Ulrike BahrSPD - Kinderschutz und Prävention
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Equal Pay – hochaktuell. Viele Kolleginnen und Kollegen waren in der letzten Woche bei den Auftaktveranstaltungen zum Equal Pay Day 2017. Zum Titel Ihres Antrags – keine Sorge, ich habe mich nicht im Thema vertan –, „Damit Kinder gut aufwachsen“, fiel mir spontan ein ganz ähnliches Schlagwort ein, nämlich: Equal Grow Up.
Das ist zweifelsfrei ein mindestens genauso wichtiges Thema; denn genauso wie es ungerechte Lohnlücken gibt, gibt es auch weiterhin ungleiche Startbedingungen, was das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen betrifft. In der Gewerkschaftsarbeit haben wir dazu immer ein einfaches, aber dafür sehr eindrucksvolles Bild benutzt. Stellen Sie sich eine Startlinie vor, an der nebeneinander ein Rabe, ein Affe, ein Pelikan, ein Elefant, eine Robbe und ein Dackel stehen. Vor ihnen sitzt ein Lehrer am Pult und sagt: Aus Gerechtigkeitsgründen lautet für Sie alle die Aufgabe gleich: „Klettern Sie auf einen Baum!“ – So viel zur Chancengleichheit in der Realität.
Dabei haben wir in der Vergangenheit natürlich schon viele „Prothesen“ und Hilfsmittel entwickelt, um Nachteile auszugleichen und gerechtere Startchancen für alle Kinder zu schaffen, auch mithilfe unseres über die Landesgrenzen hinaus anerkannten Kinder- und Jugendhilfesystems, bei dem wir auch in Zukunft keinerlei Standardsenkungen akzeptieren werden.
(Beifall bei der SPD)
„viel wert. gerecht. wirkungsvoll“ – das waren die Schlagworte des letzten Kinder- und Jugendhilfetages, wenige Worte, die aber alles sagen. Seit mittlerweile einem Vierteljahrhundert stellen wir so das Kind und seine bestmögliche persönliche Entwicklung in den Mittelpunkt. Wir sprechen hier nicht ohne Grund von einem Paradigmenwechsel; denn seitdem gehört es zum Verständnis von gutem Aufwachsen, dass wir die Kinder in ihrer Persönlichkeit und als Individuen stärken. Es geht darum, Stärken zu fördern und auszubauen, und eben nicht darum, vermeintliche Defizite auszumerzen. Auch das ist für mich Kinderschutz.
Dabei scheint uns das heute oft selbstverständlich. Erinnern wir uns: Wie war es denn noch in der Mitte des letzten Jahrhunderts, wenn man beispielsweise Linkshänder war? Ich bin mir sicher, dass sich hier im Saal einige „Umgedrehte“ finden, jene, denen mit Zwang, nicht selten mit Schlägen, beigebracht wurde, mit der „schönen“ Hand zu schreiben und guten Tag zu sagen.
Für mich ist diese Abkehr davon, dass man nur „richtig“ ist, wenn man in eine bestimmte Norm passt oder gepresst wird, wirklich eine Errungenschaft zum Nutzen und auch zum Schutz vieler späterer Kindergenerationen. Unsere Kinder lernen, dass es völlig normal ist, unterschiedlich zu sein, dass jeder Schwächen hat. Aber noch wichtiger ist: Jeder hat Stärken, die wir fördern können und müssen. Jedes Kind soll die gleichen Chancen auf diese Förderung haben. Das gilt für Mädchen und Jungen, für Aufgeweckte und Ruhige, für hier Geborene und für Zugezogene, kurz: für alle Kinder – und das auch unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern.
(Beifall bei der SPD)
Wenn wir eine inklusive Gesellschaft wollen, dann brauchen wir genauso ein System mit Hilfe- und Unterstützungsleistungen, das für alle Kinder und Jugendlichen gilt, egal ob behindert oder nicht behindert. Wir brauchen auch die inklusive Lösung im SGB VIII, damit die verschiedenen Schubladen bei den Eingliederungshilfen endgültig zu sind.
Zweifelsohne ist viel passiert in den letzten Jahren in Richtung inklusive Gesellschaft mit den Frühen Hilfen, integrativen Kitas, Programmen wie „Jugend Stärken im Quartier“ oder, gerade neu, mit dem schon jetzt sehr erfolgreichen Bundesprogramm „Sprach-Kitas“. Wir haben also durchaus Erfolge zu verzeichnen. Heutzutage ist das katholische Mädchen vom Lande nicht mehr zwangsläufig bildungsbenachteiligt. Frau kann sogar Bundestagsabgeordnete werden.
Aber es gibt weiterhin jene und auch neue Gruppen, für die wir noch breitere Zugänge zu mehr Bildung, zu mehr Schutz und zu mehr Partizipation schaffen müssen. Das gilt für Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien, das gilt für Jugendliche, die uns teils an den Übergängen von der Schule in die Ausbildung verloren zu gehen drohen und schlimmstenfalls durch alle Netze fallen, und das gilt nicht zuletzt für diejenigen jungen Menschen, mit deutschem genauso wie mit Migrationshintergrund, die sich von unserer Gesellschaft nicht angenommen fühlen und für extremistisches Gedankengut anfällig werden. Deshalb gehören für mich politische Bildung und Demokratieerziehung unbedingt auch dazu, wenn es um gutes Aufwachsen, Schutz und Prävention geht.
(Beifall bei der SPD)
Ein weiteres Instrument, das vor Ort im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe dazu beitragen kann, Ungleichgewichte auszubalancieren, sind Ombudsstellen. Für alle, denen dieser Begriff – einfach auch deswegen, weil es diese leider noch nicht flächendeckend gibt – nicht so geläufig ist: Ombudsstellen sind unabhängige Anlaufstellen, die den Anspruchsberechtigten in der Kinder- und Jugendhilfe offenstehen. Hier gibt es Beistand und Hilfe, wenn es Unklarheiten, Probleme und Konflikte in der Kinder- und Jugendhilfe gibt.
Ich bin seit dem letzten Jahr stellvertretende Vorsitzende eines neuen Vereins in Bayern, der das Thema „unabhängige Ombudschaft“ weiter vorantreiben will. In dieser kurzen Zeit habe ich eine Menge gelernt, vor allem von den vielen engagierten Fachkräften, die sich haupt- wie ehrenamtlich für dieses Thema starkmachen. Ich bin überzeugt, dass eine Verankerung von Ombudsstellen im SGB VIII der absolut richtige Weg ist.
Aber was ist eigentlich mit den Kindern? Wissen wir immer so ganz genau, was für die Kinder selbst gutes Aufwachsen ist? Eine Umfrage der Deutschen Bahn im Sommer hat dazu interessante Ergebnisse geliefert. Die Hauptfrage war: Was wünschen sich Kinder am meisten? Man hat sowohl die Kinder als auch ihre Eltern gefragt. Die Eltern lagen da – wenn wundert es? – nicht immer richtig. Natürlich stehen Süßigkeiten, Computerspiele und Hunde ziemlich weit oben auf der Skala. Am Schluss aber kam heraus: Das, was Kinder sich wirklich am meisten wünschen, ist Zeit, Zeit mit der ganzen Familie. Deshalb wünsche ich mir auch, dass künftig – möglichst bald – auch die Familienarbeitszeit zum guten Aufwachsen dazugehört.
In diesem Sinne vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Als nächste Rednerin spricht Christina Schwarzer für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7020430 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 197 |
Tagesordnungspunkt | Kinderschutz und Prävention |