Georg NüßleinCDU/CSU - Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Natürlich hat die gruppennützige Forschung an nicht mehr einwilligungsfähigen Erwachsenen eine ethische Dimension. Deshalb ist das von uns gewählte Verfahren, über die Fraktionsgrenzen hinweg offen zu diskutieren und dann Beschlüsse zu fassen, richtig.
Aber ich möchte einleitend darauf hinweisen, dass sich das Thema für Skandalisierungen nicht eignet, wie wir sie im Rahmen der Debatte bereits erlebt haben. Es ist deshalb nicht geeignet, weil wir sonst das, was Ärzte in der NS-Diktatur gemacht haben, bagatellisieren würden. Es ist deshalb nicht geeignet, weil großes Vertrauen in die forschende Ärzteschaft – ich habe es jedenfalls – gerechtfertigt ist. Es ist auch deshalb nicht geeignet, weil wir hier nichts anderes tun, als eine Verordnung, die uns auf europäischer Ebene vorgegeben ist, weiter zu präzisieren und zu verschärfen. Nach geltendem europäischem Recht wird die gruppennützige Forschung an nicht mehr einwilligungsfähigen Erwachsenen unter bestimmten, ganz engen Auflagen ermöglicht.
Worum geht es im Detail? Es geht um gruppennützige Studien. Die spannende Frage lautet in diesem Zusammenhang: Was bedeutet Gruppennutz? Eigennutz kennt in diesem Land jeder. „ Gruppennützig“ bedeutet nicht, dass jeder Teilnehmer solcher Studien einen individuellen Nutzen davon hat, wohl aber, dass Patienten mit der gleichen Krankheit wie die Studienteilnehmer einen Nutzen davon haben können. Davon zu unterscheiden sind fremdnützige klinische Studien, von denen nur Gesunde oder Patienten mit einem anderen Krankheitsbild einen Nutzen haben können. Um das ganz klar an dieser Stelle festzuhalten: Nichteinwilligungsfähige dürfen in Deutschland nicht an fremdnützigen Studien teilnehmen. Das soll auch in Zukunft so bleiben.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])
Natürlich steht auch fest, dass niemand gezwungen werden darf. Deshalb ist es sehr wichtig, dass zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit zum Ausstieg besteht, auch dann, wenn der nicht mehr Einwilligungsfähige nur seinen Unwillen zeigt.
Worin besteht nun der Streitpunkt? Der Streitpunkt ist, ob man zu einem Zeitpunkt, an dem man noch einwilligen kann, in Voraussicht auf die Zukunft eine solche Entscheidung treffen kann. Ich sage: Ja, das kann man, allerdings unter engen Voraussetzungen, die dem Schutz dienen.
Ein gutes Beispiel in diesem Zusammenhang ist aus meiner Sicht die Patientenverfügung. Hier besteht eine sehr ähnliche Problematik: Ich entscheide heute, wo ich noch gesund bin, was passiert, wenn mein Leben dem Ende zugeht, wenn es um die Frage geht, ob noch lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen werden sollen oder nicht. Jeder wird sicherlich verstehen, dass das eine andere, eine größere Tragweite hat, als heute zu entscheiden, ob man sich an minimalinvasiven Studien beteiligen möchte.
Weil die Patientenverfügung in Deutschland – Gott sei Dank – Realität ist und vielen Menschen selbst hilft, bin ich der Auffassung, dass wir jedem auch die Möglichkeit eröffnen sollten, etwas für andere zu tun. Es geht darum, auf Grundlage des Selbstbestimmungsrechts zu sagen: Ich möchte im Rahmen einer gruppennützigen Studie etwas für andere tun, weil ich zum Beispiel bestimmte Erfahrungen im familiären Umfeld habe, weil ich erlebt habe, wie es meinem Großvater oder meinem Vater ergangen ist, weil ich einer Risikogruppe angehöre und der Arzt mir gesagt hat, dass mich dasselbe Schicksal ereilen kann. – Dann ist es doch naheliegend, dass so jemand für sich entscheidet: Jawohl, dann möchte ich in dem Stadium, in dem ich nicht mehr einwilligungsfähig bin und in dem man an der bei mir fortgeschrittenen Krankheit forschen kann, etwas dafür tun, dass anderen geholfen wird, wenn man schon mir nicht mehr helfen kann.
Wenn man das so regelt, dann vermeidet man, dass erst Eigennutz vorgetäuscht werden muss, um Forschung zu ermöglichen. Man kann bei einer entsprechenden Regelung offensiv sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass es dem Patienten noch hilft, ist überschaubar, aber gruppennützig ist es auf jeden Fall. „ Gruppennützig“ bedeutet altruistisch: Ich tue etwas für andere.
