20.10.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 196 / Tagesordnungspunkt 8

Helmut NowakCDU/CSU - Entlastung der Wirtschaft von Bürokratie

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ehemalige Mitglied des Hohen Hauses Ralf Dahrendorf bemerkte einmal zum Thema Bürokratie – ich zitiere –:

Wir brauchen Bürokratie, um unsere Problem zu lösen. Aber wenn wir sie erst haben, hindert sie uns, das zu tun, wofür wir sie brauchen.

Ich denke, er hat völlig recht damit.

Dies vorausgeschickt diskutieren wir heute bereits das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz. Ich denke, das ist gut so. Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf grundsätzlich für einen Schritt in die richtige Richtung. Er enthält viele gute Ansätze, insbesondere in der Schwerpunktsetzung bei der mittelständischen Wirtschaft.

Ich will einige Dinge herausgreifen und komme zunächst zur Erleichterung bei den Aufbewahrungsfristen. Zukünftig müssen Unternehmen Lieferscheine, die keine Buchungsbelege sind, nicht mehr zwingend aufbewahren. Ich hätte mir bei diesem Punkt aber auch noch gewünscht, die Aufbewahrungsfristen generell zu durchleuchten und vielleicht etwas zusammenzufassen. Weil wir für unterschiedliche Dokumente so unterschiedliche Aufbewahrungsfristen haben, führt dies dazu, dass viele Betriebe alles aufheben, um keinen Fehler zu machen, sodass unsere gut gemeinte Verkürzung damit möglicherweise ins Leere laufen könnte.

Die Anhebung der Grenze für die Fälligkeit von Lohnsteuer von 4 000 auf 5 000 Euro wird insbesondere kleinere Unternehmen spürbar von Meldepflichten befreien. Ich würde mir allerdings auch da wünschen, dass wir 500 Euro mehr draufsatteln, weil schon bei zwei Vollbeschäftigten, die nur den Mindestlohn bekommen und 52 Wochen jeweils 40 Stunden arbeiten, diese Grenze überschritten wird. Bei 5 500 Euro wäre das nicht der Fall.

Was die Anhebung der Grenze für Kleinbetragsrechnungen von 150 Euro auf 200 Euro angeht, sollten wir einmal der EU folgen, die uns die Möglichkeit gibt, bis 400 Euro aufzustocken. Das würde die Sache erleichtern, und wir würden wahrscheinlich in der nächsten Zeit einmal weniger über dieses Thema sprechen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Übrigens hat man das in Österreich schon im März 2014 eingeführt.

Zu begrüßen ist auch die Vereinheitlichung der Fälligkeit von Sozialversicherungsbeiträgen, was die Staatssekretärin schon angedeutet hat, bei der eine bisherige Ausnahmeregelung nunmehr als vereinfachtes Verfahren zur dauerhaften Regelung wird. Hier hätte ich mir persönlich gewünscht, die Rückkehr zur alten Regelung von vor 2006 zu beschließen. Aber das ist wohl eine Illusion. Die Änderung wurde damals deshalb herbeigeführt, weil die Haushaltssituation der sozialen Sicherungssysteme recht schlecht war und wir damit Liquidität gerettet haben. Das war auch richtig so.

Aber leider bewahrheitet sich hier ein bisschen das nicht ganz unbegründete Vorurteil, dass der Staat behält, was er einmal hat. Ich muss dabei immer unwillkürlich an die Sektsteuer denken, die zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte eingeführt wurde. Die haben wir immer noch, allerdings nicht die Flotte.

In Zeiten wie den unseren, in denen radikale Kräfte von links und rechts mit Vereinfachungen und Polemik unserem etablierten Parteien- und Politiksystem zusetzen, müssen wir noch stärker Wert auf Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit legen. So müssen etwa einmal als sinnvoll erachtete und daher zugestandene Freibeträge und Schwellenwerte einer regelmäßigen Anpassung unterzogen werden, um ihren ursprünglichen Sinn nicht zu verlieren. Hierzu gehört die Anhebung der Schwellenwerte für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirtschaftsgüter.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die GWG-Grenze ist seit 1964 nicht mehr angehoben worden und liegt unverändert bei umgerechnet 410 Euro, was heute inflationsbereinigt circa 1 570 Euro entspricht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: seit 1964. Die letzte Anpassung ist somit 52 Jahre her. Abgesehen von der Tatsache, dass man damals wahrscheinlich noch größere Teile eines Büros für 800 D-Mark einrichten konnte, so reichen heute 410 Euro nicht einmal dafür, ein ordentliches Smartphone zu kaufen, das man fünf Jahre abschreiben muss und das nach drei Jahren technisch veraltet ist, wenn es nicht vorher in Flammen aufgegangen ist. Die Anhebung der Schwellenwerte auf 1 000 Euro, die nicht einmal einen völligen Inflationsausgleich darstellt, ist daher kein Geschenk, sondern nur die Wiederherstellung eines bereits in der Vergangenheit dagewesenen Zustandes.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werbe noch einmal dringend dafür. Ich freue mich natürlich über die Unterstützung durch die Staatssekretärin und den Koalitionspartner. An dieser Stelle will ich Frau Wicklein danken, die hervorragend und immer offen mit uns zusammengearbeitet hat, um diese Dinge auf den Weg zu bringen. Ich freue mich, dass wir alle miteinander offensichtlich in die Zielgerade einlaufen.

