung und vor dem globalen Markt rettet. Also geht es doch um etwas anderes.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Sie müssen sich einmal fragen – das wäre auch meine Frage an Sie –: Wie wichtig müssen wir denn die soziale Partnerschaft nehmen, und wie wichtig müssen wir den sozialen Zusammenhalt nehmen? Sind es nicht letztendlich stabile ökonomische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die eine Produktion auf hohem Niveau möglich machen? Wäre nicht das eigentlich der richtige Weg?
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr geehrte Frau Kollegin, bitte sehen Sie mir nach, dass ich Ihre Rechnung so im Schnellverfahren nicht nachvollziehen kann.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann Ihnen die Quelle geben!)
Aber ich will einmal generalisierend sagen – ich hatte schon in meiner Antwort auf die Frage zuvor versucht, das deutlich zu machen –: Die Spreizung bzw. Teilspreizung des Krankenkassenbeitrags ist nicht das Allheilmittel. Sie ist ein Teilaspekt.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Genau!)
In der Gegend, aus der ich komme – ich komme aus Schleswig-Holstein, vom Land –, sagt man: Auch Kleinvieh macht Mist.
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!)
Genau das ist der Punkt. Sie müssen nämlich die Addition der verschiedenen Punkte sehen, wenn Sie über die Lohnnebenkosten reden. Vorhin haben wir ja Herrn Weinberg, unseren Geschichtsmann, gehört; die Stichworte waren „reaktionär“ und „konservativ“. Die Frage ist: Welche weiteren Lasten werden im System eigentlich wie verteilt? Da tun wir so, als ob die Parität das Einzige ist, um das es geht, wenn wir über sozialen Ausgleich in der Wirtschaft reden.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie konnten die Rechnung also nicht nachvollziehen! Alles klar, dann kann ich mich ja wieder setzen!)
Es geht aber nicht allein um die Parität. Die Disparität, Frau Kollegin, steht doch in vielen Bereichen eher Pate als die Parität.
Ein Beispiel sind die Minijobber; denn den Versicherungsbeitrag zahlen die Arbeitgeber ganz alleine. Die gesetzliche Unfallversicherung kommt den Versicherten, den Arbeitnehmern, zugute; aber die Beiträge zahlen die Arbeitgeber alleine. Ein anderes Beispiel ist die Lohnfortzahlung. Wie auch immer Sie die Lohnfortzahlung zeitlich verankern und ob mit Schmerzen oder ohne: Die ersten sechs Wochen zahlen die Arbeitgeber alleine. Hier reden wir in Deutschland über einen Betrag von über 50 Milliarden Euro. Da können Sie doch nicht sagen: Das bringt alles nichts, und das ist alles nichts. – Das ist eine große Leistung auch der Arbeitgeber in diesem Land.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Zuzahlungen zahlen aber die Beschäftigten, die Arbeitnehmer und die Kranken!)
Letztlich, Frau Kollegin, haben Sie völlig recht: Ein gutes soziales Klima in einem Land ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Das hat Deutschland stark gemacht. Deswegen achten wir doch alle darauf, dass dieses gute Klima erhalten bleibt, und ringen um die besten Lösungen. Insofern, sage ich, kann man über einen Krankenkassenbeitragssatz von 14,6 Prozent, der paritätisch finanziert ist – das sind fast 200 Milliarden Euro im Jahr –, nicht sagen: „Das ist nichts“, nur weil die letzten 0,83 Prozentpunkte nicht paritätisch finanziert werden.
Wir müssen immer auch ein Stück weit die Relationen im Blick haben. Das haben Sie vor ein paar Jahren auch selber so gesehen; das ist Ihnen ja nicht neu. Wenn Sie sagen: „Es geht um den Wettbewerb; wir wollen, dass die Situation der Versicherten bzw. der Kranken möglichst gut ist, dass es aber kostengünstig ist“, dann ist das ein gutes Instrument. Wir wissen, dass wir in einer alternden Gesellschaft gezwungen sind, die gute Versorgung, die wir vorhalten wollen, nicht ausschließlich über Arbeit zu finanzieren, sondern dass wir Arbeit und Gesundheitskosten ein Stück weit entkoppeln müssen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann macht eine Bürgerversicherung!)
– Ja, genau. – Wir müssen in diesem Bereich darauf achten, dass wir Anreizsysteme schaffen, die zu Verbesserungen führen, um tatsächlich einen Fortschritt zu erzielen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht zulasten nur der Versicherten! Das ist doch der Punkt!)
Insofern, glaube ich, ist das, was damals, 2005, beschlossen wurde, und zwar von Ihnen zusammen mit Gerhard Schröder, richtig. Damals hat Ulla Schmidt gesagt:
Heute treffen wir eine Entscheidung, die, im Interesse der Versicherten, sozialverträglich und unbürokratisch ist. Es wäre gut, wenn Sie dabei mitmachten.
Dies zeigte, dass auch Sie in schwierigen Zeiten Verantwortung übernehmen.
Mein Appell an Sie: Glauben Sie Ihrer damaligen Gesundheitsministerin, sehr geehrter Herr Professor – Sie waren damals schon im Parlament, ich nicht –, und stellen Sie sich dieser Verantwortung. Versuchen Sie nicht, ihr auszuweichen. Das ist in der einen oder anderen Diskussion vielleicht geschmeidiger; das will ich gar nicht bestreiten. Jemandem zu sagen: „Du kriegst von mir 1 Euro mehr“, ist immer sympathischer, als zu sagen: „Du kriegst von mir 1 Euro weniger“. – Das ist schon logisch.
Unsere Verantwortung bezieht sich aber auf die Gesamtsituation und das Gesamtinteresse. Wir sind gegenüber der Allgemeinheit verantwortlich,
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja wenn das mal so wäre!)
und deswegen müssen wir immer wieder alle Anstrengungen dafür unternehmen, auch wenn es mal unbequem ist. Wir müssen das Kreuz durchdrücken und sagen: Wir waren, wir sind und wir bleiben bei der Überzeugung, dass ein Stück Wettbewerb im System der gesetzlichen Krankenkassen dem Versicherten nützt, und dem sind wir verpflichtet und wollen wir auch in Zukunft verpflichtet sein.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Vielen Dank, Thomas Stritzl. – Jetzt hat Sabine Dittmar das Wort für die SPD.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7010159 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 193 |
Tagesordnungspunkt | Paritätische Beteiligung an Krankenkassenbeiträgen |