Meine Damen und Herren, das sage ich an die Adresse derjenigen, die genauso wie ich unter einem christlichen Blickwinkel argumentieren: Nächstenliebe ist ein tragendes Prinzip des Christentums. Dann soll mir niemand sagen: Eigennutz, das geht für einen Christen. Aber einem anderen zu helfen, das kommt nicht infrage, das ist nicht zulässig, das soll der Staat verbieten. – Das ist doch der falsche Ansatz. Wenn man das noch als christlich bezeichnet, dann, glaube ich, sollte man ernsthaft in sich gehen und genau darüber nachdenken.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das denn für eine Unterstellung? Das ist eine Unverschämtheit!)
– Ich habe offenbar einen wunden Punkt getroffen, stelle ich fest.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier über die Schutzrechte der Prüfungsteilnehmer. Da geht es zunächst einmal um die verpflichtende Aufklärung, die aus unserer Sicht – das unterscheidet unseren Antrag beispielsweise von dem der Kollegin Mattheis – wichtig ist. Wir sagen klar: Eine Aufklärung durch den Arzt muss sein. Sie muss sein, um den Patienten zu schützen, sie muss aber auch sein, um das, was er vorhat, nämlich später zu helfen, wirklich auf eine Grundlage zu stellen, damit man später nicht infrage stellen kann, ob er damals, als er sich entschieden hat, überhaupt gewusst hat, um was es geht. Es macht also Sinn, sich beraten zu lassen. Die Beratung sorgt dafür, dass man am Ende tatsächlich die Option hat, dass man helfen kann, wenn man es denn will. Deshalb sind wir für eine verpflichtende ärztliche Beratung an dieser Stelle.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Ich habe darauf hingewiesen, dass man den Probanden über Wesen, Ziele, Nutzen, Folgen, Risiken und Nachteile der klinischen Prüfung aufklären muss. Die Erklärung kann jederzeit – das habe ich einleitend schon gesagt – formlos widerrufen werden. Eine Unwilligkeitsäußerung muss ausreichen. Auch das halte ich für ganz wichtig.
(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon einmal einen an Demenz Erkrankten erlebt?)
Wenn die Thematik dann konkret wird, wenn der Proband nicht mehr einwilligungsfähig ist, wenn es so weit ist, dass man mit dieser klinischen Studie beginnen will, dann ist auch der Betreuer gefragt. Er muss – wiederum nach ärztlicher Aufklärung – tatsächlich einwilligen. Auch das ist ganz entscheidend. Und es muss ein direkter Zusammenhang der klinischen Prüfung mit dem lebensbedrohlichen oder zur Invalidität führenden klinischen Zustand bestehen. Es darf nicht irgendetwas sein, das man testet, sondern es muss ein Zusammenhang mit dem Krankheitsbild vorhanden sein.
Es muss einen Gruppennutzen geben, und es darf nur um ein minimales Risiko, um einen minimalen Eingriff gehen. Gestern hat jemand behauptet, das gehe bis hin zur Fixierung des Patienten. Das widerspricht sich komplett. Das ist undenkbar, weil man erstens, wenn man fixiert ist, nicht seinen Unwillen zeigen kann – wenn eine Fixierung notwendig ist, zeigt das vielmehr schon den Unwillen –, und zweitens, weil es nur um einen minimalen Eingriff – Speichelprobe, Blutentnahme – gehen darf. Das halte ich für ganz entscheidend.
Insbesondere ist mir die Rolle der Ethikkommission wichtig. Diese Ethikkommission muss bei jeder einzelnen beantragten klinischen Prüfung kontrollieren, ob die Vorgaben, ob die Auflagen erfüllt sind. Es wird sogar doppelt geprüft, von der zuständigen Bundesoberbehörde und der zuständigen Ethikkommission.
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört gar nicht zu deren Aufgaben!)
Doppelte Prüfung: Das ist gut, und das ist richtig so.
Ganz wesentlich ist: Es darf keine finanziellen oder andere Anreize geben. Auch das ist entscheidend. Wir wollen nichts kommerzialisieren, ganz im Gegenteil. Ich will auch darauf hinweisen, dass eine gruppennützige Forschung mit Menschen, die bereits als Kind einwilligungsunfähig waren, weiterhin verboten bleibt; also, es geht auch nicht um Minderjährige an dieser Stelle.
Ich glaube, dass das, was wir hier in einem Bundesgesetz präzisieren wollen und was auf europäischen Vorgaben fußt, eine Frage der Selbstbestimmung ist, die natürlich in Grenzen gelten muss, aber auch ein Beitrag dazu sein kann, schwierige Krankheitsverläufe wie beispielsweise Alzheimer in Zukunft sinnvoll zu erforschen. Das wollen wir ermöglichen, sonst nichts. Der Schutz steht für uns an oberster Stelle, und dieser Schutz ist eben auch durch ärztliche Aufklärung zu gewährleisten.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])
Vielen Dank, Kollege Dr. Nüßlein. – Nächste Rednerin: Kathrin Vogler für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung) |