Positiv daran, den Schwellenwert auf 1 000 Euro anzuheben, ist auch, dass wir bei dieser Gelegenheit die Poolabschreibung eliminieren, die dann ja auch überhaupt keinen Sinn mehr macht. Dies würde eine erhebliche Vereinfachung für alle Unternehmen in Deutschland bedeuten. Insbesondere für die kleinen Betriebe wäre dieser Schritt ein effektiver und vor allem deutlich sichtbarer Beitrag zum Bürokratieabbau. Vieles von dem, was wir machen, ist für diejenigen sichtbar, die sich im Steuerrecht und bei all diesen Dingen auskennen, aber für die normalen Unternehmer im Regelfall eher nicht. Insofern bitte ich noch mal alle Kolleginnen und Kollegen, der längst überfälligen Anhebung des Schwellenwerts zuzustimmen und ins parlamentarische Verfahren jetzt einzubinden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias Ilgen [SPD])

Wir wissen auch, dass es dadurch nicht zu einer Steuerverkürzung kommt, sondern lediglich zu einer Liquiditätsverschiebung. Zudem wird ein Investitionsschub – so sagt es zumindest die Wirtschaft – von circa 400 Millionen Euro erwartet. Addiert man die Beträge, die durch den Gesetzentwurf zustande kommen – Reduzierung der Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 360 Millionen Euro plus ein Investitionsschub im Umfang von 400 Millionen Euro –, dann kommt man auf 760 Millionen Euro, die zusätzlich in die Wirtschaft fließen. Nun weiß ich auch: In der Wirtschaft kann man nicht mit dem Dreisatz rechnen. Aber immerhin wird der Betrag in der Tendenz so hoch sein. Deshalb ist das nur zu unterstützen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen zusehen, dass wir auch in der Zukunft noch die Erfolge der deutschen Wirtschaft feiern können. Nur eine erfolgreiche Wirtschaft sichert unseren sozialen Wohlstand. Wir sollten daher als Politik dringend handeln und schauen, wie wir denjenigen, die in Deutschland im besten Sinne des Wortes etwas unternehmen, die Steine aus dem Weg räumen. Die Rahmenbedingungen, die die Politik setzen will und muss, dürfen nicht zu mehr Bürokratie führen, sondern maximal zu so viel Bürokratie, wie unbedingt erforderlich ist.

Lassen Sie mich noch ganz kurz zu einem weiteren Thema sprechen. Das deutsche Gesetz zur Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist für mich ein Beispiel für Überregulierung. Es diskriminiert unzulässig ganze Verbrauchergruppen, zum Beispiel ältere Bürgerinnen und Bürger, die ihre Wohnung oder ihr Haus altersgerecht umbauen möchten, aber keinen Kredit mehr dafür bekommen, weil sie zu alt sind, um die Tilgung sicherzustellen, und weil zum Beispiel ihre Immobilie keine dem Wert entsprechende Berücksichtigung findet. Das ist eine unmögliche und diskriminierende Verfahrensweise. Es ist zudem ein bürokratisches Monster. Die Volksbanken, die Sparkassen und die Banken ganz allgemein sehen sehr deutlich, dass die Kreditvergabe immer schwieriger wird. Gerade sie sind es ja, die ihre Kunden persönlich kennen und ihre Lage einzuschätzen wissen. Das Gesetz zur Umsetzung der Verordnung muss unbedingt entbürokratisiert werden. Mitte der 90er-Jahre war ein Darlehensvertrag vier bis fünf Seiten stark, heute kann man diese Zahl mühelos mit fünf multiplizieren. Außerdem ist der Wert der vorhandenen Substanz bei einem Kreditantrag unbedingt zu berücksichtigen.

Im Übrigen ist mittlerweile nicht nur die Privatwirtschaft durch die überbordende Bürokratie völlig überlastet; auch die staatliche Verwaltung selbst gerät aufgrund immer komplizierterer Verfahrensabläufe zunehmend ins Schlingern. Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Mittel aus staatlichen Fördertöpfen wie die Investitionshilfen des Bundes auch aufgrund zu komplexer und komplizierter Verfahren von den unteren Ebenen, also den Städten und Gemeinden, teilweise gar nicht mehr abgerufen werden können.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gilt, dem endlich Einhalt zu gebieten. Wir müssen in der Zukunft noch besser darauf achten, dass Gesetze für Bürger, Wirtschaft und Verwaltung verständlicher sind und dass auf unnötige Bürokratie verzichtet wird. Mir fällt bei dieser Gelegenheit der Bierdeckel ein, wobei Herr Merz nie gesagt hat, wie groß er sein soll.

Um noch einmal auf Ralf Dahrendorf zurückzukommen: Wir brauchen die Bürokratie, um unsere Probleme zu lösen – aber eben nicht mehr davon. Daher lassen Sie uns das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz mit seinen guten Ansätzen im parlamentarischen Verfahren zu einem noch besseren Gesetz machen.

Ich danke Ihnen sehr herzlich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Thomas Gambke das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7019741
Wahlperiode 18
Sitzung 196
Tagesordnungspunkt Entlastung der Wirtschaft von Bürokratie
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine