09.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 198 / Tagesordnungspunkt 1

Sabine DittmarSPD - Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung)

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Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte für den Änderungsantrag Mattheis/Dittmar werben und Ihnen meine Gründe dafür nennen.

Vertreter der Grundlagenforschung haben mir sehr deutlich dargelegt, dass klinische Forschung auch mit nichteinwilligungsfähigen Probanden notwendig ist,

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer denn?)

um diese vulnerable Patientengruppe nicht vom medizinischen Fortschritt abzukoppeln.

(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie heißen die denn?)

Mit einer großen Mehrheit von 80 Prozent hat sich daher der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen, der sich aus den 50 nationalen Ethikkommissionen zusammensetzt, für die Zulassung von gruppennützlicher Forschung ausgesprochen. Mit unserem Änderungsantrag schlagen wir einen Weg vor, um den besonderen Schutzbedürfnissen dieser vulnerablen Patientengruppe gerecht zu werden und notwendige Forschung zu ermöglichen; denn nur, wenn ich in einwilligungsfähigem Zustand festlege, dass ich meine Einbeziehung in gruppennützliche Forschung gestatte, komme ich später als Proband infrage. Wenn ich nichts regele und keine Erklärung abgebe, bleibt es beim Status quo.

(Beifall der Abg. Hilde Mattheis [SPD])

Wer nie einwilligungsfähig war, zum Beispiel geistig behinderte Menschen von Kindheit an, der wird auch niemals in Studien einbezogen, Herr Kollege Schummer.

(Beifall der Abg. Dr. Daniela De Ridder [SPD])

Für mich ist die Voraberklärung Ausdruck meines Selbstbestimmungsrechtes, und sie ist kein Freibrief für ungezügelte Forschung an Nichteinwilligungsfähigen. Bundesoberbehörde und Ethikkommissionen prüfen immer sehr genau, ob eine Studie gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nicht auch mit einwilligungsfähigen Probanden erfolgen könnte.

Ich möchte noch einmal ausdrücklich betonen, dass Interventionen während einer Studie nur minimal belastend sein dürfen, und was minimal ist, das hat der deutsche Gesetzgeber definiert, als er die gruppennützliche Forschung bei Minderjährigen erlaubte: zum Beispiel Urinproben, zusätzliche Blutproben, Blutdruckmessen, aber ganz sicher keine Zwangsfixierung und auch keine, Kollege Lauterbach, Liquorpunktion.

(Beifall der Abg. Hilde Mattheis [SPD])

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, eine entscheidende Rolle kommt dem gesetzlichen Vertreter zu. Er muss letztendlich nach dann erfolgter Aufklärung entscheiden, ob der vorab geäußerte Wille noch mit der aktuellen Situation übereinstimmt, und niemals übertrumpft der Vorabwille den gegebenenfalls auch nur vermuteten aktuellen Willen. Das ist eine hohe Anforderung, die wir an den Betreuer stellen. Aber diese Kolleginnen und Kollegen müssen ja auch darüber entscheiden, ob die Teilnahme an einer eigennützigen klinischen Studie möglich ist. So ist es also nichts Neues.

Kolleginnen und Kollegen, Sie werden sich vielleicht wundern, dass ich als Ärztin eine verpflichtende ärztliche Aufklärung bei der Voraberklärung ablehne. Eine solche Aufklärung könnte nur sehr allgemein sein: über Sinn und Zweck, über Gruppennutzen, Individualnutzen, Fremdnutzen und über mögliche Interventionen. Das kann genauso gut, wenn nicht in manchen Fällen sogar besser, in einer standardisierten, fachlich fundierten schriftlichen Form erfolgen, ähnlich wie wir dies bei Patientenverfügungen und Organspendeausweisen praktizieren. Natürlich hat man immer das Recht auf ärztliche Beratung; aber eine Pflicht zur Beratung darf es nicht geben,

(Beifall der Abg. Hilde Mattheis [SPD])

da davon eine Gültigkeit der Voraberklärung abhängig gemacht werden kann.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für jede OP gibt es die!)

Kolleginnen und Kollegen, wir entscheiden heute, ob wir eine vulnerable Patientengruppe von erwartbarem medizinischen Fortschritt abkoppeln oder Forschung unter hohen Schutzstandards zulassen. Derzeit sind wir – das ist für mich ein moralisch-ethisches Dilemma – Nutznießer von Zulassungsstudien, die im Ausland durchgeführt wurden,

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Wurden sie ja nicht!)

von Studien, die bei den Schutzstandards, die die Kollegen Hüppe, Schmidt und Schummer wünschen, nicht zulässig wären.

(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Können Sie mir eine Studie nennen?)

Deshalb bin ich davon überzeugt, dass der Weg, den wir vorschlagen, der richtige ist, nämlich klinische Studien unter sehr hohen Schutzstandards zuzulassen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Kollegin Dittmar. – Der letzte Redner in der Debatte: Dirk Heidenblut aus der SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7029068
Wahlperiode 18
Sitzung 198
Tagesordnungspunkt Arzneimittelrechtliche Vorschriften (2. Lesung)
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