Jürgen HardtCDU/CSU - Bundeswehreinsatz in Syrien
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir können heute hier nicht über dieses Thema diskutieren, ohne wenigstens einen oder zwei Sätze darüber zu verlieren, was gestern Abend hier in Berlin passiert ist. Ich beziehe mich auf den Teil der Gespräche, der sich auf Syrien bezog. Ich finde, es war eine tolle und auch sehr erfolgreiche Initiative der Bundeskanzlerin und des Bundesaußenministers, die Gelegenheit des N-4-Formats zu nutzen, um anschließend gemeinsam mit dem russischen Präsidenten und dem französischen Präsidenten die Lage in Syrien zu diskutieren. Die Dauer und die Intensität der Gespräche zeigen, dass es Sinn macht, miteinander zu reden, selbst wenn man unversöhnliche und unvereinbare Positionen hat.
Es wäre eine große Chance für den russischen Präsidenten Putin gewesen, im Vorfeld des EU-Gipfels, der auch das Thema Russland behandeln wird, ein Zeichen des guten Willens zu zeigen und die Unterbindung von Luftschlägen gegen Aleppo für einen längeren Zeitraum zu veranlassen und damit humanitäre Hilfe möglich zu machen. Denn das sind die beiden zentralen und ganz oben stehenden Forderungen, die wir im Augenblick haben: keine Luftschläge gegen Aleppo und Ermöglichung des Zugangs für Hilfskonvois. Das könnte Putin offensichtlich durch ein Telefonat mit Damaskus in die Wege leiten. Es ist schade, dass er diese Gelegenheit nicht ergriffen hat. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass er möglicherweise doch aus dem Gespräch hier in Berlin mitnimmt, dass dies nicht nur eine Forderung der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten, sondern eines weit überwiegenden Teils der Weltbevölkerung ist und es dafür eine breite Unterstützung bei den Vereinten Nationen gibt.
Zu dem heute zur Verhandlung stehenden Mandat: Wir sind beim Kampf gegen den IS ein sehr gutes Stück vorangekommen, sowohl, was die Unterstützung der Peschmerga im Norden Iraks angeht – das betrifft unser laufendes Irak-Mandat –, als auch, was in Syrien selbst passiert. Es gibt jetzt Befürchtungen und Sorgen bei den Menschen in Europa und in Deutschland, dass der IS, wenn zum Beispiel Mosul fällt oder der IS in Syrien weiter zurückgedrängt wird, Ausweichbewegungen machen und Aggressionen gegen Deutschland und Europa starten könnte. Ich glaube das in dieser Form nicht. Ich glaube, dass es in erster Linie ganz wichtig ist, dass die vermeintliche Faszination, die für irregeleitete junge Menschen vom IS ausgegangen ist, rapide abnimmt, dass der IS als das enttarnt wird, was er wirklich ist, nämlich eine verbrecherische Organisation, die an Brutalität mit nichts anderem in der heutigen Zeit zu messen ist, und dass deswegen die Gefahr, dass junge Menschen in Deutschland und Europa Anschläge verüben, die gegen unsere Freiheit gerichtet sind, trotz Kampf gegen den IS, eher abnimmt, als dass sie zunimmt.
Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Möglichkeiten an unseren Grenzen, aber eben auch die Möglichkeiten unserer Dienste nutzen, um sicherzustellen, dass diejenigen, die aus den Kampfgebieten nach Europa kommen oder nach Europa zurückkehren, identifiziert und zur Rechenschaft gezogen werden, und dass auf diese Weise sichergestellt wird, dass die Bedrohung in Europa tatsächlich nicht zunimmt, sondern abnimmt.
Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Liebich?
Ja.
Vielen Dank, Herr Hardt, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Nachdem der Herr Außenminister Steinmeier nichts dazu gesagt hat, frage ich Sie als Vertreter der Koalition: Wie bewerten Sie das Agieren der türkischen Streitkräfte, die im Norden Aleppos nach eigenen Angaben 160 bis 200 Kämpferinnen und Kämpfer der Kurden getötet haben, die sich im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ befinden?
Wir weisen in den Gesprächen mit der Türkei stets darauf hin, dass die Türkei das Recht hat, Terrorismus zu bekämpfen und ihre staatliche Ordnung zu verteidigen, dass sie dabei aber die Regeln der Verhältnismäßigkeit und die Regeln des Völkerrechtes beachten muss.
(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat sie es jetzt, oder hat sie es nicht?)
In der Form – wie von Frau Dağdelen vorgetragen –, wie ein überschäumender geradezu Hass gegenüber der türkischen Regierung und eine Undifferenziertheit in der Betrachtung vorhanden sind, sehen wir auch in der türkischen Regierung eine übermäßige Fixierung auf terroristische Elemente unter den Kurden und zu wenig Berücksichtigung und Beachtung derer, die eine friedliche Veränderung im Namen der Kurden wollen. Wir stehen für Maß und Mitte in diesem Punkt und nicht dafür, die Türkei in Bausch und Bogen zu verurteilen oder gar die Kurden, so wie die Türkei es tut.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind sie Terroristen für Sie? Sagen Sie was dazu!)
Was die konkreten Ereignisse angeht, die wir uns jetzt zu vergegenwärtigen haben: Ich bin fest davon überzeugt, dass die türkische Regierung gute Gründe haben wird, die terroristischen Kräfte im Norden Syriens zu bekämpfen.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind die YPG Terroristen?)
Dort gibt es Terrorismus, der auch von Kurden mitgetragen wird, und der ist genauso verantwortlich für die Situation in Syrien wie für die anderen schrecklichen Dinge, die dort passieren.
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist ja interessant! Interessante Einstufung! Das hat die Bundesregierung bisher nicht gemacht!)
Ich möchte kurz auf den Einsatz selbst eingehen. Ich finde, dass Deutschland mit dem, was wir bisher bereits getan haben – Luftbetankungsunterstützung, Fotografieren und Aufklärung am Boden, aber eben auch der Einsatz der Fregatte „Augsburg“ an der Seite des Flugzeugträgers der Franzosen –, einen erheblichen Beitrag zum Erfolg der Koalition leisten, die den IS in Syrien bekämpft. Ich finde, es ist selbstverständlich, dass wir weitere geeignete Mittel nutzen, um das zu tun. Ich meine ganz konkret, dass wir AWACS-Flugzeuge als Instrument einsetzen sollten, um den Luftraum zu überwachen. Ich bin der Auffassung, dass das Mandat unsere Unterstützung finden kann. Wir werden in den Ausschüssen ausgiebig darüber beraten. Deutsche Soldaten sollten in den AWACS-Flugzeugen selbstverständlich Dienst tun dürfen.
Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass die Koalition bei ihrem Kampf gegen den IS nicht nur im Irak, sondern auch auf syrischem Boden weiterhin großen Erfolg hat und dass wir unsererseits die Soldatinnen und Soldaten, die in verschiedenen Funktionen im Einsatz sind, gesund und wohlbehalten wieder nach Hause bringen. Wir wünschen ihnen für diesen Einsatz alles Soldatenglück.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Hardt, gestatten Sie noch, auch wenn Sie fast schon am Schluss Ihrer Rede sind, eine Zwischenfrage der Kollegin Keul?
Ja.
Vielen Dank. – Herr Kollege Hardt, Sie haben zum Schluss dankenswerterweise über das konkrete Mandat gesprochen. Wir Parlamentarier würden gerne bewerten, welche Auswirkungen unsere Beteiligung im Rahmen dieser Allianz auch am Boden tatsächlich hat, aber – die Kollegin Brugger hat es vorhin schon angesprochen – auf unsere Fragen, was denn am Boden tatsächlich passiert, auf welche Ziele eingewirkt wird, bekommen wir von der Bundesregierung nur die Antwort: Darüber haben wir keine Kenntnisse, wir geben unsere Daten, aber was unsere Bündnispartner damit machen, das entzieht sich unserer Kenntnis. Das erstaunt mich doch sehr; denn wenn ich als Parlamentarierin diesen Einsatz bewerten soll und sagen soll, ob ich ihn unterstütze, dann muss ich doch wissen, was am Ende mit diesen Daten passiert und wo sie eingesetzt werden. Ich finde auch, dass der Grundsatz der Verantwortung an dieser Stelle nicht eingehalten wird, wenn die Bundesregierung Daten weggibt und uns erzählt – ich muss ja erst einmal davon ausgehen, dass das, was die Bundesregierung uns sagt, stimmt –, dass sie gar nicht weiß, was am Ende damit an Wirkung erzielt wird.
(Beifall des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])
Sie haben jetzt gesagt, es hätte Fortschritte gegeben, unsere Handlungen hätten eine Wirkung. Ich bitte Sie, uns zu erläutern, was konkret am Boden bei diesem Luftkrieg herausgekommen ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Ich interpretiere die Information der Bundesregierung komplett anders als Sie. Wir werten diese Daten aus, wir geben diese Daten insofern weiter, als dass sie zur Bekämpfung des IS in Syrien genutzt werden können, und es liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass irgendeiner, der am Kampf gegen den IS in Syrien beteiligt ist, diese Daten in einer Art und Weise verwendet, die wir als Deutscher Bundestag oder als deutsche Bundesregierung nicht akzeptieren können.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?)
Vielen Dank. – Damit wären Sie auch am Ende Ihrer Redezeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich darf jetzt dem Kollegen Gehrcke die Möglichkeit zu einer Kurzintervention geben.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7019684 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 196 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Syrien |