30.09.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 194 / Tagesordnungspunkt 23+ZP4

Martina Stamm-FibichSPD - Antibiotikaminimierung in der Medizin

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Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Zuhörer! „ Das Problem ist so ernst, dass es die Errungenschaften der modernen Medizin bedroht.“ – So heißt es im Bericht der WHO vom Sommer 2014. Die Gefahr ist real, und sie ist groß.

Tagtäglich sterben auch in deutschen Krankenhäusern Menschen an den Folgen einer Infektion mit multiresistenten Bakterien. Meist sind es ältere, multimorbide Patienten, deren Immunsystem bereits stark geschwächt war. Doch es ist denkbar, dass in Kürze auch jüngere Menschen an multiresistenten Erregern sterben. Wir müssen sämtliche Anstrengungen bündeln, um ein solches Szenario zu verhindern.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Es ist nicht weniger schlimm, wenn die Menschen alt sind!)

Wie kaum ein anderes Problem ist das Problem der Antibiotikaresistenzen zum Teil hausgemacht; denn über Jahrzehnte hinweg hat die Gesellschaft Antibiotika im Glauben an deren unerschöpfliche Allmacht nicht rational eingesetzt. Die meisten Patienten holen sich ein Rezept für ein Antibiotikum bei einem Arzt ihres Vertrauens. So stellen Hausärzte und hausärztlich tätige Internisten zwei Drittel der Antibiotikarezepte aus, die insgesamt im ambulanten Bereich vergeben werden. Erschreckend finde ich: Laut einer Umfrage des Robert-Koch-Instituts ist vielen Ärzten nicht bewusst, was sie mit den Verordnungen anrichten. Etwa 64 Prozent der niedergelassenen Mediziner glauben, dass das, was sie täglich verordnen, keinen Einfluss auf die Anzahl und Sorte resistenter Erreger in ihrer Gegend hat. Das gibt schon zu denken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Außerdem spielt auch das Anspruchsdenken mancher Patienten im medizinischen Alltag eine große Rolle. Welcher Hausarzt kennt nicht die Situation, in der ein erkälteter Patient in seine Praxis kommt und um ein Antibiotikum bittet. Ob es sich dabei um eine bakterielle oder virale Infektion handelt, ist häufig auf die Schnelle nicht festzustellen. Daher verordnen Ärzte Antibiotika auf Verdacht. Hinzu kommt die fehlende Compliance vieler Patienten; sie setzen den verordneten Wirkstoff vorzeitig ab, weil sie sich einfach besser fühlen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, schauen Sie doch einmal zu Hause in Ihren Medikamentenschrank. Neben den Halspastillen und den halbleeren Hustensaftflaschen findet sich bestimmt auch ein Antibiotikum, dessen Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Einige Tabletten sind weg, aber eben nicht alle.

Besonders gefährlich ist die Situation in den Krankenhäusern; denn hier liegen kranke Menschen dicht an dicht, sodass die multiresistenten Erreger schnell den Wirt wechseln können. Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene schätzt die jährliche Zahl an Krankenhausinfektionen auf rund 90 000. Das bedeutet, dass sich jeder 20. bei uns stationär behandelte Patient infiziert. Eine kompromisslose Reinigung und Desinfektion können die Krankenhauskeime abtöten, doch viele Kliniken stehen unter enormem Druck. Deshalb können sie die Empfehlungen nicht immer einhalten.

Als Politik haben wir aber reagiert und mit verschiedenen Gesetzen in den vergangenen Jahren versucht, den Einsatz von Antibiotika in der Tierzucht einzudämmen und mehr Hygienebeauftragte in die Kliniken zu bringen. Außerdem hat das BMG neben der Aktualisierung der Deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie einen Zehn-Punkte-Plan zur Bekämpfung multiresistenter Keime erarbeitet.

Auch im Pharmadialog der Bundesregierung hat das Thema eine große Rolle gespielt. Im Abschlussdokument des Pharmadialogs wurde unter anderem festgehalten, dass das BMG die Regelungen zur Erstattung von diagnostischen Verfahren für einen zielgenauen Einsatz von Antibiotika verbessern soll. Zudem wurde eine Regelung auf den Weg gebracht, mit der die jeweils spezifische Resistenzsituation bei der Nutzenbewertung im ­AMNOG-Verfahren durch den G-BA besser berücksichtigt werden kann. Diese beiden Punkte haben wir in diesem Antrag, den wir heute vorgelegt haben, aufgegriffen. Ich hoffe, dass sie zum Ziel führen.

Ein weiteres Problem ist aber auch das geringe Interesse der Pharmaindustrie an der Forschung in diesem Bereich; denn obwohl Antibiotika die häufigste Wirkstoffgruppe unter den verschriebenen Medikamenten sind, ist mit ihnen vergleichsweise wenig Geld zu verdienen. Mir ist bewusst, dass Arzneimittelforschung kostspielig ist, aber wir sind auf die Entwicklung neuer, potenter Antibiotika angewiesen. Gut 1 bis 1,5 Milliarden Euro muss ein Unternehmen in der Regel von der Entwicklung bis zur Marktreife investieren. Das ist ein Prozess, der mindestens zehn Jahre dauert. Doch anders als bei Medikamenten gegen chronische Leiden wie Diabetes und Bluthochdruck, die ein Leben lang eingenommen werden müssen, sind die Ertragsaussichten bei Antibiotika deutlich geringer,

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Genau! Deshalb muss öffentlich investiert werden!)

insbesondere wenn es um die Entwicklung von Reserveantibiotika geht, die naturgemäß nur dann zum Einsatz kommen sollen, wenn Standardarzneien versagen. Ich appelliere daher an dieser Stelle an die soziale Verantwortung, der sich auch Pharmaunternehmen nicht entziehen dürfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Lassen Sie uns gemeinsam Antibiotikaresistenzen bekämpfen. Nur wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen, kann dieses Mammutprojekt gelingen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Friedrich Ostendorff für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7010563
Wahlperiode 18
Sitzung 194
Tagesordnungspunkt Antibiotikaminimierung in der Medizin
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