Volker UllrichCDU/CSU - Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen heute über viele Zehntausende Menschen in diesem Land, die albtraumhafte Begebenheiten erleiden müssen. Wir reden über den alltäglich bangen Blick aufs Mobiltelefon, über den verängstigten Blick über die Schulter, über die Angst, ans Telefon zu gehen, weil er doch wieder anrufen könnte, derjenige, der einer Person nachstellt, der ihr das Leben zur Hölle macht. Wir sprechen über Zehntausende Fälle, über Zehntausende Menschen, die sich in ihrer eigenen Haut nicht mehr wohlfühlen, die sich kaum aus dem Haus trauen oder Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte zu pflegen, weil ein anderer nicht akzeptiert, wie dieser Mensch leben will oder welche Entscheidung er getroffen hat.
Das allein ist es aber noch nicht. Die Nachstellungen tragen ein Eskalationspotenzial in sich. Das kann sogar so weit gehen, dass es zu ganz schweren Rechtsverletzungen kommt, zu tatsächlichen Körperverletzungen, ja sogar von Todesfällen ist auch in jüngster Zeit die Rede gewesen. Deswegen ist der Schutz vor Nachstellungen ein wichtiges strafrechtliches Anliegen. Er liegt im Kernbereich dessen, wozu Strafrecht gemacht ist: den Schutz der Opfer sicherzustellen.
Wir haben hier erst eine sehr kurze, aber, wie ich meine, doch bemerkenswerte rechtspolitische Geschichte vorzuweisen. Bis vor zehn Jahren kannte das Strafrecht gar keinen Schutz vor Nachstellungen, sondern es mussten zusätzlich Straftatbestände verwirklicht werden: Hausfriedensbruch, sexuelle Nötigung, Beleidigung, schwere Körperverletzung. Es war auch eine Große Koalition, die im Jahr 2006 den § 238 StGB normiert hat. Heute ist es Zeit – das ist auch unsere Pflicht –, Bilanz zu ziehen. Wir haben nach zehn Jahren § 238 StGB festzustellen, dass er ein guter erster Schritt war, um vor Nachstellungen zu schützen. Aber er ist in seiner derzeitigen Form noch nicht ausreichend. Deswegen werden wir nachlegen und ein gutes Gesetz noch besser machen.
Die Fallzahlen sprechen dafür, dass wir diesen Paragrafen ändern müssen. Wenn von etwa 20 000 Anzeigen im Jahr nur etwa 1 bis 2 Prozent zur Verurteilung kommen und man auch noch einpreisen muss, dass viele Menschen aus Angst und Scham gar nicht erst Anzeige erstatten, dann zeigt das, dass dieser Paragraf in seiner Konstruktion gut gemeint war, aber nicht in jeder Form auch hundertprozentig gut gemacht. Deshalb haben wir auch den Mut, zu sagen: Wir verbessern diesen Paragrafen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es ist den Menschen schwer zu vermitteln, dass derjenige, der Opfer einer Straftat wird, sein Verhalten erst ändern muss und damit genau den Erfolg eigentlich herbeiführen muss, den sich der Täter von seinem Opfer wünscht. Für uns ist klar: Nicht das Opfer muss sein Verhalten ändern, sondern der Täter muss seiner Rechenschaft zugeführt werden. Das ist der Kern eines verantwortungsvollen Strafrechts.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Deswegen, denke ich, ist es richtig, zu sagen, dass die Deliktform, die sich jetzt von einem Erfolgs- zu einem Eignungsdelikt ändert, die richtige Form ist, weil auch bei einem Eignungsdelikt natürlich schon eine Rechtsverletzung vorliegt. Sie liegt bereits darin, dass der Täter eine Handlung vollzieht, die geeignet ist, eine schwerwiegende Folge herbeizuführen, dass er ein Verhalten an den Tag legt, welches typischerweise zu schweren psychischen Belastungen führt: zu den eben von mir beschriebenen Angstzuständen, zu dem Umstand, dass sich jemand nicht mehr traut, auf die Straße zu gehen, und zu vielen Hunderten oder Tausenden Anrufen. Allein dieser Umstand hat doch bereits einen Unrechtsgehalt an sich. Deswegen ist es richtig, dass dieser Paragraf zukünftig ein Eignungsdelikt ist; denn durch den Charakter des Eignungsdeliktes kann er den Opferschutz viel stärker verwirklichen.
Vor diesem Hintergrund ist es ebenso richtig, dass wir dem Privatklageweg im Bereich von Nachstellungen ein Ende bereiten. Es war vielleicht gut gedacht, dass jeder, wenn die Schwelle noch nicht vorhanden war, dass der Staatsanwalt tätig wird, sein Recht selbst in die Hand nehmen sollte. Aber gerade im Fall von Nachstellungen haben wir die Konstellation, dass das Opfer seinem Peiniger, demjenigen, der nachstellt, gerade nicht begegnen möchte.
Wenn Sie das Opfer nun auf den Privatklageweg verweisen, ist es ja gerade in der Situation, dass es seinem Täter vor Gericht begegnen muss, dass es selbst einen Prozess gegen den Täter anstrengen muss, wodurch es vor Gericht möglicherweise sogar zu einer Konfrontationssituation Täter/Opfer kommt – was der Täter vielleicht sogar herbeiführen möchte. Deswegen war der Privatklageweg aus Gründen eines objektiven Opferschutzes der falsche, und daher ist es richtig, wenn wir ihn streichen und sagen: Stalking, Nachstellungen, ist ein schwerwiegendes Delikt, das in die Lebenssphäre eingreift. Hier müssen die Staatsanwaltschaften selbst tätig werden. Sie müssen es unterbinden, und der Rechtsstaat muss hierbei zur Geltung kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, die Botschaft der heutigen Debatte muss auch sein, dass die Opfer von Nachstellungen nicht allein sind, weil ihnen dieser Rechtsstaat zukünftig noch mehr Schutz gewährleistet. Aber sie sind auch nicht allein, weil durch diese Debatte die Botschaft ausgesendet wird, dass wir eine Sensibilisierung für die Opfer brauchen, dass sie nicht alleingelassen werden, dass Menschen, die Opfer von Nachstellungen werden, auch Verständnis in ihrem Freundes- und Verwandtenkreis bekommen, dass auch die Kollegen am Arbeitsplatz, die mitbekommen, dass eine Kollegin oder ein Kollege gestalkt, dass sie oder er Opfer von Nachstellungen wird, ihr bzw. ihm schützend zur Seite stehen, dass diese Gesellschaft insgesamt nicht akzeptiert, wenn Menschen Opfer von Nachstellung, von Bestellungen, von Anrufen, von SMS werden, dass jeder die Verpflichtung wahrnimmt, Menschen zu schützen und zu einem gedeihlichen und guten Miteinander beizutragen.
In diesem Sinne freue ich mich auf gute Beratungen. Ich hoffe, dass wir aus einem guten Gesetzentwurf ein Gesetz machen, welches die Opfer schützt und damit stärker dazu beiträgt, dass viele Menschen weniger stark mit Angst konfrontiert sein müssen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Fritz Felgentreu das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7019552 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 196 |
Tagesordnungspunkt | Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen |