21.10.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 197 / Tagesordnungspunkt 32

Christina SchwarzerCDU/CSU - Kinderschutz und Prävention

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sieben Monate alt durfte die kleine Lena aus Berlin-Neukölln werden, bevor ihr junger Vater der Meinung war, dass ihn ihr Schreien so sehr nervt, dass er sie durchschütteln könnte. Und er tat es. Fünf Sekunden lang. Lena hatte keine Chance. Sie ist einen Tag später an ihren schweren Gehirnverletzungen gestorben. Dieser unglaublich traurige Fall passierte hier bei uns in Berlin im Jahre 2012, allerdings nicht in einer Familie, die durch das Hilfenetz fiel, auch nicht in einer Familie, die von unseren Regeln und Gesetzen nicht erreicht wurde. Es passierte in der Obhut des Jugendamtes, in einer Berliner Jugendhilfeeinrichtung, einem sogenannten Mutter-Kind-Haus.

Fälle wie der der kleinen Lena gibt es leider immer wieder in Deutschland. Viel zu oft wird dann – vielleicht auch aufgrund der Hilflosigkeit der Verantwortlichen – nach bundesgesetzlichen Regelungen gerufen. Sehr geehrte Kollegen der Grünen, Sie sagen es in Ihrem Antrag ja selbst: Der gesetzliche Kinderschutz hat sich erheblich weiterentwickelt, auch und insbesondere durch das Bundeskinderschutzgesetz. Zwischen diesen gesetzlichen, vor allem bundesgesetzlichen Regelungen und dem damit verbundenen Anspruch sowie der Praxis vor Ort klaffen dennoch Lücken. Das beschreiben Sie ebenfalls in Ihrem Antrag.

Mein Heimatbezirk Neukölln hat aus diesem Fall gelernt. Unser Jugenddezernent hat dieses Thema zur Chefsache erklärt, den Fall sehr intensiv und mit zahlreichen Experten aufgearbeitet und vor Ort wichtige Maßnahmen umgesetzt. Die vielleicht wichtigste Maßnahme ist die Einrichtung eines Kinderschutzteams mit zusätzlichem Personal. Das war ein Novum in Berlin. Die Etablierung einer Präventionskette – und damit eine rechtzeitige frühe familiäre Präventionsarbeit am besten schon in der Schwangerschaft – konnte ebenfalls erreicht werden. Eine frühe Unterstützung der jungen und werdenden Familien bewahrt in den allermeisten Fällen die Kinder vor späten negativen Entwicklungen.

Um es noch einmal sehr deutlich zu sagen: Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Regeln und unsere Gesetze zum Kinderschutz zum Glück und zu Recht erheblich weiterentwickelt, nicht zuletzt – das sagte auch der Kollege Weinberg – durch das Bundeskinderschutzgesetz. Mir persönlich ist dabei das System „Frühe Hilfen“ ganz wichtig. Ich glaube, da sind wir hier einer Meinung.

Auch die Möglichkeit für Ärzte und andere Berufsgeheimnisträger, bei Verdacht auf Kindesmisshandlungen die Jugendämter einzuschalten – also ihre Schweigepflicht zu brechen –, ist eine bedeutende Maßnahme. Sie müsste nur noch viel stärker genutzt und publik gemacht werden. Die Ärzte müssten über ihren Nutzen wie auch über Merkmale und Folgen von Kindesmisshandlungen stärker aufgeklärt werden. Auch hier stehen wir immer wieder vor der großen Herausforderung, ob der Datenschutz dem Kinderschutz entgegensteht.

Noch recht aktuell im großen Feld Kinderschutz ist die so wichtige Verschärfung des Sexualstrafrechts. An Letzterem können wir – diese Nebenbemerkung sei mir erlaubt – meines Erachtens ruhig noch ein bisschen weiterarbeiten. Ich würde mir wünschen, dass wir das Thema „Versuchsstrafbarkeit beim Cybergrooming“ noch einmal angehen. Spätestens nachdem viele von uns den Film Das weiße Kaninchen gesehen haben, wissen wir alle, was für Dinge im Internet passieren. Am Ende sind wir uns jedoch aber alle einig: Kinder brauchen und verdienen unseren besonderen Schutz. Und egal, wie hoch die Schutzstandards bei uns sind: Gesetze müssen eben auch eingehalten und gut umgesetzt werden. Dafür braucht es Kontrollmechanismen in den Ländern und Kommunen. Wir alle, die wir hier sitzen, können uns dafür verantwortlich zeigen und uns in den Heimatregionen, aus denen wir kommen, dafür starkmachen.

Einen Punkt würde ich gerne noch aufgreifen – meine Vorredner haben ihn schon erwähnt –: das Führungszeugnis. Hierzu gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen der Fraktionen in unserem Haus. Ich teile die Auffassung der Vereine und Verbände, die auch in der Expertenanhörung Anfang des letzten Jahres, also vor rund anderthalb Jahren, deutlich wurde. Die Vorlage des Führungszeugnisses sollte durch eine sogenannte bereichsspezifische Auskunft beim Bundeszentralregister ersetzt werden. Diese Bescheinigung würde dann nur Auskunft darüber geben, ob eine Person nach dem Bundeskinderschutzgesetz haupt- oder ehrenamtlich mit Kindern arbeiten darf oder nicht, ergo, ob sie nach den in § 72a Absatz 1 SGB VIII genannten Straftatbeständen verurteilt sind. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um Sexualdelikte. Andere Vergehen wie zum Beispiel Diebstahl, Drogenhandel oder auch Mord würden dem Vereinsvorsitzenden nicht bekannt. Das Bundeskinderschutzgesetz nennt diese aber auch nicht als Ausschlussgründe für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Weil ich auch die Gegenargumente, unter anderem der zuständigen Ministerien kenne, möchte ich gleich noch etwas klarstellen: Die Gegner einer möglichen Gesetzesänderung argumentieren, dass es einem Vereinsvorstand möglich sein müsse, auch in andere Straftatbestände Einsicht zu nehmen, die nicht von § 72a Absatz 1 SGB VIII abgedeckt sind. Dann solle er im Einzelfall entscheiden, ob, sagen wir, ein ehemaliger Drogenhändler Kinder- und Jugendarbeit in einem Verein machen darf. Um das noch etwas deutlicher zu machen: Wir verlangen vom Vereinsfunktionär hier eine Entscheidung, die wir als Gesetzgeber nicht treffen wollen. Wir haben den Funktionären doch gar keine Entscheidungsgrundlage an die Hand gegeben, also kann der eine ehemalige Drogenhändler ruhig die Fußballmannschaft trainieren, weil der Vereinsvorsitzende der Meinung ist, er sei ausreichend bekehrt, ein anderer darf das aber nicht.

Ich muss aber auch kritisch hinterfragen, wie dieser Punkt in einen Antrag passt, in dessen Titel es „Kinderschutz und Prävention ausbauen“ heißt. Ich denke, wir sind uns einig, dass wir auf keinen Fall die Kinderschutzstandards senken dürfen. Ich würde mir in diesem Zusammenhang im Übrigen auch noch wünschen, dass wir das Erfordernis der Vorlage eines entsprechenden Nachweises auf all diejenigen ausweiten, die im Haupt- oder Ehrenamt mit Kindern arbeiten, egal ob diese Jugendarbeit nun öffentlich gefördert ist oder nicht. Gleiches gilt im Übrigen auch für Berufsgruppen, die vermehrt mit Kindern arbeiten. Ich denke hier zum Beispiel an Kinderärzte und Kinderpsychologen. Weil wir ein Land von Bürokraten sind, gehen wir immer wie selbstverständlich davon aus, dass so etwas bei uns geklärt ist. Ist es aber nicht.

Ich freue mich ebenfalls auf die guten Beratungen. Herr Müller, vielleicht können wir ja noch gemeinsam gute Ideen entwickeln.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als nächste Rednerin spricht Gülistan Yüksel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7020431
Wahlperiode 18
Sitzung 197
Tagesordnungspunkt Kinderschutz und Prävention
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