Uwe SchummerCDU/CSU - Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung)
Kollege Lauterbach, die Teilhabe an einer klinischen Forschung auch an Menschen, die ihre Zustimmung nicht gegeben haben, als einen Akt der Selbstverwirklichung zu definieren, war heute eine sehr steile These.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Darüber werden wir uns im Rahmen der Definition der Selbstverwirklichung noch einmal auseinandersetzen. Ich will noch eines sagen, nämlich dass niemand von denjenigen, die den Antrag, den auch ich vertrete, mittragen, in seiner Rede irgendetwas Forschungsfeindliches gesagt hat.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Im Gegenteil, Ulla Schmidt hat gesagt: Wir sind ein Spitzenstandort der Gesundheitsforschung. Auch der Verband Forschender Arzneimittelhersteller sagte, dass zur Bekämpfung von Demenz und anderen Krankheiten die Ausweitung der Gruppe auf diejenigen, die nicht fähig sind, ihre Einwilligung zu klinischen Forschungen zu geben, nicht notwendig ist. Wenn auf der anderen Seite jetzt der Eindruck erweckt wird, dass Fortschritte erst dann möglich sind, wenn die Gruppe erweitert wird, dann wird doch etwas vorgegaukelt, was selbst in der Forschungslandschaft nicht vertreten wird.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Wir haben aus guten Gründen bis Dezember letzten Jahres immer wieder einstimmig im Deutschen Bundestag beschlossen, dass Forschung nur dann sinnvoll und akzeptabel ist, wenn ein direkter individueller Nutzen vorauszusetzen ist. Dass man ihn nicht garantieren kann, ist klar; deshalb ist es Forschung. Es ist auch so, dass natürlich derjenige, der an Demenz erkrankt ist, auch Teil einer solchen Gruppe ist, weshalb man bei der Definition, was eigennützig oder auch für die betroffene Gruppe nützlich ist, sehr vorsichtig sein muss. Es gibt im Grunde keine Notwendigkeit für eine neue Definition, um Forschung zu verbessern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Die Frage ist, weshalb wir die Gruppe und diese Kriterien, die bis Dezember letzten Jahres galten, seit September dieses Jahres nicht mehr so definieren, und das, obwohl wir, wie mehrfach gesagt, in der Europäischen Union dafür gesorgt haben, dass unsere deutschen Schutzstandards in die betreffende europäische Verordnung übertragen wurden.
Was hat sich in der Welt so fundamental verändert? Dazu haben wir in Richtung der Vertreter der Wissenschaft in der Anhörung Fragen gestellt. Darauf gab es keine Antworten. Es gibt keine fundamentale Veränderung, keine neue Erkenntnis. Daher ist es gut und sinnvoll, wenn man denen folgt, mit denen wir in besonderer Weise verbunden sind und die uns warnen, nämlich die Angehörigen der Gruppe, die davon profitieren soll, beispielsweise die Deutsche Alzheimer Gesellschaft.
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ja!)
Sie hat uns vehement aufgefordert, diesen Schritt nicht zu vollziehen.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Auch die Deutsche Bischofskonferenz hat in einem Beschluss die Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass davon erhebliche Gefahren und Belastungen für eine extrem schutzbedürftige Gruppe von Menschen – wie Demenzkranken im fortgeschrittenen Stadium – ausgehen. Die Deutsche Bischofskonferenz ist für mich als christlich orientierten Politiker ein wesentlicher, ein wichtiger Ratgeber in dieser ethischen Frage.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Natürlich kann Forschung nicht ohne weitere Eingriffe auskommen – dabei geht es ja nicht nur um Blutabnahme –, wenn sie bis zum Ende durchgeführt werden soll. Am Ende will man auch schauen, wie sich Arzneimittel im Körper verteilen. Dann kann es eben, wie geschildert wurde, zu einer Fixierung kommen, um CT-Aufnahmen zu ermöglichen. Ich weiß, dass im Rahmen einer Staatenprüfung mit Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention die Fixierung – als ein Stück Folter – dargestellt worden ist, als etwas, was man beseitigen sollte und was nicht mehr stattfinden darf.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Von daher ist die Fixierung eine wesentliche Maßnahme. Ohne diese Maßnahme wäre ein Abschluss der Forschung kaum möglich.
Wie ist es, wenn wir Ja zu der vorgesehenen Ausweitung der klinischen Forschung sagen? Ich kann nur sagen – Hubert Hüppe hat das dargestellt –: 2004 ist der erste Schritt eigentlich schon vollzogen worden, indem man Forschung an Kindern zugelassen hat. Heute müssen wir uns sagen lassen: Weil damals, 2004, Forschung an Kindern zugelassen wurde, können wir sie jetzt auch an Erwachsenen ohne deren Einwilligungsmöglichkeit zulassen. – Ich brauche keine große Fantasie, um zu ahnen, dass in fünf Jahren der dritte Weg kommt. Das heißt, die schiefe Ebene ist dann erreicht. Es würde gesagt werden: Die ganzen bürokratischen Hemmnisse, die dazu führen, dass wir diese Forschung nicht wirklich durchführen können, muss man beseitigen, damit man diese Forschung – sie ist ja schon beschlossen worden – überhaupt praktizieren kann. – Dann sind auch diese Hemmnisse weg. Befindet man sich einmal auf der schiefen Ebene, geht es immer weiter nach unten.
Deshalb hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe zum Schutz ihrer Mitglieder und deren Kinder, die beispielsweise geistig behindert sind und in die Entscheidungen nie selbst einwilligen können, einstimmig beschlossen, dass die schiefe Ebene nicht mehr betreten werden soll, dass wir vielmehr Dämme halten sollen, die heute notwendiger denn je sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wer selber Sterbebegleitung in der Familie erlebt hat, etwa bei einem Demenzkranken, weiß: Diese Menschen brauchen eine helfende Hand, sie brauchen Menschen, die bei ihnen sind. Sie wollen auch keine Apparatemedizin. Es ist wichtig und richtig – da sind wir konform mit Hermann Gröhe –, dass wir die Palliativmedizin ausgebaut haben, dass wir den Hospizbereich ausgebaut haben. Aber dies alles wird mit einem solchen Beschluss, der nicht notwendig ist, konterkariert, durch den Menschen zu einem medizinischen Versuchsobjekt gemacht werden. Menschen in einer solchen Situation sind Objekt und nicht nur Subjekt des Handelns. Niemand, kein Arzt, und auch niemand, der eine Patientenverfügung mit formulieren kann, weiß 20 Jahre im Voraus, woran der Betreffende erkranken kann. Das kann auch ein Unfall sein. Man kann auch ins Koma fallen. Niemand kann vorhersehen, welche klinischen Forschungen in 20 Jahren betrieben werden, damit er darüber im Detail aufklären kann.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Wir würden damit erwarten, dass Ärzte nichts anderes tun, als mit den Menschen einen Blick in die Glaskugel zu werfen – und das als Voraussetzung für eine so zentrale und schwerwiegende Entscheidung. Das halte ich aus christlicher Überzeugung nicht für akzeptabel, und deshalb gibt es diesen Änderungsantrag.
Es ist wichtig, dass wir diese Debatte miteinander führen. Es war wichtig, dass wir dieses Thema in der Anhörung ausführlich geklärt haben, miteinander besprochen haben.
Richtig ist: Je schwächer der Mensch ist, gerade am Ende des Lebens, umso stärker muss die Schutzfunktion des Staates sein. – Dieser Grundsatz muss bestehen bleiben. Das wollen wir so bewahren, und dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)
Vielen Dank, Uwe Schummer. – Die nächste Rednerin: Martina Stamm-Fibich von der SPD-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7028888 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 198 |
Tagesordnungspunkt | Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung) |