Ute BertramCDU/CSU - Medizinische Versorgung für Geflüchtete
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung der Flüchtlinge und Asylsuchenden gehört zu den besonderen Herausforderungen, die wir zu bewältigen haben. Viele Flüchtlinge – das wissen wir alle – kommen traumatisiert zu uns. Sie haben schlimme und oft allerschlimmste Erfahrungen hinter sich: Gewalt, Folter, Gefangenschaft, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch über alle Bevölkerungskreise hinweg, Alt und Jung und immer wieder Frauen und Kinder.
Dieses Thema steht heute nicht zum ersten Mal auf unserer Tagesordnung. Im September letzten Jahres – die Situation war damals nicht gerade von Übersichtlichkeit geprägt – war uns nur klar: Unser ganzes Staatswesen auf allen Ebenen war gefordert. Wir benötigen immer noch die Hilfe aus allen Ecken der Gesellschaft.
Immerhin können wir heute sagen: Wir kennen recht genau die Dimension, die wir als Gemeinwesen zu bewältigen haben, und wir sagen allen Dank, die sich so engagiert in diesen Dienst gestellt haben: den professionellen Unterstützern ebenso wie den spontanen Initiativen bis hin zu den vielen anonymen helfenden Händen in unseren Dörfern und Städten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Aber was unter einer notwendigen psychotherapeutischen und psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen zu verstehen ist, darüber werden wir wohl auch in der Zukunft noch eine Menge unterschiedlicher Auffassungen haben. Konkret geht es um die Frage, wie hoch die Zahl der Flüchtlinge ist, die unter einer posttraumatischen Belastungsstörung so sehr leiden, dass sie einer akuten Behandlung bedürfen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sieben Monate Warteliste!)
Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – kurz: BAfF – verweist auf eine aktuelle Review-Studienlage der letzten 25 Jahre in Deutschland,
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie einfach mal vor Ort! Es geht nicht um theoretische Zahlen!)
wonach bei Flüchtlingen eine Gesamthäufigkeit für die posttraumatische Belastungsstörung zwischen 16 und 55 Prozent liegt. Diese Streubreite zeigt aber auch an, dass wir es mit Schätzungen zu tun haben, die immer auch ein Griff ins Dunkle sind.
Vor gut einem Jahr haben wir festgestellt, dass es in den bundesweit 23 psychosozialen Zentren etwa 130 Psychotherapeuten gibt, die 4 000 Flüchtlinge betreuen. Heute wissen wir, dass die Situation in den Aufnahmelagern erheblich entspannter ist und dass viele Flüchtlinge bei uns mittlerweile in Integrationskursen lernen. Damit sind sie irgendwie im Alltag angekommen.
Das verlangt den Flüchtlingen viel ab; das weiß ich. Aber das hat auch einen therapeutischen Wert für die Bewältigung einer schwer erträglichen Vergangenheit. Damit will ich nicht sagen, dass wir das Problem der psychotherapeutischen Versorgung der Flüchtlinge erledigt hätten, aber die Koalition war nicht untätig. Der Bund hat in diesem Jahr aus dem Haushalt des BMFSFJ die BAfF mit rund 3 Millionen Euro gefördert und bemüht sich zurzeit, eine Förderung für 2017 sicherzustellen. Ich appelliere auch an die Haushälter, dies zu unterstützen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Der Bund führt in Gestalt des BMG Gespräche mit der BAfF, um die Möglichkeiten zusätzlicher Ermächtigungen für psychosoziale Zentren und ambulante Psychotherapeuten zu eröffnen, damit Flüchtlingen angemessen weitergeholfen werden kann, wenn sie nach den Grundsätzen der GKV zu versorgen sind.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie ist es dann mit den Dolmetscherkosten?)
So wollen wir auch dazu beitragen, dass über die Akutbehandlung hinaus schwerere Fälle einer posttraumatischen Belastungsstörung durch eine Anschlussbehandlung therapiert werden könnten. Generell müssen wir darauf achten, dass wir nicht überreagieren. Eine vollumfängliche Akutversorgung musste 2015 aufgrund der hochschnellenden Flüchtlingszahlen eine Illusion bleiben.
Wichtig ist jetzt, dass wir die Nachversorgung sichern. Auch diese Aufgabe bleibt gerade vor dem Hintergrund der sprachlichen und kulturellen Barrieren weiterhin eine besondere Herausforderung.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie lösen Sie die? Das ist doch die Frage!)
Ich komme zu meinem Fazit. Wir folgen dem Grundsatz: Wir fahren auf Sicht. – Mit diesem Grundsatz ist eine frühere Koalition schon einmal sehr erfolgreich gewesen. Die Opposition folgt dem Grundsatz: Man kann gar nicht genug machen. – Da bleibt nur noch die Ablehnung der Anträge.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Auf Sicht fahren ist im Herbstnebel nicht die beste Strategie!)
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat die Kollegin Mechthild Rawert das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mechthild holt jetzt die Kohlen aus dem Feuer!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7019937 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 196 |
Tagesordnungspunkt | Medizinische Versorgung für Geflüchtete |