Wolfgang Schäuble - Bundesbeteiligung an den Kosten der Integration
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Man kann vermutlich darüber streiten, ob man die große Zahl von Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr in Deutschland angekommen sind, so vorhersehen konnte. Ich glaube, das Ausmaß hat uns alle überrascht. Die Bundesregierung jedenfalls hat vom ersten Moment an alles getan, um die Herausforderungen zu meistern. Ich habe schon bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2016 im September des vergangenen Jahres gesagt: Diese Aufgabe hat oberste Priorität, und wir werden sie auch finanzieren. – Das ist uns bisher auch gut gelungen.
Alle staatlichen Ebenen arbeiten eng zusammen. Wir haben mit den beiden Asylpaketen eine gute gesamtstaatliche Lösung hinbekommen und passgenaue Antworten gefunden, die allen Beteiligten gerecht werden. Am Geld wird die Integration nicht scheitern; auch das hat die Bundesregierung von Anfang an gesagt. Die Bundesregierung wird ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bei der Aufnahme und Integration der zu uns Gekommenen gerecht. Der Bund hat für die Bewältigung der Zuwanderung und zur Bekämpfung der Fluchtursachen in diesem Jahr etwa 18,2 Milliarden Euro ausgegeben bzw. eingestellt – ausgegeben ist noch nicht alles. 2017 werden wir knapp 21 Milliarden Euro, 2018 sogar 22 Milliarden Euro bereitstellen.
Es ist klar, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung im Nahen Osten und in Afrika fördern müssen, um, soweit es uns möglich ist, die Ursachen für die Flüchtlingsströme zu bekämpfen und sie damit zu verringern. Auch deswegen bildet die Zusammenarbeit mit Afrika einen Schwerpunkt europäischer Politik, aber auch unsere G-20-Präsidentschaft, die im Dezember beginnt.
Der Bund hat aber auch die Länder und die Kommunen in den letzten beiden Jahren deutlich entlastet. Ich möchte die Zahlen einmal im Zusammenhang vortragen.
Im Jahre 2015 haben wir pauschal 2 Milliarden Euro über den Länderanteil an der Umsatzsteuer zur Verfügung gestellt. In diesem Jahr sind es rund 6,9 Milliarden Euro.
Wir haben mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz eine verfahrensabhängige Kostenbeteiligung des Bundes sichergestellt – auch für die kommenden Jahre. Vom ersten Tag der Registrierung bis einen halben Monat nach der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erhalten die Länder pro Bewerber 670 Euro pro Monat. Im Augenblick findet die Spitzabrechnung für die Abschlagszahlung 2017 statt. Das wird in diesem Jahr über die bereits eingestellten Gelder in Höhe von knapp 3 Milliarden Euro hinaus einen erheblichen zusätzlichen Betrag erfordern.
Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ihre Liegenschaften den Gebietskörperschaften zur Unterbringung von Flüchtlingen mietzinsfrei zur Verfügung gestellt. Gegen Nachweis erstattet sie auch die entstandenen notwendigen und angemessenen Erstinstandsetzungs- und Erschließungskosten.
Diese bereits umfassenden Entlastungen von Ländern und Kommunen durch den Bund haben mit dazu beigetragen, dass sich die Haushaltslage von Ländern und Kommunen gegenwärtig sehr positiv entwickelt. Dies muss man immer wieder ins Gedächtnis aller Beteiligten rufen.
Mit dem Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen, das uns im Entwurf heute vorliegt, bringen wir die zwischen Bund und Ländern auf Regierungschefebene am 16. Juni und 7. Juli dieses Jahres vereinbarten Entlastungen auf den Weg. Alleine diese weiteren Entlastungen summieren sich bis zum Jahr 2019 auf knapp 20 Milliarden Euro. Im Einzelnen:
Der Bund wird in den Jahren 2016 bis 2018 die Kosten der Unterkunft und Heizung für anerkannte Asyl- und Schutzberechtigte vollständig übernehmen. Dadurch werden die Kommunen voraussichtlich um etwa 2,6 Milliarden Euro entlastet.
Die Länder erhalten vom Bund für die Jahre 2016 bis 2018 eine jährliche Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro.
Der Bund gewährt den Ländern für den im Integrationskonzept enthaltenen Wohnungsbau zusätzlich jeweils 500 Millionen Euro als Kompensationsmittel für die Jahre 2017 und 2018 über die bereits in den Entflechtungsmitteln enthaltenen Mittel für den sozialen Wohnungsbau hinaus.
Der Bund verbessert außerdem die Finanzausstattung der Kommunen, wie schon im Koalitionsvertrag festgelegt, ab dem Jahr 2018 um zusätzliche 5 Milliarden Euro pro Jahr. Er verzichtet dazu auf Anteile am Aufkommen der Umsatzsteuer und erhöht seine Beteiligung an den Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Die Länder haben sich in den genannten Konferenzen auf einen Schlüssel der Verteilung geeinigt, der allerdings, wie ich weiß, im parlamentarischen Verfahren, was ja auch die Aufgabe des Bundestages ist, einer intensiven Prüfung und Beratung unterzogen werden wird.
Das alles ist jedenfalls – das sage ich auch vor dem Hintergrund der Verhandlungen in der vergangenen Woche – doch wohl ein Beweis dafür, dass der Bund Länder und Kommunen bei ihren Aufgaben nachhaltig unterstützt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es wird ja in der Öffentlichkeit auch angesichts der Zahlen, die eine gute Haushaltslage der öffentlichen Hand in Deutschland insgesamt belegen – damit stehen wir im Gegensatz zu vielen unserer Nachbarländer in Europa –, die Frage gestellt: Können wir nicht noch mehr tun? – Hier ist zunächst einmal schon der Hinweis notwendig, dass sich hier zunehmend ein gesamtstaatliches Problem verdichtet. Das haben wir gerade auch im jüngsten Gutachten gelesen, das das ifo-Institut für das Bundeswirtschaftsministerium erstellt hat. Es reicht nämlich nicht aus, dass wir Geld bereitstellen, sondern die Mittel müssen auch abfließen, die Vorhaben müssen auch umgesetzt werden. Hier haben wir zunehmend ein gesamtstaatliches Problem.
Ich nenne als Beispiel den Kindertagesstättenausbau. Der Bund hat ihn in den vergangenen Jahren mit Milliardenbeträgen gefördert. Anfang dieses Jahres haben wir die Mittel dafür im Zusammenhang mit den Flüchtlingsherausforderungen noch einmal deutlich erhöht. Ein paar Wochen danach mussten wir aber zunächst einmal das entsprechende Programm verlängern, weil die bereits etatisierten Mittel nicht schnell genug abgeflossen sind. Sie werden nicht abgerufen. Das heißt, wir müssen schneller werden; denn wir können natürlich die Kindertagesstätten für Flüchtlinge nicht erst dann bauen, wenn aus den Flüchtlingen schon Senioren geworden sind. Dann müssten wir eher Betreuungsheime bauen.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Das muss in Deutschland ein bisschen schneller gehen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das sehen wir zunehmend auch – das belegen entsprechende Gutachten – bei den Ausgaben für die öffentliche Verkehrsinfrastruktur. Auch hier müssen wir besser werden. Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass wir in den Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern in der vergangenen Woche in diese Richtung Fortschritte erzielt haben, die wir jetzt noch umsetzen müssen.
Ich lasse in meinem Haus auch prüfen – ich will damit zeigen, dass wir alles tun, um irgendwie Lösungen zu finden –, ob wir bei Projekten, durch die wir den Kommunen Mittel zur Verfügung stellen, nicht möglicherweise auch Kapazitäten für Planungsverfahren bei den Kommunen mit einbeziehen können. Das ist verfassungsrechtlich nicht ganz einfach, aber wir suchen jeden Weg, um zu helfen.
Wir haben in der vergangenen Woche auch beschlossen, die Mittel für den Fonds zur Förderung von Investitionen finanzschwacher Kommunen aufzustocken und zu verlängern. Diese Mittel verteilen wir nach einem Schlüssel über die Länder, der auch nicht völlig ohne Probleme ist. Es ist aber besser, wir helfen finanzschwachen Gemeinden über einen nicht hundertprozentig perfekten Schlüssel, als gar nicht. Außerdem heben wir die Zwecksetzung ein Stück weit auf, weil wir bei der Verwendung dieser Mittel für Kommunen durch die Föderalismusreform außergewöhnlich beschränkt sind. Ich glaube, das ist richtig; denn so können wir in den nächsten Jahren auch in finanzschwachen Kommunen mehr für Schulen tun. Deswegen begrüße ich die Absprachen, die wir in der vergangenen Woche dazu getroffen haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Der Bund wird jedenfalls seine Bemühungen fortsetzen, im Rahmen seiner Möglichkeiten finanzschwachen Gemeinden zu helfen.
Aber noch einmal: Wir müssen dafür werben, dass die Weitergabe der Mittel in allen Ländern entsprechend der Zielsetzung erfolgt. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit den Ländern vereinbart haben, dass der Bund und auch der Bundesrechnungshof in Zukunft stärker darauf achten können, dass die Mittel entsprechend der Zwecksetzung bei den Ländern verwendet werden. Das ist keineswegs irgendein Angriff auf die Länder oder Ausdruck eines Misstrauens ihnen gegenüber, sondern es geht einfach nur darum, unsere jeweiligen Aufgaben innerhalb der föderalen Grundordnung optimal zu erfüllen.
Ich will zu den Vereinbarungen in der vergangenen Woche gar nichts weiter sagen. Das war wie immer ein langes Ringen. Noch manches Mal wird es angesichts der Herausforderungen durch die rasanten, schnellen Veränderungen in Zeiten der Globalisierung wichtig sein, losgelöst vom aktuellen Streit gemeinsam darüber nachzudenken, wie wir unser föderales System, das ja im Prinzip gut und richtig ist, noch leistungsfähiger machen können.
Die Länder, die Gemeinden und der Bund haben jedenfalls die großen Herausforderungen durch die starke Zuwanderung von Flüchtlingen bisher in einem außergewöhnlich guten Maße gemeistert. Auch das ist ein Ruhmesblatt für die Bundesrepublik Deutschland.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Deswegen werden wir weiter daran arbeiten, dass die föderale Ordnung diese Aufgaben meistern kann, dass sie sich durch schnelle Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit bewährt. Der Bund ist sich seiner Verantwortung für die Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe bewusst.
Wir alle miteinander, Länder, Gemeinden und der Bund, haben im Großen und Ganzen alles getan, um die starke Zuwanderung von Flüchtlingen zu meistern. Wir haben das bisher ganz gut hinbekommen. Dass uns das weiterhin gelingen kann, dazu soll der vorliegende Gesetzentwurf beitragen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertribüne möchte ich eine Delegation des österreichischen Nationalrates herzlich begrüßen, die in dieser Woche mit vielen Mitgliedern des Bundestages aus verschiedenen Gremien zahlreiche Gespräche führt und damit unterstreicht, dass wir viele gemeinsame Interessen und ganz sicher eine gemeinsame Verantwortung haben. Herzlich willkommen und weiterhin gute Zusammenarbeit!
(Beifall)
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gesine Lötzsch für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7019321 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 196 |
Tagesordnungspunkt | Bundesbeteiligung an den Kosten der Integration |